Zu ihren Aufgaben zählen aber auch Projekte mit den Schulen vor Ort. So läuft gerade ein Drogen-Präventionsprojekt mit der Realschule Kaldenkirchen. Dabei wird sie unterstützt von Anne Geerlings von der Suchtberatung Kontakt-Rat-Hilfe in Viersen.
„Ich bin Marie“, stellt Frau Hellekamps sich den Schülern der 7b vor. „Und das ist die Anne“, weist sie auf die Kollegin aus Viersen. Damit ist für die Schüler schnell klar: Das sind keine Lehrer, und es gibt jetzt keinen klassischen Unterricht. Und natürlich auch keine Noten. Hier kann sich jeder einbringen. Eigeninitiative ist gefordert. Die ist natürlich nicht bei allen gleichermaßen ausgeprägt.
Mit einem Hinweis auf ihren Arbeitgeber: „Kennt ihr Pastor Benedikt Schnitzler?“, macht die Fachfrau deutlich, dass sie nicht zum System Schule gehört. Heute geht es um Sucht. Und dass das nicht nur irgendwas ist, was nur draußen passiert oder im Fernsehen, begreifen die Schüler sehr schnell.
„Wer von euch kann mehr als drei Stunden auf sein Handy verzichten?“, will Anne Geerlings wissen. Diejenigen, die davon überzeugt sind, sollen aufstehen. Die Hälfte der Jugendlichen steht auf.
Einen Tag? Jetzt setzen sich ein paar wieder hin. Drei Tage? Und wieder nehmen welche auf ihren Stühlen Platz. Eine ganze Woche? Hmmm, allmählich wird es eng. Dann kommt die Frage an die Schüler, wie viel Zeit sie denn täglich mit ihrem Handy verbringen. Mit gleichem Prozedere wie beim Handy-Verzicht. Drogenprävention sei ein wichtiges Thema, so Joachim Szyrba. Der Direktor der Realschule legt Wert auf regelmäßige Elternveranstaltungen, zu denen auch Fachleute von der Suchtberatung eingeladen werden. Wenn die Eltern mehr Zeit für ihre Kinder und deren Bedürfnisse hätten, wäre das die beste Suchtprävention. „Früher sind die Kinder mit Gummibärchen ruhig gestellt worden“, sagt Szyrba. „Heute sind das Handys.“ Bei beidem handele es sich oft um „einen Ersatzstoff für Liebe“.
Zu den Elternveranstaltungen lädt er aber auch Mitarbeiter des Zolls ein, der herkömmlichen Drogen und der Grenznähe zu den Niederlanden wegen. Involviert in solche Veranstaltungen ist auch Schulsozialarbeiter Andre Moors, dem sich viele Schüler mit ihren Sorgen und Nöten anvertrauen. „Aber die Marie wird da noch einmal ganz anders wahrgenommen“, stellt Moors fest. „Die kommt von draußen und ist nicht an der Schule beschäftigt.“
„Handy kann schon süchtig machen“, sagt Jolene* nachdenklich. Sie zählt auf, was sie so alles mit ihrem Smartphone macht: „YouTube, Snapchat, Instagram und Telefonieren.“ Damit ist sie schon
einige Stunden täglich beschäftigt. Marie-Luise Hellekamps hat weitere Fragen: „Wer zockt?“ Die Jugendlichen blicken sich an. Anne Geerlings versichert noch einmal, dass nichts namentlich an Lehrer oder Eltern weitergetragen werde. „Fortnite“, bekennt Tobias*. Später wird er sich dann auch noch zu „Call of Duty“ bekennen. Letzteres spielt Nico* auch. Marc* ebenso. Auch Sabrina übernimmt – zumindest gelegentlich – die Rolle eines Soldaten im Kriegsszenario. Und bei einem anderen Spiel hat sie auch schon einmal Geld ausgegeben, um sich einen Spielvorteil zu verschaffen.
„Wer hat schon einmal Bier getrunken? Wer hat schon einmal Sekt getrunken? Wer hat schon einmal Schnaps getrunken? Wer hat schon einmal Energydrinks getrunken?“, fragt die Streetworkerin das Trinkverhalten der Schüler ab. Zu den Energydrinks gibt es dann wieder die Frage nach der Regelmäßigkeit.
Mittlerweile sind die meisten Schüler so richtig bei der Sache und vermutlich ziemlich ehrlich. Jolene, Marc, Murat und Tobias erzählen jetzt auch davon, dass sie geraucht haben. Und Menschen, die schon mal Haschisch geraucht haben, kennen sie auch. Ja, und auch Menschen, die regelmäßig zu viel Alkohol konsumieren. „Die Schule ist ein Ort, an dem wir informieren können“, so Andre Moors, „an dem wir versuchen können, die Eltern zu erreichen. Aber das ist zeitlich begrenzt.“ Das Ordnungsamt sei immer mal wieder da, geht Joachim Szyrba offen mit dem Problem auch an seiner Schule um. „Wir haben definitiv abhängige Schüler.“ Umso mehr freut er sich, Kooperationen mit der Streetworkerin von der KGV Nettetal und der Suchtberaterin von Kontakt-Rat-Hilfe schließen zu können: „Die gehen immer in die 7. und die 9. Klasse. Marie-Luise Hellekamps gibt uns ein Feedback … sagt uns, wo die Probleme sind. Da können wir dann weiter dran
arbeiten und externe Fachleute einschalten.“
Marie, Anne und die Schüler erörtern alldieweil das Thema Karneval und Alkohol. Und damit auch die jungen Menschen, die noch keinen Rausch erlebt haben, wissen, was das bedeutet, wird die „Rauschbrille“ eingesetzt. Welche Formen der Sucht es sonst noch gibt? „Esssucht“, sagt Leonie*. Und Sabrina* spricht von Kaufsucht. Auch über ADHS und ADS und Medikamente wie Ritalin und Medikinet wird gesprochen. Die Zeit verfliegt. Manche Schüler haben einiges von sich sehen lassen. Und ein paar werden vermutlich auch das Angebot von Marie zu einem Gespräch außerhalb der Schulmauern annehmen.
* Alle Schülernamen wurden von der Autorin geändert.
Marie-Luise Hellekamps ist unter 01 77/8 21 31 97 oder streetwork-nettetal@online.de für junge Menschen bis 27 Jahre erreichbar. Egal, ob es um Schule, Zuhause, Ausbildung, Schulden, Beziehung oder Probleme mit der Polizei geht.
Anne Geerlings und ihre Kollegen von der Fachberatung Kontakt-Rat-Hilfe e.V. sind für Betroffen und Angehörige unter 0 21 62/9 51 10 oder zentrale@khr-online.de erreichbar.