Nichts mehr, wie es war

Zwei Jahre nach der Flut sind die Folgen in Vicht und Zweifall noch immer präsent

Vicht ist wie auch Zweifall noch immer ein Ort der Gegensätze. Häuser, die wieder wie neu sind, neben solchen, die auch heute noch unbewohnbar sind oder zum Verkauf stehen. (c) Andrea Thomas
Vicht ist wie auch Zweifall noch immer ein Ort der Gegensätze. Häuser, die wieder wie neu sind, neben solchen, die auch heute noch unbewohnbar sind oder zum Verkauf stehen.
Datum:
11. Juli 2023
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 28/2023 | Andrea Thomas

Der Geruch von Heizöl oder vergammelten Lebensmitteln, die Wettervorhersage, die stärkere Regenfälle ankündigt. Es braucht nicht viel, und alles ist wieder da. Zwei Jahre nach der Flut prägt die Katastrophe, die am 14. und 15. Juli über ihre Dörfer hereingebrochen ist, immer noch das Leben der Menschen in Vicht und Zweifall.

Ihr Ort sei nicht mehr derselbe, sagt Brunhilde Koch über Vicht. Menschen, vor allem jüngere, seien in den vergangenen zwei Jahren weggezogen, Häuser verkauft worden, ältere Dorfbewohner ins Heim gezogen. Geht man durch den Ort, sieht man: Viel ist wieder aufgebaut und renoviert worden, die Häuser wie neu, 50 oder 100 Meter weiter hat sich seit zwei Jahren wenig getan, unbewohnte Häuser mit abblätterndem Putz und mit Brettern vernagelten Fenstern, auf denen „Zu verkaufen“ steht, daneben eine Lücke, wo mal ein Haus stand.

Im ebenfalls schwer betroffenen Nachbarort Zweifall ist es ähnlich, vieles ist schon gemacht, an anderer Stelle sind die Folgen nach wie vor sichtbar. Die beiden Kindergärten aus Vicht und Zweifall sind noch immer in Containern auf dem Gelände der Vichter Kirche untergebracht. Mit dem Auto in die beiden Orte zu gelangen, ist bis heute mit Umwegen verbunden, weil regelmäßig wegen Arbeiten irgendwelche Brücken oder Straßen gesperrt sind.

Auch das Haus von Brunhilde Koch und ihrer Familie hatte die Flut unbewohnbar gemacht. „Am Tag der Flut hatten wir schon am Morgen Wasser im Keller. Das stieg bis zum Nachmittag und dann erst mal nicht mehr“, erinnert sich die Seniorin. Sie hätten sich dann am Abend mal hingelegt, in der Hoffnung, das sei alles. Stunden später habe ihre Tochter, die auf der ersten Etage wohnte, sie geweckt: „Die Autos schwimmen, dass Wasser kommt von vorne und von hinten. Da sind wir nur noch nach oben. Retten konnten wir nichts mehr.“ Inzwischen seien sie zurück im Haus, „aber nicht zu Hause“. All die vertrauten Dinge und die Erinnerungsstücke eines ganzen Lebens haben ihnen die Flut geraubt.

Bernd Claßen, einem ihrer Nachbarn, geht es nicht anders. 3,70 Meter hoch hat das Wasser bei ihnen im Haus gestanden. Er und seine Frau wohnen immer noch bei seiner Nichte, in der Wohnung seiner kurz vor der Flut verstorbenen Schwägerin. Seine Frau sei wegen des Trauerfalls an dem Tag nicht da gewesen. Allein im Haus, habe er verzweifelt versucht, etwas zu tun, während das Wasser stieg, „aber man wusste ja gar nicht, wo anfangen“, erzählt der alte Herr. Als seine beiden erwachsenen Söhne in ihrem Elternhaus ankamen, hätten die noch die Haustiere in Sicherheit gebracht. Angesichts der steigenden Wassermassen blieb dann nur, das Haus aufzugeben. Übriggeblieben aus dem alten Leben ist nicht viel, unter anderem eine Fensterbank aus Blaustein. „Die haben wir bestimmt drei Mal aus dem Schutt gerettet, weil jemand sie wieder entsorgt hatte“, erzählt er und schmunzelt. Ohne Humor sei das alles nicht zu verkraften.

