Nicht so einfach aufgeben

Gemeindeverantwortliche sollten keine vorschnellen Entscheidungen über die Zukunft ihrer Kirchen treffen

St. Johann Baptist Krefeld (Pfarrei Maria Frieden, GdG Krefeld-Süd). Die Gemeinde wird weiter in ihrem Vorhaben zur Umnutzung der Kirche von Baukultur Nordrhein-Westfalen unterstützt. (c) Michael Rasche
St. Johann Baptist Krefeld (Pfarrei Maria Frieden, GdG Krefeld-Süd). Die Gemeinde wird weiter in ihrem Vorhaben zur Umnutzung der Kirche von Baukultur Nordrhein-Westfalen unterstützt.
Datum:
17. Feb. 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 07/2021 | Ruth Schlotterhose

Stellen Sie sich vor, Sie besitzen ein Haus, für das Sie keine Mieter mehr finden. Erst wenn das Dach repariert, die Fenster erneuert und eine sparsam arbeitende Heizung eingebaut werden, könnten sich neue Nutzer für das Gebäude finden. So aber überlegen Sie: Lohnt sich die Sanierung oder ist es günstiger, das Haus abzureißen und ein neues zu bauen? In der gleichen Situation stecken derzeit viele Kirchengemeinden in Bezug auf ihre Gotteshäuser.

Allerdings gibt es da einen gewaltigen Unterschied zum gewöhnlichen Vermieter: Eine Kirche reißt man nicht so einfach ab. Selbst wenn die Zahl der Gottesdienstbesucher ständig sinkt. Tatsache ist aber, dass bis zum Jahr 2030 rund ein Viertel der 6000 Kirchen Nordrhein-Westfalens auf dem Prüfstand stehen werden. Das jedenfalls ist die Prognose des Stadtplaners Jörg Beste. Er ist im Büro „Synergon“ forschend und beratend für öffentliche und private Auftraggeber in den Themenfeldern Stadtentwicklung, Sozialraum und Baukultur tätig.

Spätestens mit der Finanzkrise des Bistums Aachen zu Anfang dieses Jahrtausends wurde den Verantwortlichen in den einzelnen Pfarreien und Kirchengemeinden das Problem ganz konkret vor Augen geführt. Instandhaltungsmaßnahmen an Kirchen, Kapellen, Pfarrhäusern und Pfarrheimen konnte und wollte das Bistum nur noch zu zwei Dritteln übernehmen. In allen Gemeinschaften der Gemeinden (GdG) begannen daraufhin die sogenannten KIM-Prozesse. KIM steht hier für „Kirchliches Immobilien-Management“. Vielen GdG-Räten, Pfarreiräten und Kirchenvorständen ist noch in Erinnerung, wie teilweise erbittert darum gerungen wurde, welche Gebäude aus der Bezuschussung durch das Bistum herausgenommen werden sollten.

Gleichzeitig war ein Konzept zu entwickeln, wie die zukünftige pastorale Nutzung der Gebäude aussehen sollte. Dabei zeigte sich, dass schon allein aufgrund der Fusion mancher Gemeinden und in der Folge des zunehmenden Priestermangels die eine oder andere Kirche geschlossen werden musste. Bei stetig sinkenden Zahlen von Gläubigen und von Priesterweihen hat sich das Problem leerstehender Kirchen bis heute verschärft. Das Bistum Essen geriet in die Schlagzeilen, als es 2005 die Schließung von fast hundert meist modernen Kirchengebäuden bekanntgab. Allein im Stadtdekanat Essen wurden inzwischen 15 katholische Kirchen „niedergelegt“, wie es im Amtsdeutsch beschönigend heißt. 
Eine Kirche abreißen? Das ist für die meisten Menschen undenkbar. Warum eigentlich? Und was wäre die Alternative? Liturgiewissenschaftler Albert Gerhards weiß um die Schwierigkeit, auf letztere Frage eine Antwort zu finden. Er fordert, Kirchen als Orte des Gebets offenzuhalten und Menschen dort die Begegnung mit Gott zu ermöglichen. „Kirchen sind identitätsstiftend für Dörfer oder Stadtteile“, sagte er in einem Interview mit der Osnabrücker Kirchenzeitung. „Etwa im Osten Deutschlands gibt es inzwischen Vereine, in denen sich Menschen für den Erhalt von Kirchen einsetzen, obwohl sie selbst gar nicht getauft sind.“ 


