Nicht vergessen

Mit Herz den Menschen in den Seniorenheimen über die Zeit geholfen

Maria Flittert und Peter Weise freuen sich über Bastelarbeiten, die Christian Baumann von der Malteser-Jugend überbrachte. (c) Andrea Thomas
Maria Flittert und Peter Weise freuen sich über Bastelarbeiten, die Christian Baumann von der Malteser-Jugend überbrachte.
Datum:
7. Juli 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 2020 | Andrea Thomas

Seit Kurzem dürfen nun auch die Menschen, die in Senioren- und Pflegeheimen leben, wieder Besuch bekommen. Zwar noch unter entsprechenden Schutzmaßnahmen, doch die Zeit des Völlig-von-der-Welt-abgeschlossen-Seins hat damit ein Ende. Überstanden haben die Bewohner das auch dank vieler mitfühlender Menschen, die für sie kreativ geworden sind.

Plötzlich Stille im ganzen Haus – keine Besuche mehr, weder von Angehörigen, Freunden, noch von Ehrenamtlichen, keine Gruppenangebote wie Gymnastik, Singen, Tanzen im Sitzen, kein geselliger Spielenachmittag, Ausflug, Kaffeeklatsch oder Quizrunde, kein Frisör und keine Therapie mehr. So beschreibt Christoph Grub, Leiter des Sozialkulturellen Dienstes im Seniorenzentrum Franziskuskloster-Lindenplatz der Schervier-Altenhilfe in Aachen, die Zeit nach dem Lock-Down im März.

Ähnlich erlebten das auch die Mitarbeiter und Bewohner der vier Häuser der Aachener Caritasdienste (ACD) – Altenheim St. Elisabeth, Klosterstift Radermecher und Papst-Johannes-Stift in Aachen und Seniorenzentrum St. Anna in Alsdorf. Es seien herausfordernde Zeiten für alle, von der Pflege über die Verwaltung bis zur Küche und ganz besonders für die alten und pflegebedürftigen Menschen. Gerade die acht Wochen, in denen in allen Häusern striktes Besuchsverbot galt, seien eine harte Zeit gewesen.
„Das war wie im Knast, nur ohne Stäbe vor den Fenstern“, bringt es Peter Weise schonungslos auf den Punkt. Der fast 80-jährige lebt in Haus Anna an der 
Aachener Franzstraße, einer kleinen, gesellschaftergetragenen Senioreneinrichtung, und ist hier stellvertretender Vorsitzender des Bewohnerbeirates. Natürlich sei ihr Haus kein Gefängnis in dem Sinne, sagt er. Er lebe gerne hier, mag Team und Mitbewohner. Was er meint, ist das Gefühl, plötzlich vom Leben ausgeschlossen und in der Einrichtung eingeschlossen zu sein. Für viele sei es langweilig gewesen, weil sie sich selbst überlassen waren.


Zum Glück gab es viel Sonnenschein

Dem haben die Mitarbeiter in den Einrichtungen mit vielen Ideen und Aktionen  entgegenzuwirken versucht. In Haus Anna zum Beispiel mit einem Reibekuchen-Abend im Innenhof oder einer Eiscreme-Spende, die eine Mitarbeiterin organisiert hatte. „Wir vom Sozialkulturellen Dienst haben schnell auf einen anderen Modus umgeschaltet: Einzelbetreuung für alle Hausbewohner, persönliche Gespräche im Zimmer (mit Abstand und Mundschutz), kleine Spaziergänge im Garten (das Haus durfte, sollte ja bis zum 30. Juni nicht mehr verlassen werden); Sonnenstunden auf der Dachterrasse. Es herrschte in der Zeit zum Glück viel Sonnenschein. Und: alles mit Abstand!“, berichtet Christoph Grub.

Die Wochenenddienste der Sozialen Betreuung hätten sie zu mehr als 100 Prozent ausgeweitet, um die ausbleibenden Angehörigenbesuche wenigstens ansatzweise zu kompensieren. Möglich blieben „Bordsteinkanten-Besuche“: Bewohner wurden an ihr Zimmerfenster oder auf den Balkon begleitet, um von dort aus mit den Angehörigen reden und sie sehen zu können. „Auf diese Art wurden auch zahlreiche Geburtstagsständchen übermittelt. Es gab aber auch herzzerreißende Szenen, in denen die Betreffenden anstatt der gewohnten persönlichen Nähe die gnadenlose Distanz aushalten mussten; oft flossen Tränen“, erzählt Christoph Grub.

