Näher, als mancher denkt

Im Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ startet die Kampagne #beziehungsweise

Licht, aber auch Wein und Brot sind sowohl im Judentum als auch im Christentum zentrale Symbole. (c) www.pixabay.com
Licht, aber auch Wein und Brot sind sowohl im Judentum als auch im Christentum zentrale Symbole.
Datum:
10. Feb. 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 06/2021 | Garnet Manecke

Der Antisemitismus erstarkt in Deutschland wieder. Höchste Zeit für die Christen, sich an die Seite der jüdischen Mitmenschen zu stellen und ihnen beizustehen. Denn was (christliche) Antisemiten oft vergessen: Jesus, der Sohn Gottes, war Jude. Im Judentum liegen die Wurzeln des Christentums. Die ökumenische Kampagne „#beziehungsweise – jüdisch und christlich: näher, als du denkst“ erinnert an 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland.

In den kommenden Tagen und Monaten werden die zweifarbigen Plakate in Schulen, Gemeinderäumen und Pfarrbüros sowie auf verschiedenen Social-Media-Kanälen auffallen. Darauf ist ein Thema in eine kurze Headline gefasst wie „Im Anfang stand das Wort“. Darunter ein jüdischer Begriff, daneben ein Pendant aus dem Christentum. Das hebräische Wort Bereschit (B’reschit = Anfang) wird in Beziehung gesetzt zum Anfang, mit dem die Bibel beginnt. Eine kurze Erklärung zeigt, dass Juden am Schabbat in der Thora lesen, die Christen am Sonntag in der Bibel. Zwei Religionen, ein Ritual: ein Hinweis, dass sich Juden und Christen näher sind, als viele sich das so vorstellen. Eine kleine Erinnerung an die Christen, wo ihre Wurzeln liegen.

Seit 1700 Jahren leben Juden in Deutschland. Ihre Spuren sind überall zu finden: in der Musik und der Literatur, in der Architektur, in Gesellschaft und Politik, in Wirtschaft und Kultur. Sie leben und beten inmitten dieser Gesellschaft und oft unerkannt. Denn sich als Jude zu erkennen zu geben, zum Beispiel durch das öffentliche Tragen einer Kippa, ist in Deutschland nicht ganz ungefährlich. Offener Antisemitismus ist wieder Teil des jüdischen Alltags geworden. Der Anschlag auf die Synagoge in Halle ist ein Beispiel dafür. Dass die Eingänge zu Synagogen noch immer Hochsicherheitszonen sind und die Polizei vor ihnen Präsenz zeigen muss, ist ein beschämendes Zeichen. Mit ihrer gemeinsamen Kampagne wollen die Evangelische Kirche in Deutschland, die Deutsche Bischofskonferenz sowie der Verein „Jüdisches Leben in Deutschland“ die besondere Beziehung zum Judentum aus christlicher Perspektive deutlich machen. Ziel ist es, Gemeinsamkeiten zwischen den Religionen zu zeigen und so Vorurteile gegenüber dem Judentum abzubauen.

Auf der Homepage von „Jüdisches Leben in Deutschland“ geht es um die Gegenwart
In NRW werden zwölf der insgesamt 14 bundesweiten Plakatmotive zu sehen sein – jeden Monat ein anderes. Ihre Motive verbinden jeweils einen jüdischen Feier- oder Gedenktag mit einem christlichen. Die Plakate machen aufmerksam auf die Kampagne, mit deren Hilfe Ergebnisse des christlich-jüdischen Dialogs in die Gemeinden und Schulen getragen werden sollen.

Dass Juden 1700 Jahre in Deutschland leben, soll in diesem Jahr auch groß gefeiert werden. Das Festjahr wird am 21. Februar online auf der Seite des Vereins „Jüdisches Leben in Deutschland“ eröffnet. Auftakt zu einem Jahr voller Diskussionen, Konzerten und Gesprächen über den jüdischen Alltag. Dabei beschränkt es sich keineswegs auf die Geschichte der Juden in Deutschland. Auf der Homepage des Vereins geht es vor allem um jüdisches Leben in der Gegenwart. In Podcasts und Videoclips berichten jüdische Frauen und Männer über ihr Leben, was sie prägte, wovon sie träumen, wie sie leben. Ein spannender Einblick in eine Welt, die Christen oft fremd vorkommt, obwohl sie gar nicht fremd ist. Im Gegenteil: Ganz normale Menschen sind da zu hören und zu sehen. 
Mit ihrer Kampagne wollen die Verantwortlichen das in das öffentliche Bewusstsein bringen. Ein Weg führt über die Schulen zu Kindern und Jugendlichen.

Für den Unterricht werden zahlreiche Materialien auf der Homepage der Kampagne zur Verfügung gestellt. Interessierten, die ihre Schulzeit schon beendet haben, stehen zahlreiche Texte zu den Motiven zum Download zur Verfügung. Mit verschiedenen Veranstaltungen wie der Reihe „Gelehrte im Gespräch“ wird das Angebot abgerundet. Dabei kommen katholische und evangelische Stimmen ebenso zu Wort wie auf jüdischer Seite liberale und orthodoxe Positionen. Die Veranstaltungen sind als Präsenzveranstaltungen geplant, werden aber zum Teil online live übertragen.

www.bistum-aachen.de/beziehungsweise
www.juedisch-beziehungsweise-christlich.de
https://2021jlid.de/