Es gibt viele Möglichkeiten, Kirchen zu retten, wenn man das will

Die Einschätzung Gerhards wird bestätigt, wenn man an die Reaktionen beim Abriss des Immerather „Doms“ St. Lambertus zurückdenkt. Wie es aussieht, gibt es in der breiten Öffentlichkeit ein Gespür für etwas „Heiliges“, das sich nicht mit der Bedeutung des gängigen kirchlichen Begriffs deckt. Deshalb setzt der Abriss einer Kirche auch in kirchenfernen Kreisen Emotionen frei. Und genau an dieser Stelle setzt das Projekt „Transara“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) an, das sich mit „Sakralraumtransformation. Funktion und Nutzung religiöser Orte in Deutschland“ auseinandersetzt.

Dass Bistümer sich in Zukunft von Kirchen trennen müssen, ist unbestritten. Im Bistum Aachen haben die Verantwortlichen der Pfarreien nach Beendigung des KIM-Prozesses bereits 150 Kirchen benannt, die fortan aus der Förderung herausfallen. Es ist aber anzunehmen, dass nicht an allen Orten schon Pläne in der Schublade lagen, was in Zukunft mit diesen Kirchen geschehen sollte.

Schon jetzt wird in vielen Gotteshäusern nicht mehr gebetet, getauft und geheiratet. Die ehemalige Kirche St. Peter Waldhausen ist heute ein „Kletterparadies“, St. Alfons Aachen beherbergt Büros, in St. Norbertus Krefeld wurden Sozialwohnungen integriert, so wie auch die frühere Kirche Herz Jesu in Mönchengladbach-Pesch zu Wohnungen umgebaut wurde. St. Elisabeth in Aachen wiederum ist Standort des Vereins „Digital Hub Aachen“, der sich für die Digitalisierung der Wirtschaft und der öffentlichen Hand der Region Aachen einsetzt.

Wie soll eine überzählige Kirche zukünftig genutzt werden? Die kurze Aufzählung der bereits erfolgten Umnutzungen lässt die Bandbreite der möglichen Lösungen erahnen. Was bei diesem schnellen Überblick aber auch klar wird: Nicht jede Lösung wird vom Umfeld als gelungen akzeptiert. Das liegt unter anderem natürlich daran, weil es viele verschiedene Blickwinkel gibt, aus denen man auf das Ergebnis schauen kann. Gerade weil die Fragestellung so komplex ist, arbeitet die DFG-Forschungsgruppe in sieben Teilprojekten, die aus einer jeweils anderen Perspektive das Thema der Sakralraumtransformation betrachten und an verschiedenen Universitäten und Hochschulen angesiedelt sind.

Im Einzelnen sind folgende Fächer abgedeckt: Liturgiewissenschaft, Praktische Theologie, Kunstgeschichte, Architektur, Immobilienwirtschaft, Religionswissenschaft und Pastoraltheologie. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kennen Konzepte aus dem ganzen deutschsprachigen Raum und bieten auch gern ihre Hilfe an. „Unterschiedliche Akteure haben unterschiedliche Interessen, welche sie in die Transformationsprozesse einfließen lassen. Welche Entscheidun-gen warum getroffen werden, wer maßgeblich an der Entscheidungsfindung beteiligt ist und welche Interessen berücksichtigt werden, ist ein wichtiges Untersuchungsfeld der DFG-Forschungsgruppe“, erklärt Alexander Radej, Wis-senschaftlicher Mitarbeiter eben dieser Gruppe.

