„Mission“: Hilfe am Zug

Den Tag der Bahnhofsmission nutzt das Team auch, um für das Ehrenamt am Gleis zu werben

Im Gespräch bleiben, das ist Pfarrer Josef Wolff wichtig, der das ehrenamtliche Team verstärkt. (c) Stephan Johnen
Im Gespräch bleiben, das ist Pfarrer Josef Wolff wichtig, der das ehrenamtliche Team verstärkt.
Datum:
27. Apr. 2023
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 17/2023 | Stephan Johnen

Die Tür der Bahnhofsmission am Dürener Bahnhof steht allen Menschen offen. Ausnahmslos. „Hier hängt kein Schild ‚Nur für Obdachlose‘“, räumt Leiter Reiner Lövenich mit einem Vorurteil auf.

Die Bahnhofsmission bietet unter anderem einen Gastraum zum Aufwärmen an, wenn Reisende auf den Zug warten oder vom Regen kalt erwischt wurden. Hier können sich Menschen treffen und mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Teams oder anderen Gästen austauschen. Leere Mobiltelefon-Akkus können aufgeladen werden, hungrige oder erschöpfte Menschen erhalten eine kleine Stärkung, es gibt Notfallkleidung. Das Team von Reiner Lövenich ist für alle da, die auf dem Bahnhof unterwegs sind: Berufspendler, Schüler, Durchreisende, die beim Umsteigen das richtige Gleis suchen und Unterstützung benötigen und eben auch Menschen ohne festen Wohnsitz.

Seit 125 Jahren sind die Bahnhofsmissionen der ökumenisch getragene soziale Dienst der Kirchen und eröffnen pastorale Räume an besonderen Orten. Rund 6000 Gäste besuchen die vom Verein „In Via“ betriebene Bahnhofsmission Düren pro Jahr. Bundesweit sind es an 105 Bahnhöfen durchschnittlich zwei Millionen Gäste. „Den wenigsten Reisenden ist klar, wie unsere Arbeit aussieht, was wir vor Ort anbieten“, sagt Reiner Lövenich. Ein Grund, warum er sich mit seinen zwei hauptamtlichen und sieben ehrenamtlichen Kräften am bundesweiten Tag der Bahnhofsmissionen beteiligt.

Die Entstehungsgeschichte der Bahnhofsmissionen ist eng mit dem Ausbau des Schienennetzes im 19. Jahrhundert verknüpft. Als zunehmend junge Frauen vom Land in die Städte kamen und Schutz und Information suchten, wurde die von engagierten Christinnen für Frauen in Not gegründete Mission erste Anlaufstelle. Auch wenn sich die Kundschaft mit der Zeit verändert hat, ist die „Mission“ der Einrichtungen nach wie vor die gleiche. Etwa 90 Prozent der Besucher sind (männliche) Stammgäste, sagt Reiner Lövenich. Es sei richtig, dass rund die Hälfte der Stammgäste keinen festen Wohnsitz habe. Doch zunehmend kämen auch Menschen, weil sie einsam seien, Energieprobleme hätten, sozialen Anschluss und Austausch suchten. Die Dürener arbeiten mit „Foodsharing“ zusammen, um den Besuchern morgens ein Frühstück anbieten zu können. Im März startete das „Frauencafé“, ein Angebot an jedem letzten Dienstag im Monat von 14 bis 15.30 Uhr.

 

Dreh- und Angelpunkt der Arbeit ist neben dem Bahnsteigdienst der Gastraum. „Wir stehen für Gespräche bereit“, sagt Reiner Lövenich. Die Bahnhofsmission versteht sich als erste Anlaufstelle für Menschen, die weitere Unterstützung benötigen. Hier wird zugehört, beraten und informiert, und bei Bedarf werden Gäste an die zuständigen Ämter, Behörden, Beratungsstellen oder Fachdienste der sozialen Hilfe vermittelt. Ein respektvoller Umgang ist für das Team selbstverständlich.

