Menschliche Landschaften

Die Künstlergilde Neersen ist in der Citykirche zu Gast

Ist es ein Baum? Ist es ein Mensch? Werden die Zweige gen Himmel gereckt oder verzweifelt mit den Händen grungen? Für sein Werk „Symbiose“ hat Hans-Georg Linden 50 Jahre altes Lindenholz und Granit verwendet. (c) Garnet Manecke
Ist es ein Baum? Ist es ein Mensch? Werden die Zweige gen Himmel gereckt oder verzweifelt mit den Händen grungen? Für sein Werk „Symbiose“ hat Hans-Georg Linden 50 Jahre altes Lindenholz und Granit verwendet.
Datum:
19. Apr. 2023
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 16/2023 | Garnet Manecke

Die Künstlergilde Neersen ist zu Gast in der Citykirche Mönchengladbach. In der Ausstellung „Landschaft – Fiktion oder Wirklichkeit“ nähern sich die zwölf Künstlerinnen und Künstler über Landschaftsmotive  der menschlichen Gefühlswelt. So manches ist nicht das, was es scheint. Genauer hinsehen lohnt sich.

Die Skulptur sieht aus, als wäre sie aus Kunststoff. So glatt und makellos in der Oberfläche. Wie hingegossen. Vier Ketten, die vom Boden hinauflaufen und oben in der Mitte miteinander verbunden sind. Aber die Ketten sind keine Ketten, sondern Sinnbild für Menschen, die sich miteinander verbinden. Die Gesellschaft, die sich gegenseitig stützt und so dafür sorgt, dass das filigrane Gebilde standfest ist. Auffallend: die unteren Glieder sind aufgebrochen und ragen heraus aus der Symmetrie. Wie Menschen, die aus der Gesellschaft ausbrechen, aber dennoch dazu gehören. Wer es wagt, die Skulptur zu berühren, stellt fest, dass der Künstler Hans-Georg Linden für seine Arbeit Lindenholz gewählt hat. Ein lebendiges Material, das sich mit den Jahren verändert – genauso, wie eine Gesellschaft.

„Landschaft – Fiktion und Wirklichkeit“ hat die Künstlergilde Neersen ihre Ausstellung in der Citykirche in Mönchengladbach übertitelt. Bis Freitag, 28. April, ist sie in der Kirche zu sehen. Zwölf Künstlerinnen und Künstler, die ihre Arbeiten zeigen. Skulptur, Malerei und Fotografie sind hier vertreten. Unterschiedlich wie die Menschen und wie die Kunstschaffenden. Einige Arbeiten sind abstrakt, andere ganz klar und ohne jeden Interpretationsspielraum. Bei einigen sieht man erst auf den zweiten Blick, was sich da dem Beobachtenden offenbart. Landschaften sind eben nicht immer so eindeutig. Sie bestehen nicht immer aus Blumen, Wiesen, Bäumen und irgendwo hinter dem Horizont geht es weiter. Landschaften, das sind auch die Menschen, die ihre Umgebung erschaffen und verändern. So wie auf den Fotografien von Uwe Richter, die er mit „Nischen 1“ und „Nischen 2“ betitelt hat.

Ein Marktstand mit Obst und Gemüse inmitten von Hochhäusern mit Glas- und Spiegelfassaden (Nische 1). Auf dem anderen Bild sind wieder Hochhäuser zu sehen, wieder Glasfassaden wie man sie in den Bankvierteln von Großstädten wie Frankfurt findet. Dieses Mal ist die Nische eine winzige Gründfläche, gerade so groß, dass Menschen unter einem Sonnenschirm darauf picknicken können. Der Blick des Betrachtenden wird direkt auf diesen Fleck gezogen, weil der Künstler nur diesen Ort farbig lässt. Der Rest des Bildes, auch die Bäume inmitten der Hochhäuser, bleiben schwarz-weiß.

„young, beautiful, untouched“ (jung, schön, unberührt) heißt die Arbeit von Michael Franck. (c) Garnet Manecke
„young, beautiful, untouched“ (jung, schön, unberührt) heißt die Arbeit von Michael Franck.

Diesen „Farbentrick“ verwendet auch Manfred Bode in seinem Bild: Der Blick wird geschickt auf die gelben Badeenten gelenkt. Wie niedlich sie doch sind. Aber dann weitet sich das Bild im Auge des Betrachtenden und die Tristesse der Szene wird offenbar. Das zerfallende Autowrack am Ufer des Gewässers, der Mensch, der da im Hintergrund im Ruderboot sitzt und die Arme hebt. Hilflos? Entsetzt? Oder freut sich die Person gerade über die Schönheit der Natur, weil sie die Umweltverschmutzung durch Plastikenten, Autowracks und anderen Unrat nicht sieht? Das bleibt offen.

Umweltzerstörung, Krieg, Einsamkeit, Trauer, aber auch Zusammengehörigkeit, Vielfalt, Entdeckungsfreude, Zuversicht  findet man in den Arbeiten. Besonders ins Auge fällt dabei die Installation von Burckhardt Freihoff: in der Seitenkapelle hat er V-förmig Perückenköpfe aufgehängt. Alle haben die gleiche Form, den gleichen Ausdruck – nur in den Farben unterscheiden sie sich. Eine bunte Gesellschaft bewegt sich da im Lufthauch, der durch die Seitenkapelle der Citykirche zieht. Auf transparenten Tafeln ist das Wort „Toleranz“ mehrfach geschrieben. 1981 wurde die „Künstlergilde Neersen“ von Freizeit-Künstlern gegründet. Bis zu ihrer Auflösung 1993 haben sie jedes Jahr eine Ausstellung im Schloss Neersen bespielt. 1998 gründete sich die Gruppe erneut. Neben den genannten Künstlern sind Hilde Freihoff, Brigitte Napierala, Angela Richter, Hannelore Sontowski, Karsten Schüffler-Rohde, Lilli Rieger-Grab, Erich Ludwig sowie Jutta Brandt-Stracke in der Ausstellung mit Arbeiten vertreten.

„Landschaften – Fiktion und Wirklichkeit“ in der Citykirche Mönchengladbach, Kirchplatz 14, 41061 Mönchengladbach, geöffnet dienstags bis samstags 10 – 18 Uhr, sonntags zu den Gottesdienstzeiten, www.citykirche-mg.de

Ein Brot auf dem Altar

(c) Garnet Manecke

Das Brot zu teilen, die Eucharistie, ist der Höhepunkt jedes Gottesdienstes. In der Citykirche Mönchengladbach wird das Brot auf eine ganz neue Weise geteilt. Als neues dauerhaftes Kunstwerk liegt ein Brot aus Holz auf dem Altar. Von weitem sieht es verblüffend echt aus: die Farbe, die aufgesprungene Kruste, die Form des Laibs. Erst wer nahe genug dran ist, erkennt, dass es sich um eine Holzskulptur handelt. Die Oberfläche ist nicht glatt, sie hat Risse, die zum Teil sehr tief sind. Das Brot als Sinnbild des Leib Christi wird in der Citykirche nun täglich geteilt: in Form der Kunst als Nahrung für den Geist.