Laut Albert Gerhards gibt es viele Möglichkeiten, Kirchen zu retten, wenn man es wolle. Die GdG Selige Helena Stollenwerk in Simmerath zum Beispiel stellte nach Abschluss des KIM-Prozesses keine einzige Kirche aus dem Pfarrgebiet zur Disposition. Hier wurde ein Fonds gegründet, in den alle zur GdG gehörenden Kirchengemeinden einzahlen und aus dem notwendige Reparaturarbeiten bezahlt werden sollen. Angesichts der Fakten, dass die Kirchensteuereinnahmen sinken und die Zahl der Gottesdienstbesucher ebenso schrumpft wie die der Priester, vertagt diese Lösung das Problem der Kirchennutzung zwar nur. In der Zwischenzeit lässt sich mit einer solchen Lösung aber sicher gut leben.

Zeit ist nämlich ein wichtiger Faktor bei der Überlegung, wie eine Kirche zukünftig sinnvoll genutzt werden kann. Manche Kirchengemeinde sieht inzwischen in der Diskussion um den Erhalt des Gotteshauses eine Chance, als Kirche am Ort zu neuen Ufern aufzubrechen. Da gilt es, die Dinge in Ruhe zu entwickeln und nicht etwa unter Druck eine vorschnelle Entscheidung zu treffen. Sinnvollerweise fangen die Verantwortlichen mit den Überlegungen an, bevor eine Kirche geschlossen oder entwidmet wird. Die Zukunft einer Kirche gestaltet sich am besten gemeinsam mit den Menschen, die vor Ort leben und sich engagieren. Dabei kommen auch Partner aus der Zivilgemeinde als Ideengeber in Frage.  
So hat sich das Lehr- und Forschungsgebiet für Immobilienprojektentwicklung (IPE) der RWTH Aachen mit der Entwicklung von Konzepten zur Weiternutzung, Teilnutzung oder Umnutzung der Kirche St. Johannes in Merkstein beschäftigt. Studierende der Fakultät Architektur entwickelten Entwürfe für eine Umnutzung der Kirche, die 1961/62 von Kirchenbaumeister Emil Steffann errichtet wurde. In Kürze erscheint eine umfangreiche Publikation des Fachbereichs zur Umnutzung von Kirchen, die 21 Beispiele zu entwidmeten und umgebauten Sakralbauten aus Nordrhein-Westfalen beinhaltet. Viele der 
Ideen sehen weiterhin einen Andachtsraum vor.

St. Johann B. aus Krefeld wird beim Prozess der Umnutzung professionell begleitet

St. Johann Baptist aus Krefeld gehört zu denen, die in die Offensive gegangen sind. Die Gemeinde der Pfarrei Maria Frieden bewarb sich Anfang 2019 beim Projekt „Zukunft – Kirchen – Räume“. Es handelt sich dabei um ein Kooperationsprojekt von Stadt-Bau-Kultur NRW, der Architektenkammer NRW und der Ingenieurkammer-Bau NRW unter Mitwirkung der (Erz-)Bistümer und Landeskirchen in Nordrhein-Westfalen und Unterstützung des M:AI (Museum für Architektur und Ingenieurkunst NRW) und der RWTH Aachen. Seine selbst gestellte Aufgabe: die Sakralbauten Nordrhein-Westfalens vor Leerstand und Verfall zu bewahren. Außerdem bauen die Projektpartner ein Netzwerk zur fachlichen Unterstützung auf und bieten eine praxisbezogene Unterstützung an.

