Neugier, Respekt und Freude

Josef Wolff startet von Jülich über Sri Lanka und die Dürener Bahnhofsmission zur GdG Grenzenlos in Aachen

(c) Dorothée Schenk
Datum:
6. Dez. 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 49/2022 | Dorothée Schenk

Im Grunde, so sagt Propst Josef Wolff, folge er genau dem Verfahren des „Heute-bei-dir“-Prozesses: „Ich komme aus der bisherigen Blase heraus und blicke neu aufs Ganze und meine Aufgaben.“ Im Sommer hatte er als leitender Pfarrer der Jülicher Pfarrei Heilig Geist angekündigt, „in die Wüste zu gehen“. Überlastet und erschöpft von der Fülle der Aufgaben hat er im September eine mit dem Bistum abgestimmte „gestaltete Auszeit“ genommen. 

Fazit vorweg: Die Entscheidung war gut und richtig. „Sie hat genau das gebracht, was sie sollte: Aus der Erschöpfung herauszukommen – Abstand zu gewinnen – neu auf die Rolle zu schauen und sich auf das Neue, Kommende zu freuen“, so fasst der noch amtierende Propst Josef Wolff es zusammen. Derzeit steht er so früh auf wie sonst nie: Um 6 Uhr nämlich, damit er um 7 Uhr die Laudes beten kann und um 7.43 Uhr im Zug nach Düren sitzt. An Gleis 1 erwartet ihn seine selbstgewählte neue Aufgabe: die Menschen an Gleis 1 in der Bahnhofsmission. Um 8.05 Uhr gehen hier die Türen auf. „Das Schöne ist ein Potpourrie aus vielem: Ich treffe auf Leute, die eine einfache Auskunft brauchen, Menschen mit Behinderungen, die Hilfe beim Umsteigen brauchen. Ein großes Thema ist Obdachlosigkeit und Not im Allgemeinen.“

Inzwischen hat sich Josef Wolff vertraut gemacht mit den Menschen vor Ort, kennt viele Lebensgeschichten von „Stammkunden“. „Wenn du eine gute Stube hast mit einer offenen Tür, kommen gerne die, die keine gute Stube haben, sondern nur ein Zelt – wenn überhaupt.“ Interessant, überraschend, anrührend sind Adjektive, mit denen der Priester seine derzeitige Arbeit beschreibt. „Im Prinzip bieten wir da nur erste Hilfe.“

Und wenn Feierabend ist, dann hat er frei. Es wartet keine (berufliche!) Post – weder physische noch digitale auf ihn, kein Schriftsatz ist zu lesen oder Aufgaben zu erledigen, die über Tag liegen geblieben sind. „Eine geregelte Arbeitszeit entstresst schon“, gibt er zu. Das war bis Ende September anders. Da war er der „Regler“ der Pfarrei Heilig Geist: „Alles, was auf meinem Schreibtisch landete, was nicht geregelt war – diese Dinge musste ich regeln.“

Josef Wolff folgt seiner Berufung: In der Gemeinde im Talar (Foto oben) und in der Bahnhofsmission im Blaumann. (c) privat
Josef Wolff folgt seiner Berufung: In der Gemeinde im Talar (Foto oben) und in der Bahnhofsmission im Blaumann.

Das nenne sich in Kirche „Leitung“. Dabei ist Josef Wolff voll des Lobes für die Menschen im Pastoralteam, in den Gremien, seine kirchengemeindlichen Angestellten. Sein Problem, so sagt er, sei seine mangelnde Fähigkeit zur Abgrenzung. Zehn Jahre, in denen die meisten Diensttage erst um 22 Uhr und die Arbeitswoche nie nach fünf, oft aber auch nicht nach sechs Tagen endeten, zehrten an Gesundheit und Seele. „Nach einer mehrwöchigen klinischen Therapie wegen Dauererschöpfung Anfang 2021 wollte ich eigentlich meine Rolle so ändern, dass Leitungsaufgaben besser aufgeteilt sind. Es gelang mir jedoch nicht.“

Darum habe er das Bistum um einen Rollenwechsel gebeten. „Ich muss lernen, mit meinen Grenzen umzugehen, einen freien Abend auszuhalten, lernen, normalen Dienst zu tun.“ 
Der erste Schritt scheint geschafft: Erst einmal hat er eine große Distanz zwischen sich und seinen Arbeitsplatz gelegt: In Sri Lanka traf er nicht nur Perera Tyronne, der 2019 eine Zeitlang in der Jülicher Pfarrei lebte und arbeitete, sondern sorgte mit einer Ayurveda-Kur für seine Gesundheit. Die buddhistische Haltung der Selbsterlösung, „sich soweit von der Welt zu distanzieren, dass man nicht mehr leidet – in der Sache hilft es.“ Tiefenentspannt sei er zurückgekehrt. So könne er auch gelassen im Schatten der Propsteikirche und direkter Nachbarschaft zum Pfarrbüro leben. „Mich interessiert, wie es weitergeht, aber ohne das Jucken, mich einmischen zu müssen.“

Das Prinzip möchte er auch in der GdG Grenzenlos in Aachen beibehalten, wo er als Administrator die Nachfolge von Thorsten Aymanns, dem Leiter Strategiemanagement im Bistum Aachen, antritt. „Ich muss aufpassen, dass ich nicht sage: Vergesst, was Ihr bislang gemacht habt – ich weiß es besser.“ Spricht’s und lacht schallend. Das sei die große Sorge der Menschen gewesen, dass jemand kommt und, was sich bewährt hat, wegwischt.

So versteht er seine Aufgabe aber nicht. Ihm liegt an einer Bestärkung der Aktiven, Ehrenamtlichen: „Die Zukunft gehört nicht mehr den Priestern und auch nicht den Hauptamtlichen – entweder schaffen wir es, Menschen zu begeistern, sich für Kirche zu begeistern und Verantwortung zu übernehmen, oder es wird keine sichtbare, greifbare Kirche mehr geben.“ Zunächst auf ein Jahr befristet ist die Aufgabe. Und dann zurück nach Jülich? „Ist es sinnvoll, wenn ich dann in diesem pastoralen Raum eine Rolle spiele – oder nicht? Da habe ich noch keine Meinung zu, da bin ich hin- und hergerissen.“ Jülich und die Menschen seien ihm ein Stück Heimat geworden, aber die Überlegung, dass am alten Ort in alte Muster verfallen würde, ist berechtigt. Und so startet er in die neue Aufgabe „mit Interesse, Respekt und im Kern Freude“.