Ausgegrenzt. Schutzlos. Verraten. Entrechtet. Ermordet. Wer einen Krieg führen möchte, muss mit seinen Ressourcen haushalten. Diese zynische Logik der Nationalsozialisten hat zur Ermordung von mindestens 200000 Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen geführt; über 350000 Menschen wurden zwangssterilisiert.
Elf der ermordeten Menschen lebten im Altkreis Monschau. Die Zahl der Zwangssterilisationen lässt sich nicht mehr ermitteln; allein für das Jahr 1935 sind 47 Fälle dokumentiert. Die Verbrechen wurden vertuscht, die Namen vergessen oder die Erinnerung ausgelöscht. Nach dem Krieg gehörte die systematische Ermordung von Kranken zu den Dingen, über die nicht gerne gesprochen wurde. Sehr lange. Der Heimatverein Kalterherberg gibt mit einer von Generalvikar Andreas Frick eingesegneten Gedenkstätte für die Opfer von Euthanasie und Zwangssterilisation den aus dem Leben gerissenen Menschen wieder ihre Namen zurück. Die Stele erinnert öffentlich an das Leid der Opfer – und gibt Angehörigen einen Ort zum Trauern.
„Bereits vor mehr als zehn Jahren gab es einen ersten Versuch, dieses Kapitel der NS-Zeit aufzuarbeiten. Doch die Zurückhaltung war sehr groß“, blickte Reiner Gombert, Vorsitzender des Heimatvereins, während der Einweihung der Gedenkstätte auf dem Friedhof zurück. Mit der Buchveröffentlichung von Dieter Lenzen im Herbst des vergangenen Jahres zu „Zwangssterilisationen und Euthanasieverbrechen im Kreis Monschau“ hat sich das Bewusstsein in der Bevölkerung zu diesem Thema geändert. Im Heimatverein bildete sich ein Arbeitskreis, um das Thema nochmals aufzugreifen, und mit Unterstützung des Autors wurden elf Euthanasie-Opfer identifiziert, wobei in den damaligen Akten die Ermordung meist verschleiert wurde. Laut Totenschein starben viele der vergasten oder mit Giftspritzen getöteten Menschen an einer Lungenentzündung oder Kreislaufschwäche. Gefälschte Totenscheine waren Teil des Systems.
„Stille Ortswechsel, häufige Verlegungen ohne die Information der Angehörigen gehörten zur Strategie“, schilderte der Angehörige Alois Goffart. Der gleichnamige Bruder seines Vaters, geboren am 1. Mai 1915 und ermordet in Andernach am 18. Mai 1941, ist ein Opfer der NS-Ideologie. Goffart: „Die Familien durften ihre Angehörigen nicht mehr besuchen, litten unter der Ungewissheit. Die Toten wurden meist eingeäschert, und die Kirche gestatte keine Feuerbestattung.“ So blieben die Angehörigen mit ihrer Trauer und Ungewissheit allein – auch ohne eine Möglichkeit, Abschied zu nehmen und ohne einen Ort, an dem sie trauern konnten. Auch aus diesem Grund findet sich am Kopf der Stele der Jesaja Vers „Einen ewigen Namen werde ich ihnen geben, der niemals getilgt wird“. Darunter werden die elf Namen der Getöteten samt Geburts- und Todesdatum aufgelistet. Im Sockel der Stele wird allen bekannten und unbekannten Opfern von Zwangssterilisationen gedacht.
Steinmetzmeister Karl Goffart, selbst Mitglied des Heimatvereins, hat die Gedenkstele entworfen. Unter seiner Anleitung wurde sie von der Arbeitsgruppe des Vereins in Eigenleistung errichtet. Verwendet wurden Materialien von Grabmalen und Einfassungen, die nach Ende der Ruhefrist demontiert wurden. Die Gedenkstätte fand ihren Platz auf dem Friedhof neben einer Gedenktafel für die zivilen Opfer des Zweiten Weltkriegs. „Ohne Spenden und die Unterstützung aus der Bevölkerung wäre die Errichtung nie möglich gewesen“, bedankte sich Karl-Josef Mathar vom Verein für die rege Anteilnahme.
Eingeleitet wurde die systematische Stigmatisierung, Entrechtung und später Ermordung/Zwangssterilisation von Menschen mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933. Es sah eine erzwungene Sterilisation von Menschen mit vermeintlich erblichen Krankheiten vor. Menschen mit psychischem oder physischem Handicap, Taubstumme, Alkoholiker oder Epileptiker galten als „lebensunwertes Leben“ oder „unnütze Brotfresser“, die der „Volksgemeinschaft“ zur Last fallen. Es folgten immer weitere Verbote und Ausgrenzungen.
Noch vor Beginn des Überfalls auf Polen am 1. September 1939 hatte das NS-Regime endgültig Weichen für erste geplante Mordaktionen gestellt. Kranke Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen aus Heil- und Pflegeanstalten wurde das Menschsein abgesprochen – sie sollten systematisch getötet werden. Als am 3. August 1941 der Bischof von Münster Clemens August von Galen öffentlich gegen diese Morde der Nationalsozialisten predigte, stoppte Hitler mit einem Geheimbefehl die zentralisierte Tötungsaktion. Das Morden jedoch ging während des Krieges dezentral in den Heimen und Anstalten weiter.
„Menschen, die glauben, Gott zu sein, werden zu Egoisten, werden zu Mördern“, sprach Generalvikar Andreas Frick im Gottesdienst vor der Einweihung der Gedenkstätte in der Pfarrkirche St. Lambertus eine Mahnung aus, „in der Liebe zu bleiben“: „Gott ist die Liebe – und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott – und Gott in ihm. Das ist die Würde als Mensch.“ Aus diesem Grund lege Artikel 1 des Grundgesetzes „die Latte für immer maximal hoch an, damit sich dieses Unrecht nicht mehr wiederholen kann“, betonte Andreas Frick. Es sei nicht selbstverständlich, dass diese aus den Verbrechen und der Verzweiflung errungene Kraft Menschen in einen Raum der Freiheit geleitet hat. „Dies muss immer aufs Neue erklärt und verteidigt werden“, betonte der Generalvikar: „Es gibt kein unwertes Leben, sagt uns Gott. Wir müssen wach sein und handeln, damit bestimmte Verbrechen nicht mehr passieren!“
„Die Achtung der Würde jedes Einzelnen ist genau aus dieser Geschichte entstanden und legt den Grundstein für Toleranz, Frieden und den Wunsch nach Gerechtigkeit“, zitierte auch Monschaus Bürgermeisterin Carmen Krämer den Artikel 1 des Grundgesetzes. Den Mitgliedern des Heimatvereins Kalterherberg dankte sie für die Aufarbeitung eines aus „Schuld und Scham“ lange verschwiegenen Kapitels der eigenen Geschichte. „Sie zeigen uns, dass diese Grausamkeiten auch vor Ort eine große Rolle spielen und sich niemals wiederholen dürfen.“