Nachbarschaft schaffen

Beispiele, wo und wie sich Kirche für ein besseres Zusammenleben der Menschen im Viertel einsetzt

Schlusspunkt der Ausstellung „Zu Hause im Westparkviertel“ und Ort der Begegnung: das Quartiersfest im Seniorenheim St. Elisabeth. (c) Andrea Thomas
Schlusspunkt der Ausstellung „Zu Hause im Westparkviertel“ und Ort der Begegnung: das Quartiersfest im Seniorenheim St. Elisabeth.
Datum:
29. Okt. 2018
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 44/2018 | Andrea Thomas
Früher kannten sich die Menschen in dem Viertel, in dem sie lebten, noch viel mehr untereinander. Man hatte ein Auge für den anderen, half sich gegenseitig, wo nötig. Heute leben wir anonymer, fehlt oft der soziale Zusammenhalt.

Stadtteil-, Viertel- oder Quartiersarbeit will dem entgegensteuern und Familien und Singles, junge, alte, einsame, bedürftige oder benachteiligte Menschen wieder mehr zusammenbringen. Wichtige Akteure dabei: Pfarreien, Gemeinden und kirchliche Einrichtungen.

 

Stadtteilarbeit in Aachen-West

Rund um den Westpark in Aachen geht es bunt, vielfältig und lebendig zu. Hier leben sehr unterschiedliche Menschen, und die meisten von ihnen leben gerne hier. Seit einigen Jahren gibt es eine Stadtteilkonferenz und immer wieder Aktionen und Initiativen, um die Menschen zusammenzubringen und gemeinsam mit ihnen ihr Viertel nach ihren Bedürfnissen zu gestalten. Im Mittelpunkt steht die Idee eines barrierearmen Viertels, das Menschen unabhängig von Alter, Herkunft und körperlicher Verfasstheit ein Zuhause bietet. Dafür engagieren sich neben vielen anderen Akteuren und Institutionen auch die Bleiberger Fabrik, die Pfarrei St. Jakob und das direkt am Westpark gelegene Seniorenheim St. Elisabeth. Aus dem Sommerfest der Einrichtung ist ein offenes Quartiersfest geworden, zu dem in diesem Jahr zum vierten Mal Menschen rund um den Park zusammengekommen sind. Seit einem Jahr gibt es hier das vom Land NRW geförderte Projekt „Altengerechte Quartiersentwicklung im Westparkviertel“. Es nimmt das Viertel aus dem Blickwinkel der Bewohner ab 55plus – „Weil älter werden schneller geht, als man denkt, und gut vorbereitet sein will“, wie Quartiersmanagerin Marion Bergk erklärt, – in den Blick. Es will Strukturen schaffen, die älteren Menschen ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben im eigenen Zuhause und in vertrauter Umgebung ermöglichen.

Im Austausch zwischen Bewohnern und hauptamtlichen Akteuren soll es um Nahversorgung und Wohnraum im Alter, das Miteinander der Generationen und die Dinge gehen, die das Leben rund um den Westpark lebenswert machen. Aus einem Bürgerforum im Frühjahr ist eine aktive Bürgergruppe entstanden, die sich regelmäßig trifft. Es gibt eine Qi-Gong-Gruppe sowie das „Feierabendsingen“ im Park und seit dem Quartiersfest eine mobile Bank, die an unterschiedlichen Orten im Quartier stehen und Menschen einladen soll, ins Gespräch zu kommen. Davon, was das Leben rund um den Park im Aachener Westen besonders macht, erzählt auch die in Zusammenarbeit mit dem Verein „Plattform Aachen“ entstandene Ausstellung „Zu Hause im Westparkviertel“. Sie war zwischen Mai und August in der Grundschule Hanbruch, in der Kirche St. Jakob, im Café Kränzchen sowie im Seniorenheim St. Elisabeth zu sehen. Die Fotografen Tim Ochterbeck, Julia Reisinger und Thomas Gerstmann, der auch Initiator des Foto-Projektes ist, sind durchs Viertel gezogen und haben Menschen gefragt: „Wo fühlst du dich zu Hause?“. Entstanden ist so eine Serie von beeindruckenden Menschen-Bildern unterschiedlicher Herkunft und Alters. Auf den zugehörigen Bildtafeln erzählen sie, warum sie sich gerade hier zu Hause fühlen, und welche Gefühle sie mit dem Viertel verbinden.

 