Irgendwie weiter Kontakt zu lieben Menschen draußen zu halten, wurde in den Senioreneinrichtungen zu einem wichtigen Schwerpunkt, was auch dank moderner und alter Kommunikationsmittel gelang. Tablets und Smartphones wurden, auch dank großzügiger Spender, angeschafft, damit die alten Menschen ihre Lieben nicht nur hören, sondern auch sehen konnten. Und dann gab es da noch die gute alte Briefpost. Nicht nur die Familien griffen zu Papier und Stift. Im Franziskuskloster hat eine Mitarbeiterin Briefkontakte mit Menschen aus ganz Deutschland vermittelt, die Karten, Briefe und Bilder schickten. Eine Geste der Solidarität, die hier sehr gut ankam. So wie auch die Post der „Stubdis“, des Studentischen Besuchsdienstes der RWTH, im Seniorenheim St. Elisabeth in Aachen. „Diese Briefe hüten die Bewohner wie ihren Augapfel“, berichtet Sozialdienst-Leiterin Erika Bley. Viel Zuspruch seitens der Bewohner genießen auch die „Sonntags-Briefe“, die das Seelsorge-Team des Papst-Johannes-Stifts wöchentlich verschickt, solange keine Gottesdienste stattfinden können. Sie spenden Trost und machen Mut, so wie die Gedichte und Sprüche, die an der eigens aufgestellten „Corona-Litfaßsäule“ angebracht werden.


Tulpen, Engel und viel Musik

Daneben fanden ganz viele selbst gestaltete Mutmacher den Weg in die Einrichtungen. In Haus Anna waren das unter anderem Regenbögen, Engel und bemalte Steine, die Kinder und Jugendliche im Rahmen einer Aktion der Malteser-Jugend im Bistum Aachen für die Senioren gebastelt hatten. „Die waren alle mit viel Begeisterung dabei und freuen sich, dass ihre Geschenke ankommen“, sagt Jugendreferent Christian Baumann bei der Übergabe im Seniorenheim, mit dem der ambulante Hospizdienst „DaSein“ der Aachener Malteser eng kooperiert. „Der bekommt einen Ehrenplatz“, erklärt Maria Flittert (80), Vorsitzende des Bewohnerbeirates, die ihren selbstgebastelten Engel gar nicht mehr loslassen mag.

Besonders Ostern in Isolation war für viele schwer. In St. Anna in Alsdorf halfen darüber unter anderem 1400 Tulpen hinweg, die eine Nachbarin der Einrichtung über Spenden zweier Blumenmärkte aus Würselen und Alsdorf organisiert hatte. Sehr berührt haben die Bewohner hier auch die liebevollen Bastelarbeiten und selbstgemalten Bilder der Kinder und Messdiener aus der Kirchengemeinde St. Cornelius Hoengen, die kurz vor dem Osterfest hier eintrafen.

Auch Musik sorgte in vielen Einrichtungen dafür, die besonders schlimmen ersten Corona-Wochen gut zu überstehen. Bei diversen Open-Air-Konzerten wurden die Balkone und Fenster der Zimmer zu Logenplätzen. Highlight in St. Anna wie auch im Papst-Johannes-Stift in Aachen war der Auftritt des Corona-Trios mit Jürgen B. Hausmann. Im Klosterstift Radermecher ließen „Orgels Lenchen“ mit ihrer selbstgebauten Drehorgel und Sängerin Sarah Schiffer beim Konzert im Innenhof ebenso Sorgen und Einsamkeit kurz vergessen wie das Dasda-Theater mit seinem Stück „Marlene“ im Papst-Johannes-Stift. Vor dem Franziskuskloster bot Schausteller Peter Loosen mit seiner Kirmes-Orgel (nachdem auch der Öcher Bend ausfiel) ein schmissiges Gratis-Konzert. Zwei Musikerinnen gingen mit Klavier und Violine auf Konzerttour durch die Innengärten der Einrichtung, und über eine große Lautsprecherbox gab es „Schlagerradio für Zaungäste“.

Auch die jeweiligen Küchenteams ließen sich einiges einfallen, von Cocktails aufs Zimmer über Waffeln und Pfannkuchen bis zur „Erdbeerwoche“ und ländertypischen Spezialitäten. Allen, die hier Herz zeigten und zeigen, gebührt ein dickes Dankeschön – nicht nur seitens der Senioren.

Wie Menschen Seniorinnen und Senioren über den Lockdown geholfen haben

3 Bilder