Aus 21 Bewerbungen wählte eine Fachjury im Jahr 2019 die acht Projekte aus, die bis Ende 2020 fachlich begleitet werden sollten, ein neues Konzept für die bauliche Anpassung oder Umnutzung ihres Kirchengebäudes zu entwickeln. Zu den Auserwählten gehörte auch St. Johann B. Krefeld. „Den großen Innenraum für sozial anspruchsvolle, generationsübergreifende Zwecke umzunutzen, wird auf die Umgebung positiv ausstrahlen können. Auch, weil der Projektträger bereit ist, angemessene Kooperationen einzugehen, scheint der Jury die begleitende Unterstützung aller Beteiligten sinnvoll zu sein“, lautet ein Auszug aus der Entscheidungsbegründung. „Da wir als Verantwortliche im Kirchenvorstand ehrenamtlich arbeiten, ist die Unterstützung durch externe Prozessbegleiter eine wertvolle Hilfe, besonders bei der Suche nach Kooperationspartnern, Investoren oder potenziellen Nutzern“, bringt es Peter Reynders auf den Punkt. Er ist Mitglied des Kirchenvorstandes der Pfarrei Maria Frieden und gehört damit zu den verantwortlichen Entscheidern bei der Frage um die Zukunft von St. Johann B. „Letztendlich bleibt es aufgrund des schlechten Gebäudezustandes und der Größe eine Herausforderung, diese Kirche einer neuen Nutzung zuzuführen“, gesteht Reynders.

Eigentlich sollte es eine Wanderausstellung geben, die anhand von 17 Projekten – überwiegend aus Nordrhein-Westfalen –, erläutern wollte, mit welchen neuen Konzepten und baulichen Veränderungen sich Kirchengemeinden der Herausforderung stellen, wenn sie eines ihrer Kirchengebäude als Gemeindekirche aufgegeben müssen. Die ist allerdings der Coronakrise zum Opfer gefallen.

Nichtsdestotrotz hat die Krefelder Pfarrei Maria Frieden mit ihrer Prozessbegleiterin Christine Loth vom gleichnamigen Planungsbüro in Siegen eine konstruktive Zusammenarbeit begonnen. Die große Krefelder Kirche St. Johann B. bietet im wörtlichen Sinne viel Raum für Fantasien. Welche davon tatsächlich realisierbar wären und vor allem mit welchen Kooperationspartnern, Investoren und Finanzmitteln man das Gebäude weiterentwickeln kann, war Gegenstand der Überlegungen.

Anfang Februar wurde nun das Unterstützungsprogramm des Projektes „Zukunft – Kirchen – Räume“ entschieden. Die acht Jurymitglieder, darunter als einziger Vertreter eines Bistums Dipl.-Ing. Michael Scholz, Referent für kirchliches Bauen, Kunst und Denkmalpflege des Bischöfliches Generalvikariats Aachen, gab bekannt: Fünf Projekte werden ein weiteres Jahr lang in ihrem Vorhaben zur Umnutzung leer stehender Kirchengebäude von Baukultur NRW unterstützt.

An erster Stelle der prämierten Kirchen wird St. Johann B. in Krefeld genannt. Die Kirche St. Johann Baptist in Krefeld-Dießem-Lehmheide wurde 1894 von Josef Kleesattel erbaut. Die freistehende, dreischiffige Basilika im neogotischen Stil prägt mit ihrem hohen Westturm in einzigartiger Weise nicht nur das Bild des Stadtviertels, sondern ganz Krefelds. 
Im zweiten Teil des Umnutzungsprozesses sollen die ausgewählten Teilnehmer nun die erarbeiteten Vorstudien vertiefen, Nutzungsideen konkretisieren und nötige Voraussetzungen für eine bauliche Umsetzung analysieren.

In der Nähe der Kirche St. Johann B. Krefeld befinden sich Standorte des Helios-Klinikums und der Hochschule Niederrhein sowie das Caritas-Altenheim Marienheim. „Kindergartenplätze, günstiger Wohnraum für Familien, für Senioren aus dem Bezirk oder für Studenten der Hochschule“ oder „eine Nutzung als Veranstaltungsstätte“ – die Pfarrei Maria Frieden steht einer Umnutzung von St. Johann B. offen gegenüber. Die Entwidmung der denkmalgeschützten Kirche ist beantragt.

https://www.zukunft-kirchen-raeume.de;
https://www.zukunft-kirchen-raeume.de/
aktuelles/prozesseinblick-teil-3-
st-johann-baptist-in-krefeld;
https://www.bistum-aachen.de/Gemeindearbeit/
Nutzung-und-Umnutzung-von-Kirchen; 
http://transara.de