Nah dran an den Menschen

Der Caritasverband unterstützt Kirchengemeinden bei sozialen Projekten und in der Quartiersarbeit

Gemeindesozialarbeiter (c) Cartiasverband
Gemeindesozialarbeiter
Datum:
4. Okt. 2016
Gemeindesozialarbeit – klingt ein bisschen wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten.
Sackhüpfen Quadrat (c) Andrea Thomas
Sackhüpfen Quadrat

Meike Wilczek (zuständig für Aachen-Stadt) und Rainer Krebsbach (Aachen-Land) vom Regionalcaritasverband Aachen stellen vor, was ihr Arbeitsfeld ausmacht und warum es alles andere als verstaubt ist.

 

Herr Krebsbach, wie lässt sich Gemeindesozialarbeit beschreiben?

Wir beraten Kirchengemeinden oder andere Initiativen vor Ort in sozialen Fragen und bauen mit ihnen Projekte auf. Einige Projekte wurden auch von einzelnen Bürgern angeregt. So entstanden zum Beispiel die „Familienpaten Baesweiler“. Eine Bürgerin sah hier Handlungsbedarf und wandte sich an mich. Wir haben dann Konzepte und Erfahrungen aus anderen Städten zusammengetragen und für Baesweiler dieses Projekt aufgebaut. Ich begleite die momentan neun Ehrenamtlichen und vermittele die Patenschaften. Als Kooperationspartner konnten wir den Sozialdienst Katholischer Männer (SKM) gewinnen. Die Kirchengemeinde hat von Anfang an unsere Familienpaten wohlwollend unterstützt und beworben.

 

Wie wird das Angebot in den Lebensräumen angenommen?

Meistens sind es ganz konkrete Anliegen, die die Menschen vor Ort umtreiben. Beispielsweise sprachen mich vor einigen Jahren die ehrenamtliche Caritasbeauftragte und der damalige Pfarrer von Alsdorf-Mariadorf an. Sie wollten die Caritasarbeit neu aufstellen. Dabei waren ihnen die „Männer im Park“ wichtig, Menschen ohne gesicherte Unterkunft. Für sie und andere Gemeindemitglieder sollte ein regelmäßiger Treffpunkt entstehen. Meine Aufgabe bestand darin, die ersten notwendigen Schritte zu begleiten. Ich vermittelte die fachliche Unterstützung durch die Caritas-Fachberatung und die zuständige Mitarbeiterin des Sozialamtes. Pfarrer und Ehrenamtliche warben freiwillige Mitstreiter. Für diese – derzeit neun – Männer und Frauen bin ich Ansprechpartner für alle fachlichen Fragen. Inzwischen kommen jeden Mittwoch um die 30 Menschen zum „Mariadorfer Treff“: alleinstehende ältere Frauen, Alleinerziehende, Männer und Frauen mit geringem Einkommen. Gemeindesozialarbeit hat direkten Einfluss auf die Lebensqualität im Viertel.

 

Funktioniert das auch in „sozialen Brennpunkten“?

Die Eschweiler Pfarrei St. Peter und Paul wünschte sich vor ein paar Jahren Hilfestellung bei der Sorge um die Menschen in der Gutenbergstraße, einem problematisches Wohnviertel mit vielen einkommensschwachen Haushalten. Eine zusätzliche Herausforderung sind die unterschiedlichen Kulturen, die hier aufeinander treffen. Ehemalige Wohnungen des belgischen Militärs standen leer, auf der anderen Seite suchte der Bürgermeister dringend preiswerten Wohnraum. Das „Quartier Gutenbergstraße“ hat ein schlechtes Image, dort gibt es kaum Infrastruktur, gerade mal einen Kiosk. Welche Rolle kann Kirche da spielen? Hier stand nicht Mission auf der Agenda: Der GdG-Rat wollte wissen, was die Menschen dort von der Kirche erwarten. Die Gemeindesozialarbeit wurde beauftragt, notwendige Handlungsschritte zu planen. Es wurde ein Runder Tisch mit vielen – auch nichtkirchlichen Institutionen – berufen, insgesamt 36 Initiativen und Einzelpersonen nehmen daran teil. Daraus sind verschiedene Aktionen für und mit den Bewohnern entstanden. Die meist kirchenfremden Menschen lernten Kirche mal anders kennen: nicht mit liturgischen und sonst üblichen Angeboten, sondern als feiernde Gemeinde, deren Mitglieder sich für sie interessieren.

 

Feiernde Gemeinde?

Ja, über Bürgerfeste mit vielen Aktionen für Kinder kamen die Menschen in einer lockeren Atmosphäre zusammen. Quasi nebenbei lernten wir so ihre Sorgen und Nöte kennen. Noch wichtiger war, dass die Nachbarn sich untereinander kennenlernten. So konnten die Selbsthilfekräfte im Viertel gestärkt werden.

 

Was konnte letztendlich erreicht werden in der Gutenbergstraße?

