Neue Wege ausprobieren

Die vier gemeinnützigen Kita-Trägergesellschaften im Bistum Aachen werben Fachkräfte in Spanien an

Ab dem Kindergartenjahr 2023/24 sollen  die spanischen Erzieherinnen und Erzieher nach erfolgreicher Eingewöhnung eingesetzt werden. (c) unsplash/Sebastian Pandelache
Ab dem Kindergartenjahr 2023/24 sollen die spanischen Erzieherinnen und Erzieher nach erfolgreicher Eingewöhnung eingesetzt werden.
Datum:
1. Sept. 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 34/2022 | Andrea Thomas

An Fachkräften mangelt es in vielen Bereichen. Einer davon sind Kindertageseinrichtungen (Kitas), die trägerübergreifend nach pädagogischem Personal suchen. Um dieses nicht anderen Trägern abzuwerben, gehen die vier gemeinnützigen Kitaträger im Bistum Aachen – Pro multis, Pro futura, Profinos und Horizonte – gemeinsam neue Wege und werben zum Kindergartenjahr 2023/24 junge Fachkräfte aus Spanien an.

Zu Beginn eines Kindergartenjahres, das vom 1. August bis zum 31. Juli des Folgejahres dauert, sei die Situation meist noch relativ gut, berichtet Heinz Zohren, Geschäftsführer von Pro futura, des Trägers für die Regionen Aachen-Stadt und Aachen-Land. Doch im Laufe des Jahres baue sich der Mangel an Fachkräften Stück für Stück auf. Mitarbeiterinnen werden schwanger, fallen krankheitsbedingt für einen längeren Zeitraum aus, gehen im laufenden Kindergartenjahr in den Ruhestand.

In der Stadt Aachen seien trägerübergreifend in den insgesamt 145 Einrichtungen geschätzt 100 Stellen unbesetzt. Anderswo sieht es ähnlich aus. „Wir schätzen, dass bis 2024 allein in Mönchengladbach der Bedarf bei mehr als 700 Erzieherinnen für alle Kitas in kommunaler und freier Trägerschaft liegt“, sagt Nathalie Lerm, Gebietsleiterin bei Pro multis, dem Träger für die Regionen Mönchengladbach und Heinsberg. Bei Horizonte, dem Träger für die Regionen Krefeld und Kempen/Viersen, ist die Situation aktuell noch entspannt, doch das könne sich übers Jahr durch Krankheit und andere Ausfälle rasch ändern, sagt auch Sylwia Digiacomo. „Wir dürfen erst gar nicht dahin kommen, dass die Erzieherinnen auf dem Zahnfleisch gehen, und müssen Fehlzeiten entgegenwirken, bevor sie überhaupt entstehen können.“

Zu wenige Stellen in Spanien

Alle vier Träger setzen dem Fachkräftemangel in ihren Einrichtungen eine Reihe Maßnahmen entgegen. Horizonte ist Träger von 23 Kitas, Pro futura von 36 Kitas, Pro multis von 58 Kitas und Profinos, Träger für die Regionen Düren und Eifel, hat 40 Kitas. Zur Verbesserung der personellen Situation erhöhen die Träger ihre Ausbildungskapazitäten. Was wirke, aber eher längerfristig. Sie besetzen zum Teil den Stellenplan zu über 100 Prozent, um Ausfälle im Laufe des Kindergartenjahres besser kompensieren zu können, werben über Plakate und Banner, Ausschreibungen in den digitalen Medien. Außerdem versuchen sie neue Kräfte mit guten Arbeitsbedingungen, Fortbildungsmöglichkeiten oder der Übernahme in eine unbefristete Stelle nach Abschluss der Ausbildung von sich zu überzeugen. Doch all das reicht nicht, um dem Fachkräftemangel dauerhaft zu begegnen. Insbesondere deshalb, weil es einfach zu wenig Kräfte gebe, und sich die gegenseitig abzuwerben am Ende keine Lösung sei, wie die Verantwortlichen erklären. Daraus entstand die Idee der vier Träger-GmbH, neue, ungewöhnliche Wege zu versuchen und es den Städten Bonn und Mönchengladbach nachzumachen. Die haben bereits spanische Fachkräfte für ihre kommunalen Einrichtungen angeworben und gute Erfahrungen damit gemacht.