Erinnerungen, die Menschen ein Leben lang begleiten

Heute trockene Bäche, damals reißende Ströme. (c) Andrea Thomas
Heute trockene Bäche, damals reißende Ströme.

Auch Alfred Kohn ist „abgesoffen“ und musste miterleben, wie das Wasser den unteren Teil seines Hauses verwüstete, das Auto und seine Motorräder davonspülte. Das sei einfach zu viel Wasser gewesen für Fischbach und Vicht, die beiden Bäche, die den Ort in guten Zeiten idyllisch machen und die am 14. Juli 2021 zu reißenden Strömen wurden. „Einen Traktor – und der wiegt ja schon einiges – hat das Wasser hochgedrückt, so dass er die Hauptstraße runtergeschwommen ist.“ Der Fahrer habe sich nur noch hilflos auf das Dach retten können. All das sind Erinnerungen, die einen nicht loslassen.

Unterkriegen lassen sie sich nicht, wie so viele Vichter und Zweifaller, wo sich Ähnliches abgespielt hat. Weil das Leben weitergehen musste, aber auch weil so viele Menschen – nicht direkt betroffene aus dem Ort, Helfer aus der näheren und weiteren Umgebung, Einsatzkräfte von Feuerwehr, Technischem Hilfswerk, Polizei, Rotem Kreuz und noch vielen anderen – geholfen haben. Diese große Hilfsbereitschaft, dass man zusammenstehe, das habe sie im Ort noch mehr zusammengeschweißt, sagt Klaus-Dieter Petters.

Der pensionierte Brandinspektor der Feuerwehr Aachen hat gemeinsam mit anderen Freiwilligen das „Notversorgungszentrum Pfarrheim Vicht“ gegründet. Das war Koordinationsstelle für Hilfe jeder Art, Anlaufstelle und Ausgabe für die vielen Sachspenden, die Vicht erreichten. Der Ort, an dem es neben warmen Mahlzeiten immer auch mal einen Moment Ruhe und ein Ohr zum Zuhören gab. Zu Spitzenzeiten haben im Versorgungszentrum etwa 50 Ehrenamtliche gearbeitet und die 454 betroffenen Familien im Ort versorgt – und das über Wochen.

Julia Bongard ist eine der Freiwilligen. Wie Klaus-Dieter Petters war sie nicht direkt betroffen, doch das seien Szenen wie aus einem Horrorfilm gewesen: „Stockdunkel ohne Strom, die Schreie von Menschen in Panik und dann die Zerstörung.“ Helfen zu können, hat ihr geholfen. 

„Diese Anlaufstelle war ganz wichtig, im Zelt an der Kirche mal durchatmen zu können, aber auch zu wissen, hier werde ich aufgefangen“, blickt Gemeindereferentin Christiane Hartung, die die Menschen in Vicht und Zweifall als Seelsorgerin begleitet, auf das Angebot rund um Kirche und Pfarrheim zurück. Das vieles heute schon wieder so aussehe, wie es ist, sei dieser Hilfsbereitschaft und den vielen Spenden zu verdanken. „Es sind schon ein paar kleine Wunder passiert“, sagt sie, „besonders, dass niemand umgekommen ist. Und das war manches Mal knapp.“

Vieles werde die Menschen hier und in Zweifall noch lange, manches lebenslang begleiten: Das Gefühl der Hilflosigkeit, das eigene Leben nicht mehr in der Hand zu haben, miterleben zu müssen, „wie ein Leben wegschwimmt, Fotoalben und andere Erinnerungsstücke, die niemand ersetzen kann“. Diese Verlusterfahrung bleibe. So wie die Angst bei heftigeren Regenfällen. Dann kursierten in den sozialen Medien sofort wieder die Flutbilder, sagt Christiane Hartung. – Zwei Jahre sind viel und doch auch wieder nicht.

Zweifall und Vicht – nach der Flut und heute

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