Wer sich Engel als blondgelockte Wesen mit Flügeln vorstellt, der irrt. Manchmal kommen die Engel in schwarzen Kutten, haben bunte Haare und Tattoos im Gesicht und auf den Armen. Trotzdem zeigen die Besucher in der Citykirche keine Scheu. Die Barber Angels sind gekommen, um Haare zu schneiden und Bärte zu stutzen – und ihren Kunden ihr Selbstwertgefühl zurückzugeben.
Leise rinnen der Frau im Rollstuhl Tränen über das Gesicht. Ihre Haare sind verfilzt vom langen Liegen. Während sie bettlägerig war, konnte sie ihre Haare nicht so pflegen, wie es nötig gewesen wäre. Ihr Mann wusste nicht, was er machen sollte. Jetzt sitzt sie in der Citykirche in Mönchengladbach und Zenturio Coco bearbeitet die Haare mit dem Kamm. Eine gute Dreiviertelstunde braucht die Friseurin mit dem Kamm, Strähne für Strähne nimmt sie sich die Haare vor. Ihre Kundin hatte befürchtet, dass Coco kapitulieren und mit der Schere die Haare radikal kürzen würde. Als Coco fertig ist, trägt die Frau im Rollstuhl einen geflochtenen Zopf, der ihr seitlich über die Schulter fällt.
„Damit kannst Du auch im Bett liegen", sagt Coco und gibt dem Ehemann noch ein paar Tipps für die Haarpflege mit auf den Weg.
Mit Kamm, Schere, Waschhaube und Föhn bringen die Barber Angels das Glück zu ihren Kunden. „Das Spiegelbild, das sie nach dem Frisieren sehen, ist für die Leute so wichtig", sagt Engel Erti. „Ihr Selbstwert ist anders und sie merken oft, dass sie mit der neuen Frisur anders behandelt werden." Das gepflegte Erscheinungsbild tut nicht nur der Seele der Kunden gut: Auch in der Gesellschaft werden sie anders wahrgenommen.
Erti ist zusammen mit seiner Frau Page hier, die Friseurmeisterin ist. Page schneidet gerade einer Kundin eine flotte Kurzhaarfrisur. Deren Freundin sitzt daneben, ihre Haare umrahmen als luftiger Bob das Gesicht. Erti selbst ist kein Friseur, sondern in der Gartenbau-Branche. Deshalb hilft Erti bei der Organisation des Einsatzes. Zum siebten Mal ist er dabei. Sein erster Einsatz war in Düsseldorf. „Es ist ein tolles Gefühl, Leuten zu helfen", sagt Erti. Zehn Jahre war er im Rettungsdienst, er weiß, wie übel das Leben Menschen mitspielen kann.
Patrick sitzt gerade bei Engel Andreas auf dem Stuhl. Ein heller Frisierumhang schützt den Pullover des jungen Mannes vor Verschmutzung – genau wie in einem richtigen Friseursalon. Mit jedem Schnitt fällt ein kleines Haarbüschel auf den Umhang. Auch den Bart schneidet Andreas. Mit dem Spiegel zeigt er Patrick am Ende, worauf er beim Nachschneiden des Bartes achten muss. „So hätte ich das nie hingekriegt", freut sich Patrick beim Blick in den Spiegel. Auch Sunny, der Hund eines Bekannten, findet Patricks neues Aussehen sympathisch. Freudig springt der kleine Hund an Patricks Beinen hoch. Das ist das erste Mal, dass er mich so begrüßt", sagt Patrick und krault Sunny hinter dem Ohr.
Immer wieder erlebt Zenturio Coco, wie ihre Kunden wieder Mut fassen, wenn sie sich mit neuer Frisur das erste Mal im Spiegel sehen. „Es gibt welche, die sich dann wieder trauen, sich zu bewerben", erzählt sie. Seit Mai 2017 ist sie bei den Barber Angels und hat ihr ehrenamtliches Engagement längst mit in ihren Salon genommen. „Am Anfang waren meine Kunden skeptisch, ob die Kämme und Bürsten auch sauber wären", erinnert sich Coco. „Aber ich habe ihnen erklärt, dass ich auch die Bürsten für meine Kunden im Salon desinfizieren muss."