So wie in Deutschland ein Mangel an qualifizierten Erzieherinnen und Erziehern herrscht, fehlt es in Spanien an Stellen für junge Menschen, die diesen Beruf ausüben möchten. Nach Abschluss ihres Studiums finden nur etwa 60 Prozent eine feste Stelle. In Spanien werden die Kitas überwiegend von staatlichen und kommunalen Stellen betrieben. Die anderen pädagogischen Fachkräfte haben befristete Arbeitsverträge und wissen oft im Frühjahr nicht, ob sie im Sommer weiterbeschäftigt werden oder arbeiten in anderen Branchen. Ihnen die Möglichkeit anzubieten, in Deutschland eine unbefristete Stelle in ihrem Fachgebiet zu bekommen, hat daher Vorteile für beide Seiten. Die Inhalte des Studiums in Spanien sind den Anforderungen in der Ausbildung deutscher Erzieherinnen und Erzieher vergleichbar, so dass dies für die Tätigkeit als Fachkräfte in den Kitas in Nordrhein-Westfalen von den jeweiligen Bezirksregierungen anerkannt wird.

Der Ablauf ist wie folgt geplant: Über die Agentur „Talentbrücke“ werden 15 Absolventinnen oder Absolventen der Universität Madrid ausgewählt, die bereit sind, nach ihrem erfolgreichen Abschluss nach Deutschland auszuwandern und für einen Träger im Bistum Aachen zu arbeiten. Wie viele am Ende in welcher Region eingesetzt werden, hängt ein wenig davon ab, wohin sie sich letztlich bewerben werden. Alle Träger stellen sich und ihre Regionen vor, so dass die Bewerberinnen und Bewerber schauen können, was für sie auch vom Umfeld her passen könnte. Einen vorher festgelegten Verteilungsschlüssel gibt es nicht.

Über die „Talentbrücke“ absolvieren die spanischen Kräfte einen Sprachkurs, den sie mit dem B2-Level abschließen müssen. Die Kosten von 20000 Euro dafür teilen sich die vier Träger zu gleichen Teilen. Hinzu kommen Kosten von 6500 Euro für die erfolgreiche Vermittlung einer Fachkraft. Die werden in zwei Raten gezahlt, eine zum Start der Tätigkeit und eine nach vier Monaten. Nach der Anwerbung in diesem Sommer folgt ab Herbst bis zum Jahreswechsel der Sprachkurs, so dass Anfang 2023 eine Anerkennung durch die zuständige Bezirksregierung erfolgen kann. Klappt das alles, wird es für die jungen Spanierinnen und Spanier ernst. Im Frühjahr ziehen sie – so der Plan – an ihre neuen Wirkungsstätten im Bistum Aachen um. Bis zum Sommer sollen sie in den Einrichtungen vor Ort eingearbeitet werden, so dass sie mit dem neuen Kindergartenjahr in vollem Umfang eingesetzt werden können.

Voneinander profitieren

Auf ihren Schultern sollte der Fachkräftemangel nicht ausgetragen werden: den Kindern. (c) nsplash/Andy Newton
Auf ihren Schultern sollte der Fachkräftemangel nicht ausgetragen werden: den Kindern.

Ein Abenteuer und eine Herausforderung nicht nur für die neuen Fachkräfte, sondern auch für die vier Träger und die Teams in den Einrichtungen, in denen sie eingesetzt werden sollen. „Wir wollen den Kulturschock so gering wie möglich halten“, sagt Gabriele Johnen, Verbundleitung der Pro-futura-Kitas in Herzogenrath-Kohlscheid. Das heißt, sie willkommen heißen und ihnen, wo immer es möglich ist, beim Einleben behilflich sein. Angefangen bei der Wohnungssuche über Behördengänge und Papierkram bis zur Vermittlung von Kontakten zu spanischen Institutionen oder Einrichtungen. Oder auch ganz einfach, indem die ein oder andere neue Kollegin sie ein bisschen „unter ihre Fittiche“ nimmt. Da entstünden sicherlich schnell Verbindungen über gemeinsame Interessen und Hobbys. Auch beim fachlichen Einleben wollen die Einrichtungen unterstützen und Perspektiven anbieten, um die neuen Kräfte langfristig zu binden. „Kulturelle und pädagogische Unterschiede können auch bereichernd sein, und wir können gegenseitig voneinander profitieren“, ist Gabriele Johnen überzeugt.

Das gemeinsame Projekt ist ein erster Versuch, ob es funktioniert, ausländische Fachkräfte in die Einrichtungen zu integrieren. Den wollen die Träger gemeinsam begleiten und auswerten, um zu sehen, für wen das funktioniert. Bei einem positiven Verlauf ist eine Fortsetzung, ob alleine oder im Verbund, denkbar.