Wie ein typischer Tag in der Bahnhofsmission aussieht? Reiner Lövenich muss lächeln. „Einen typischen Tag gibt es nicht“, sagt er. Kein Tag sei wie der andere. Kommt der Bahnverkehr zum Erliegen, springt das Team nicht selten als Fahrplanauskunft ein und verteilt literweise Kaffee auf dem Bahnsteig. Zu tun gebe es jedenfalls täglich genug. „Über viele Gäste könnte man ein Buch schreiben“, sagt Lövenich. Zu den Kunden gehörten oftmals Menschen, deren geregeltes Leben durch einen Schicksalsschlag aus den Fugen geraten ist, die aus ihrem Leben nahezu herauskatapultiert wurden. „So etwas kann jeden von uns treffen“, gibt Lövenich zu bedenken. Er weiß aus vielen Gesprächen, wie schnell ein Leben auf dem Kopf stehen kann. Er weiß auch, dass gerade dann Verständnis und ein offenes Ohr sowie eine offene Tür besonders wichtig sind.

„Hier wird oft Danke gesagt“, berichtet Teammitglied Celina Knippertz von ihrer Erfahrung aus dem Gastraum. Die Studentin ist seit einem Monat dabei. Zuvor hatte sie im Rahmen ihres Studiums der Sozialen Arbeit ein Praktikum bei „In Via“ absolviert. „Ich bin zur Bahnhofsmission gegangen, weil es die Einrichtung war, von der ich am wenigsten wusste“, sagt sie. Auch Josef Wolff, Administrator der GdG Grenzenlos in Aachen, gehört zum Team der Ehrenamtlichen. 2022 hatte er in seiner „gestalteten Auszeit“ (KIZ 49/2022) die Arbeit der Bahnhofsmission kennengelernt – und blieb. „Es tut mir gut, hier auf den Boden zu kommen, geerdet zu werden“, sagt er. Im Berufsalltag bliebe viel zu wenig Zeit für intensive Gespräche. „Wenn es zeitlich passt, ziehe ich gerne die Jacke der Bahnhofsmission an“, sagt er.

Je mehr Ehrenamtler es gibt, desto weiter kann das Angebot ausgebaut werden. Das Team der Bahnhofsmission freut sich daher über Verstärkung. „Wenn wir für alle da sein wollen, müssen wir auch wieder mehr raus: hinaus auf den Bahnsteig und in die Bahnhofshalle“, sagt Reiner Lövenich. Dies sei aber nur mit einer Besetzung von mindestens drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu leisten. Gesucht werden Menschen, die mit beiden Beinen fest im Leben stehen, sei es beruflich oder familiär. „Ideal wäre es, wenn regelmäßig zwei Mal die Woche drei Stunden oder einmal pro Woche ein ganzer Tag mitgearbeitet wird“, sagt Lövenich. Die Arbeit habe viel mit Vertrauensbildung zu tun – dafür sei eine Regelmäßigkeit notwendig, um Kontakte zu den Kunden zu haben. 
Nach einem Erstgespräch wird geschaut, welches Ehrenamt am besten zur betreffenden Person passen könnte. Erst dann startet die Probearbeit. Für alle ehrenamtlich Tätigen bietet In Via Angebote und Schulungen an. Interessierte melden sich bei Reiner Lövenich unter Tel. 0 24 21/4 34 28 oder per E-Mail an: rloevenich@invia-dn.de.

Info

Infomaterial zur Bahnhofsmission (c) Stephan Johnen
Infomaterial zur Bahnhofsmission

Die Bahnhofsmission Düren ist auf Spenden angewiesen. Gern genommen werden Männerschuhe sowie Hosen (Jogginghosen) in den Größen M bis L. Auch Winterhandschuhe für Männer sowie große warme Decken und Schlafsäcke sind immer gefragt. Mit diesen Sachspenden unterstützt das Team Menschen in Notsituationen. Auch für das tägliche Angebot eines Frühstücks ist die Bahnhofsmission auf Unterstützung angewiesen. Mit Gutscheinen aus Supermärkten können die benötigten Zutaten eingekauft werden. Spenden werden montags, dienstags, mittwochs und freitags von 8.15 bis 13.30 Uhr sowie donnerstags von 12 bis 16.30 Uhr angenommen.

Die Bahnhofsmission Düren

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