Heute hat sich die Skepsis ihrer Salon-Kunden in Neugierde und Hilfe gewandelt. „Am Dienstag werden mich einige wieder fragen, wo ich dieses Wochenende geschnitten habe", sagt die Friseurmeisterin. Auch brächten ihr viele Menschen Kleidung, Konserven, Decken oder Hundefutter, das Coco in einem Nebenraum ihres Salons sammelt. „Immer wenn der Raum voll ist, rufe ich dann die Bürgerinitiativen 'Neuss packt an' oder 'Gladbach packt an' an, die holen das ab und verteilen es an Obdachlose." Über das Erzählen von ihrem Engagement erzeugt Coco weitere Hilfe. „Wenn ich von allen, denen ich das erzähle, jeden Tag nur ein oder zwei anrege, ebenfalls etwas zu tun, und die tragen das dann weiter, ist das doch schon gut."
Die entspannte Atmosphäre in der Citykirche Mönchengladbach, in der gerade die Porträts der Künstlerin Meike Hahnraths zum Schubladen-Denken gezeigt werden, lockt auch Touristen an. „Eine Gruppe von zehn Personen, die sich die Ausstellung anschauen wollte, ist gerade reingekommen", berichtet Birgit Kaatz, Geschäftsführerin des Sozialdienstes Katholischer Frauen. „Sie waren ganz überrascht und fanden die Aktion toll." Während die Friseure gut gelaunt ihrer Arbeit nachgehen, schauen sich die Besucher in aller Ruhe die Bilder an.
Es ist Zufall, dass die Barber Angels während der Ausstellung zu Besuch sind – wenn auch ein sehr passender. Denn die Porträts zeigen, dass man es Menschen oft nicht ansieht, wer oder was sie sind. „Das ist mit unseren Kunden ja genauso", sagt Erti.
„Wir wissen nicht, was für Menschen sie sind, welches Schicksal sie haben oder woher sie kommen." Dennoch gibt es inzwischen einige Erfahrungswerte im Umgang mit den Kunden. „Erst mal müssen wir Vertrauen aufbauen", sagt Coco. Eine Kopfmassage mit einer medizinischen Waschhaube ist dazu gut geeignet. „Viele sind es gar nicht mehr gewohnt, dass sie berührt werden. Das müssen sie erst mal wieder zulassen", sagt Coco. Wenn sie merkt, wie sich ihre Kundin unter ihren Händen entspannt, weiß sie, dass sie auf dem richtigen Weg ist.
Birgit Kaatz steht mit ihrer Mannschaft am Rande des Trubels. Sie haben Brötchen belegt, literweise Kaffee gekocht und große Platten mit süßem Gebäck aufgestellt. An der Seite, getrennt vom Frisierbereich, ist eine Kaffeetafel eingedeckt, um das neue Körpergefühl zu feiern.
Gegründet wurde der Club Barber Angels Brotherhood 2016. Damals waren es zehn Friseure. Inzwischen schneiden 180 Friseure in Deutschland, auf Mallorca und in den Niederlanden ehrenamtlich Bedürftigen, die sich keinen Frisörbesuch leisten können, die Haare und Bärte.
Einsatz in Mönchengladbach: Zum ersten Mal machten die Barber Angels ihren mobilen Friseursalon im Juli 2018 in Mönchengladbach auf. Der Sozialdienst Katholischer Frauen hatte die Frauen und Männer in die Stadt geholt. Aber auch in anderen Städten sind die Friseure gegen Armut, wie sie sich selber nennen, im Einsatz.
Motto: „Wir sind Barber Angels, weil wir uns um die Not unserer Mitmenschen scheren."
www.b-a-b.club: Wer sich ehrenamtlich engagieren will, findet hier Informationen und Kontaktdaten. Gesucht werden Friseure und andere für verschiedene Aufgaben.