Offene Tür D-Hof in Aachen-Forst

Der Driescher Hof gehört eigentlich zum Stadtteil Forst, ist aber ein Quartier mit einer ganz eigenen Identität. Ein „sozialer Brennpunkt“ oder, wie man politisch korrekt sagen würde, ein „Stadtteil mit besonderen Herausforderungen“. Beides stimmt irgendwie, wird den Menschen, die, hier leben, jedoch auch nicht wirklich gerecht. Mittendrin gibt es die seit 1981 vom Verein Kinder- und Jugendhilfe Driescher Hof betriebene Offene Tür, den „D-Hof für Kinder und Jugendliche“. Er ist für viele ein zweites Zuhause und erfüllt eine zentrale präventive Funktion zum Schutz und Wohl der Kinder und Jugendlichen im Viertel. Obwohl sie die Hauptzielgruppe sind, will die Einrichtung ins ganze Viertel hineinwirken, auch die Erwachsenen einbinden und das Gemeinschaftsgefühl stärken. „Viele Ehemalige sind heute selbst Eltern und fühlen sich uns weiter verbunden“, sagt Leiterin Sandra Jansen. Sie versteht die Einrichtung auch wegen ihrer guten und zentralen Lage als Schnittstelle, über die sich viele Dinge vermitteln und vernetzen ließen. So nutzt unter anderem die Pfarrcaritas Räume im „D-Hof“. Der hat seinem Namen aus dem Namen, den die Kinder und Jugendlichen ihrem Viertel geben. „Den haben wir übernommen, weil sie stolz sein können auf ihr Stadtviertel“, erzählt Sandra Jansen. Und das könnten nicht nur die Kleinen, sondern auch die Großen, denn bei allen sozialen und materiellen Problemen, mit denen die Menschen hier fertig werden müssten, gebe es viel Hilfsbereitschaft untereinander.

Mit vielen Aktionen trägt die Jugendeinrichtung, zu der auch die beiden offenen Ganztagsschulen Driescher Hof und am Rödgerbach zählen, dazu bei, das bunte Viertel noch etwas bunter, freundlicher und lebenswerter zu machen. So wurde bei einer „Social Week“ im Frühjahr sowie einem „Social Day“ im Oktober mit Unterstützung von 20 Aachener Firmen und großem ehrenamtlichen Einsatz an der Verschönerung des Geländes und des Viertels gearbeitet. „Das ist sehr gut angekommen, und viele Bewohner haben sich dafür bei uns bedankt“, berichtet Sandra Jansen. Neben Blumentöpfen entlang des Zauns hat das Gartenteam „Green-Team“ der Einrichtung Hochbeete angelegt und gepflegt und seinen Nachbarn zur Verfügung gestellt. Ein liebevoll gestaltetes Gartenbuch mit Tipps zum Gärtnern und Samenkörnern für den Selbstversuch hat das Team an die Kinder, Nachbarn und Multiplikatoren des „D-Hofs“ verschenkt. Ende September fand zum ersten Mal die Tisch-Aktion „Der D-Hof tafelt“ statt. Leider wegen schlechten Wetters nicht wie geplant auf dem Kirchvorplatz, sondern in den Räumen der Offenen Tür, aber mit dennoch hoher Beteiligung. An langen Tischen waren die Menschen eingeladen, miteinander ins Gespräch zu kommen und Kontakte zu knüpfen. Einige Speisen wurden im Rahmen des beliebten Familienkoch-Angebots zubereitet, andere brachten die Gäste mit. Für die Kinder gab es einen Kinderflohmarkt und verschiedene Kreativ- und Spielangebote. Eine erfolgreiche Premiere, auf die sich weiter aufbauen lässt.

 

Sozialraumarbeit der Pfarrei Christus unser Friede in Kohlscheid

Mit dem Herzogenrather Stadtteil Kohlscheid verbindet man auf den ersten Blick nicht unbedingt soziale Not. Der ehemals vom Bergbau geprägte Ort ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten durch die Ansiedlung neuer Technologieunternehmen, die Nähe zu Aachen und dem Campus Melaten stetig gewachsen. Neubaugebiete ergänzen den älteren Häuserbestand, zugezogene, meist junge Familien mischen sich mit alteingessenen Kohlscheidern. Und doch gibt es sie, die Bedürftigen, die Alten und die Einsamen, und es werden mehr, wie Diakon Bruno Ortmanns von der Pfarrei „Christus unser Friede“ berichtet. Er kümmert sich um die Menschen, die wiederholt im Pfarrbüro anklopfen und um Hilfe bitten, weil sie nicht genug zum Leben haben, sucht das Gespräch mit ihnen und versucht zu helfen, wo und wie das möglich ist.

Vor zwei Jahren haben Pfarrei, Bistum und Regionalcaritasverband in einer Studie und Fragebogenaktion zu ermitteln versucht, was die Menschen im Sozialraum Kohlscheid bewegt, was ihnen fehlt und wo Kirche mit Angeboten unterstützend und begleitend tätig werden kann. Daraus ist unter anderem die Idee entstanden, die Kooperation mit den sozialen Diensten am Ort (Seniorenheime, Pflegedienste, Caritas, Arbeiterwohlfahrt) zu vertiefen. Ein weiteres Projekt ist ein Mittagstischangebot, das Anfang des kommenden Jahres in der Gemeinde St. Mariä Heimsuchung im Ortsteil Kämpchen unter der Kirche starten soll. „Wir haben das Gefühl, dass es einen Bedarf dafür gibt. Wir denken, dass dafür hier der sozialräumlich beste Standort ist. Neben Einfamilienhäusern gibt es hier auch Hochhäuser, und der Ausländeranteil ist hoch“, erläutert Bruno Ortmanns. Das „EssCuFé“ soll einmal in der Woche alten, einsamen und sozial schwächeren Menschen eine Anlaufstelle und ein warmes Essen bieten. Finanziert wird das Angebot über Fördermittel des Bistums aus der Studie sowie freiwillige Spenden. „Niemand soll aus finanziellen Gründen ausgegrenzt sein.“

Wo Nachbarschaft entsteht

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