Trocken zu werden und zu bleiben, verdankt er genau solchen Zufällen, die für ihn eigentlich keine sind, sowie den Anonymen Alkoholikern (AA) und einer Therapie. Dass er abhängig war vom Alkohol und die tägliche Dosis Whisky ihn kaputt machte – eigentlich wusste Gerd das. Doch es brauchte erst einen Unfall, den Verlust seines Jobs, die Begegnung mit einer Sachbearbeiterin im Arbeitsamt, die ziemlich genau zu wissen schien, wo sein Problem lag, und jemanden, der dafür sorgte, dass er zu einem AA-Meeting ging. „Als ich da reinkam, und am Empfang saß die Dame vom Arbeitsamt, konnte ich nicht an Zufälle glauben. Ich wusste, es gibt da etwas, das ist größer als ich“, sagt er. Er blieb und ließ sich auf die Philosophie der AA ein: Mit anderen über seine Probleme reden, um trocken zu werden und zu bleiben, und diese Botschaft an andere Betroffene weitergeben.
Ihren Ursprung haben die Anonymen Alkoholiker 1935 in Amerika. Börsenmakler Bill W., seit Kurzem trocken, suchte einen anderen Alkoholiker zum Reden, um das auch zu bleiben. So lernte er Dr. Bob kennen. Der war zunächst skeptisch. Doch beide erkannten, dieses Teilen von Erfahrungen, die nur Alkoholiker gemacht haben, konnte sie tatsächlich vom Trinken abhalten. Das wurde zur Basis der Bewegung, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg durch amerikanische Soldaten immer weiter, auch in Deutschland, ausbreitete.
Von Anfang an ist dabei auch Gott oder „eine höhere Macht“ (die AA sind mit keiner Sekte, Religion oder Konfession verbunden und stehen jedem offen, der mit dem Trinken aufhören will) ein wichtiger Faktor. In Schritt zwei und drei ihres Zwölf-Schritte-Programms heißt es: „Wir kamen zu dem Glauben, dass eine Macht, größer als wir selbst, uns unsere geistige Gesundheit wiedergeben kann. Wir fassten den Entschluss, unseren Willen und unser Leben der Sorge Gottes – wie wir ihn verstanden – anzuvertrauen.“ Ohne diese spirituellen Wurzeln, sagt auch Gerd, funktioniert es nicht. „Ein täglicher spiritueller Impuls oder ein Gebet gehören dazu. Nicht für alle, aber für viele von uns.“ Eine Sucht zu überwinden bedeute einen Gipfel zu erklimmen. Heroin oder andere harte Drogen seien „der Everest“, Alkohol dagegen „nur der K2“. Einen „Seilpartner“ in Form einer Macht, die größer ist als wir – wie auch immer jemand sie bezeichnet – kann über Erfolg oder Scheitern entscheiden. Bestiegen wird der Gipfel in 24-Stunden-Etappen. Das ist der Zeitraum, den man überschauen kann, in dem man sich vornimmt, keinen Alkohol zu trinken. Schafft man das, folgen die nächsten 24 Stunden.
Zum Trocken-Werden gehört unter anderem Selbsterkenntnis, anzuschauen, wo die eigenen Fehler liegen und wen man alles verletzt hat. Man kann die Schuld bei anderen suchen, aber die Entscheidung zu trinken trifft jeder selbst. Weshalb man auch nur selbst und aus eigenem Willen damit aufhören könne, erklärt Gerd. Solange man trinke, fühle man sich wie „der Herrscher der Welt“ oder auch wie Gott – obwohl man eigentlich gerade kurz vor dem Abgrund steht. Zu erkennen, „dass du nicht Superman bist, aber auch nicht der letzte Arsch“, dabei helfe die Gruppe. Hier ist jeder gleich, egal wer oder was er sonst ist. Anonymität, sich nur beim Vornamen zu nennen, bedeutet Erdung, ein „gewolltes Gleichmachen“ und ein Schutz für den anderen. „Bei uns zählt nicht, wie lange jemand dabei ist, nur das Heute.“ Ebenso wichtig, die Wahrheit des anderen gelten zu lassen. „Sagt einer ,ich bin trocken’, obwohl jeder in der Gruppe merkt, er hat getrunken, dann gilt sein Wort“, erklärt Gerd. Deshalb sage auch niemand: „Du bist Alkoholiker“, sondern das müsse schon jeder für sich erkennen. „Die Meetings sind unsere Medizin, wie das Insulin für den Diabetiker.“ Zu wissen, das ich nicht alleine bin und über mein Problem reden kann, hilft, trocken zu bleiben. Genauso schwer wie der Weg des Alkoholikers ist auch der der Angehörigen. „Alkohol zerstört mehr als nur ein Leben“, erklärt Gerd. Familienmitglieder und Freunde finden Hilfe in den „Al-anon“-Gruppen. Auch hier steht das Teilen der Erfahrungen im Mittelpunkt, um selbst wieder heil werden und den Betroffenen dabei unterstützen zu können. Oft suchten zuerst die Angehörigen Hilfe, bevor die Betroffenen selbst bereit dazu seien. Zuzusehen, wie der andere erst „gegen die Wand krachen“ müsse, sei dabei das Schwerste. Doch nur, wenn der Alkoholiker selbst bereit dazu sei, habe er eine Chance, es zu schaffen.
Informationen und Hilfe unter: www.anonyme- alkoholiker.de und www.al-anon.de