Künftige Generationen werden in den Geschichtsbüchern nachlesen müssen, dass Morschenich ursprünglich ein Ort mit langer Historie an der L257 gelegen war. Seit Ende vergangenen Jahres heißt das Dorf „Bürgewald“. In knapp fünf Kilometern Luftlinie liegt heute „Morschenich“, umgesiedelt und im Aufbau begriffen.
Wer heute nach Bürgewald fährt, so hat es den Anschein, will nicht bleiben. Es herrscht reichlich Verkehr: Wohnmobile, Pkw und Laster sind auf der kurvigen Durchgangsstraße nach Buir und Kerpen unterwegs. Hier und da sind Menschen zu sehen. Hundebesitzer sind unterwegs auf dem Weg ins Feld. Dorthin, wo die Bagger und die Abbruchkante mit bloßem Auge zu sehen sind. Wenige Gebäude sind bewohnt, die meisten mit Holzlatten verrammelt.
Nach Auskunft von Inga Dohmes, die in Doppelfunktion Ortsvorsteherin von Bürgewald und Morschenich ist, leben hier rund 70 Menschen. Vor allem Geflüchtete und Sicherheitspersonal von RWE, die unter dem Motto „bewohnen statt bewachen“ ein Schutzschild gegen mutwillige Zerstörung und Plünderer sein sollen, sind in den alten Eigenheimen von Morschenichern untergebracht. Von den Alteingesessenen seien noch fünf am Ort, zählt Dohmes auf. Eine alte Dame sei vor dem Umzug gestorben. Ein alter Herr bliebe krankheitsbedingt. Für die Übrigen stünde der Umzug noch bevor.
Wer auf den Bus wartet, dessen Haltestelle an der Oberstraße immer noch „Kirche“ heißt, hat einen guten Blick auf St.Lambertus – oder das, was von dem entwidmeten Gotteshaus übrig ist. 2023 im April ist es bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Als Kultur- und Begegnungsstätte soll es wieder errichtet werden.
Die Entwicklung des Ortes scheint aber zu stagnieren, hat Inga Dohmes den Eindruck. Von Kindesbeinen an ist sie mit dem Wissen groß geworden, dass ihr Dorf irgendwann von der Landkarte verschwinden werde. Jahrelang, so schildert sie, habe dieses Wissen das Leben bestimmt. „Als es hieß, Morschenich bleibt, da hat man sich echt gefühlt, wie vor den Kopf geschlagen“, sagt sie. Für Inga Dohmes selbst wie für viele der rund 70 Prozent „Ureinwohner“, die mit in den neuen Ort Morschenich gezogen sind, käme eine Rückkehr nicht infrage. Dabei dürfe man eines nicht vergessen: „Trotz dieses Heimatverlustgefühls, haben wir – dadurch, dass der Ort stehen bleibt – die Möglichkeit, immer mal wieder dorthin zurückzukehren; wenn man möchte.“
Als „Ort der Zukunft“ begrüßt „Bürgewald“ die Menschen. Für den Rückkauf des Areals von RWE durch die Gemeinde Merzenich und die umfassende Sanierung und Entwicklung des Ortes hat das Land NRW rund 90 Millionen Euro bereitgestellt. Nach Bekunden des Heimatministeriums soll „im Zukunftsdorf“ das frühere Ortsbild mit historisch wertvollen Gebäuden und Strukturen erhalten und gleichzeitig durch „innovative Gebäude und Baufelder nachhaltig ergänzt werden“.
Das ist eher Zukunftsmusik. Am Masterplan wird noch gefeilt. „Morschenich-Alt ist das erste von insgesamt sechs früheren Braunkohle-Dörfern, das im Rahmen des vorzeitigen Kohleausstiegs 2030 wiederbelebt wird“, heißt es in der offiziellen Verlautbarung.