Wir konnten die Emanzipation der Bürger fördern. Die genannten Feste sorgten für eine Verbesserung des Klimas im Quartier. Auf Initiative des Runden Tisches wurde ein Spielplatz reaktiviert, auf einem weiteren Spielplatz wurde ein zusätzliches Spielgerät installiert, die Müllsituation, die Zustände in Treppenhäusern sowie undichte Fenster wurden mit Mietern und Vermietern besprochen und Abhilfe geschaffen. Durch eine Plakataktion lernten Kinder, dass es sich lohnt, sich für seine Belange einzusetzen. Durch Erneuerung der Beschilderung und einen neuen Zebrastreifen wurde die Verkehrssicherheit insbesondere für Kinder verbessert. Ziel für die Zukunft ist die Einrichtung eines „Stadtteilmanagements“, insbesondere für Flüchtlinge und niedrigschwellige Kontaktangebote. Ich verfolge mit großem Interesse, dass die Stadt Eschweiler und die Arbeiterwohlfahrt aktiv geworden sind.

 

Frau Wilczek, was fasziniert Sie an der Gemeindesozialarbeit?

Die unterschiedlichen Menschen, denen ich begegne. Bei der Arbeit kann ich kreativ sein, quer denken und bei jedem Projekt schauen, aus welcher Perspektive es Sinn macht, es anzugehen. Mich fasziniert, wie das Zusammenspiel aus Haupt- und Ehrenamtliche dazu beiträgt, dass eine Gemeinde lebt und wächst, sich verändert und mit der Zeit geht. Ich habe noch kein Arbeitsfeld kennengelernt, das mir die Möglichkeit bietet, so viele Ideen und Projekte mit zu planen, zu verfolgen und mit gutem Gewissen gehen zu lassen.

 

Wie wird das Angebot von den Gemeinden angenommen?

Ich merke, dass die Gemeinden mir und der Gemeindesozialarbeit gegenüber sehr offen sind, man bezieht mich in Gedankenspiele mit ein und schätzt meine Meinung. Auch ist es für viele Gemeinden von großem Wert, dass wir einen anderen Blick auf deren Planungen werfen. Manchmal ist bei den Gemeinden das Naheliegende, dass was eher nicht bedacht wird. Wir sind dann eher in der Aufgabe, den Fokus neu zu justieren.

 

Können Sie hier ein Beispiel nennen?

Die Pfarrei St. Gregor von Burtscheid. Es gab immer wieder Überlegungen, wie Menschen, die bisher den Angeboten fernblieben, einbezogen werden können. Es sollte von Anfang an nicht um die „Akquise“ von neuen Gottesdienstbesuchern gehen, sondern darum, dass Kirche ein Ort von Gemeinschaft sein kann. Die Gemeinden suchten nach Lösungen, welches Angebot speziell für diese Gruppe sinnvoll ist: Was spricht sie an? Wo erkennen sie sich wieder? Als ich in diese Überlegungen einbezogen wurde, fragte ich etwas provokant nach, warum man sich soviel Gedanken darüber macht, was die Mitglieder der Gemeinden möchten, statt sie einfach zu fragen. Es sei doch viel sinnvoller, sich erst auf die Suche nach den Wünschen zu machen und anschließend Angebote zu planen. Dahinter steckt die Erfahrung, dass Visionen von Gemeinde aus dieser kommen können und nicht zwangsläufig Top-Down von „oben“. Diese neue Perspektive wirkt bis heute nach. Wir entwickelten Rahmenbedingungen, die die Menschen einladen, ihre Visionen zu äußern.

 

Mit wem arbeiten Sie vor Ort?

Dies ist genauso unterschiedlich, wie mein Arbeitsfeld. Es gibt Pfarreien, in denen „die Gemeinde“ eine Handvoll Ehrenamtlicher sind, die mich zu regelmäßigen Treffen einladen. Andere Pfarreien berufen mich in offiziellen Räten als Mitglied. Wieder andere fragen mich nur sporadisch zu speziellen Themen an, binden mich aber nicht in weitere Prozesse ein.

 

Sie sind mit 29 Jahren jünger als die meisten Gemeindemitglieder, haben Sie manchmal Schwierigkeiten Gehör zu finden?

Nein, im Gegenteil. Man schätzt mich als Gesprächspartnerin auf Augenhöhe, die nur eben manchmal eine andere Sicht auf Dinge hat.

 

Wie ist das in Ihrem Team? Haben Sie und Rainer Krebsbach unterschiedliche Herangehensweisen an Gemeindesozialarbeit?

Sicher gehen wir manche Dinge unterschiedlich an, aber ich würde mich hüten das alleine am Alter festzumachen. Es ist bei uns ähnlich wie in der Arbeit selbst: Wir schätzen die Meinung des anderen sehr und sind froh über die andere Perspektive. Oft ist es aber so, dass wir sehr nah beieinander stehen und unser Vorgehen gleich ist, einfach weil wir den Gemeinden gegenüber offen sind und ihren speziellen Weg mit ihnen gehen.

Das Gespräch führte Wolfgang Offermann

Gemeindesozialarbeiter Quadrat (c) Cartiasverband
Obdachlose Quadrat (c) www.pixabay.com