Nimbus der Sünde

Ein Standpunkt von Garnet Manecke

Garnet Manecke
Garnet Manecke
Datum:
3. Mai 2016

Es ist häufig zu erleben, dass man beim Besuch einer Einrichtung für Behinderte mal spontan umarmt wird. Wer öfter in eine Förderschule oder eine Werkstatt geht, weiß das. Oft wird das als „niedliches“ Verhalten belächelt. Sie sind halt so anlehnungsbedürftig, die Behinderten. Aber wem ist schon einmal in den Sinn gekommen, dass es sich bei den Mädchen und Jungen um heranwachsende Frauen und Männer handelt, die ihre sexuellen Bedürfnisse haben?

Wie verunsichernd das Thema ist, zeigen die hitzigen Diskussionen darüber, wenn mal wieder eine Dokumentation zeigt, wie Kinder mit ihren geistig behinderten Eltern leben. „Wie kann man das nur zulassen? Denkt denn keiner an die Kinder?“ ist dabei noch eine der harmlosen Fragen. Sexualität ist auch in unserer Gesellschaft ein Tabu-Thema – besonders dann, wenn sie sich in Feldern abseits der „Norm“ abspielt. Das betrifft nicht nur Menschen mit einer Behinderung, das betrifft auch Homosexuelle, Transsexuelle, Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, alte Frauen und Männer: Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen.

Dass sich das Vinzenz-Heim nun dieses Themas annimmt, lässt gleich doppelt aufhorchen. Erstens geht es um eine Gruppe, der eine eigene Sexualität kaum zugestanden wird. Und zum anderen geht mit dem Vinzenz-Heim eine katholische Einrichtung mit dem Thema offen um. Bei der Tagung geht es nicht um Gewalt oder Sünde und deren Unterdrückung. Sondern darum, wie Menschen ihre Sexualität leben können und wie sie dabei begleitet werden. „Sex, Liebe, Lust“ steht im Titel der Tagung: Worte, die im katholischen Umfeld nicht gerade hoch im Kurs stehen. Liebe und Lust haben in einer Kirche, in der der Zölibat für Priester zwingend ist, immer noch den Nimbus der Sünde und des Krankhaften. Wer nicht in die starren Schablonen der kirchlichen Morallehre passt, läuft Gefahr, ausgeschlossen zu werden. Gläubige Homosexuelle können ein Lied davon singen.

Die Autorin ist freie Journalistin und Redakteurin für die KiZ.