Der frühere Generalvikar des Bistums Aachen, Dr. Andreas Frick, steht seit einem guten halben Jahr als Hauptgeschäftsführer an der Spitze des katholischen Hilfswerks Misereor. Was hat ihn zu diesem Wechsel veranlasst, wie hat er seine ersten Monate im Amt erlebt, und welche Akzente will er künftig setzen? Darüber sprach die Kirchenzeitung mit Andreas Frick.
Herr Dr. Frick, Ihr Wechsel vom Bistum Aachen an die Spitze des Hilfswerks Misereor hat viele überrascht. Was hat Sie zu diesem Wechsel bewogen, und was reizt Sie an dieser neuen Aufgabe?
Frick: Mein Rücktritt als Generalvikar ist gelegentlich überinterpretiert und mit Spekulationen verbunden worden, die nicht die Realität abbilden. Ich habe mit Bischof Helmut Dieser bis zuletzt vertrauensvoll und professionell zusammengearbeitet, aber ich halte es für gut, wenn die Personen, die leitende Ämter bekleiden, nach einer gewissen Zeit auch wieder einmal wechseln. Ich war neun Jahre Generalvikar und wollte mit meinen Kräften in bewegten Zeiten noch einmal etwas anderes machen. Misereor als weltgrößtes katholisches Hilfswerk für Entwicklungszusammenarbeit kenne ich schon ein Leben lang und hat mich immer schon fasziniert. Als Hauptgeschäftsführer dieses Hilfswerks bietet sich mir die Chance, in deutlich anderen Zusammenhängen als bisher etwas Positives im Sinne benachteiligter Menschen im globalen Süden zu bewegen. Ich habe diese Aufgabe mit Freude, Respekt und großem Interesse übernommen.
Ist der Bereich der Entwicklungszusammenarbeit völlig neu für Sie, oder konnten Sie schon früher Erfahrungen auf diesem Gebiet sammeln? Hatten Sie schon immer großes Interesse an diesem Bereich?
Frick: Ich habe während meines Studiums neun Jahre in Italien, davon acht in Rom gelebt, dort ganz konkret Weltkirche kennengelernt und viele Kontakte aufgebaut. Später habe ich unter anderem große Reisen nach Pakistan und Indien unternommen. An der großen Vielfalt an Kulturen unserer Welt war ich schon immer sehr interessiert. In meiner Amtszeit als Generalvikar kam das Thema Weltkirche nur teilweise vor, aber die Weltkirche ist auch hier vor Ort, und das habe ich bereits als Pfarrer und Generalvikar mit Freude erleben dürfen. Mit anderen Worten: Die Themen Weltkirche und Entwicklungszusammenarbeit waren bei mir immer schon da, ohne hauptberuflich gepflegt worden zu sein. Mir ist auch klar, dass Entwicklungszusammenarbeit bei weitem mehr bedeutet als Reisen und das Kennenlernen von Kulturen. Sie dient dazu, weltweit ein gemeinsames Ziel zu haben und dieses solidarisch und gemeinsam anzugehen.
Wie sind Ihre ersten Monate im neuen Amt verlaufen? Haben Sie sich bereits gut einarbeiten können? Kommt Ihnen Ihre bisherige Leitungserfahrung beim Bistum Aachen jetzt zugute?
Frick: Ich habe in meinen ersten Monaten bereits viele Personen, Gesichter und Geschichten von Misereor kennengelernt; die Kolleginnen und Kollegen haben mir offen, fachkundig und konstruktiv von ihren Erfahrungen und Erlebnissen erzählt, und ich bin dadurch in diesem ersten halben Jahr hier im Haus gleichsam einmal um die Welt gereist. Bereits vor meinem Amtsantritt konnte ich eine vierwöchige Reise zu Partnerorganisationen in Bolivien unternehmen, bei der ich nebenbei meine Spanisch-Kenntnisse verbessert habe. Vor wenigen Wochen war ich dienstlich in Kenia, und Anfang Februar steht eine Reise zum Beispielprojekt der nächsten Fastenaktion in Sri Lanka an. Sicherlich muss ich mich aber in viele Details aus dem Bereich der Entwicklungszusammenarbeit noch stärker einarbeiten, die Zusammenhänge und die Situation in den Projektländern von Misereor noch besser kennenlernen. Ohne Zweifel kommt mir meine langjährige Erfahrung im Bistum Aachen auch bei Misereor zugute, denn es gilt, die jahrzehntelange sehr erfolgreiche Arbeit des Hilfswerks mit seinen 1800 Partnerorganisationen und mehr als 3200 laufenden Projekten für die Zukunft zu sichern und immer wieder zu überprüfen, ob wir strategisch und strukturell gut aufgestellt sind.
Worin werden Sie Ihrem Vorgänger Pirmin Spiegel folgen, und wo wollen Sie möglicherweise neue Akzente setzen?
Frick: Ich kenne Pirmin Spiegel seit mehr als 40 Jahren. Er brachte seine großen Erfahrungen in Lateinamerika mit in dieses Amt, die ich so nicht habe. Er sprach immer von dem Auftrag Misereors als „großer Causa“ und unserem großen Ziel weltweit. Im Kern bleibt diese Causa weiterhin genau die gleiche. Ich schätze die große Leistung all meiner Vorgänger sehr. Eine schöne Fügung ist, dass ich jeden einzelnen von ihnen im Laufe meines Lebens persönlich kennenlernen durfte. Ich bringe meinen Charakter, meine Erfahrungen und meine Kompetenzen mit – und als Aachener natürlich auch mein lokales Netzwerk. Zudem gilt: So wie jeder Hauptgeschäftsführer das Haus prägt, prägt natürlich auch immer die aktuelle weltpolitische Lage die jeweilige Zeit und bestimmt die entsprechenden Herausforderungen für das Haus und die Geschäftsführung.
Apropos Politik: Ihr Vorgänger hat sich zu vielen politischen, teilweise auch tagesaktuellen Fragen geäußert. Werden Sie das so beibehalten oder, um es etwas zuzuspitzen, ein weniger „politischer“ Hauptgeschäftsführer sein?
Frick: Nein, ich möchte mich ähnlich wie Pirmin Spiegel auch in tagespolitische und gesellschaftliche Debatten einmischen. Das sieht der Auftrag von Misereor auch so vor. Der frühere Kölner Kardinal Joseph Frings, der im Jahr 1958 den entscheidenden Anstoß zur Gründung von Misereor gab, hat Wert darauf gelegt, dass unsere Organisation es nicht bei der Förderung von Entwicklungsprojekten belässt. Er forderte, dass wir uns gleichermaßen für die Beseitigung der Ursachen von Armut, Hunger, Ungerechtigkeit und Menschenrechtsverletzungen einsetzen, und zwar indem wir uns in die Politik einmischen und Einfluss auf deren Entscheidungen nehmen. Misereor sieht es somit als seine Aufgabe an, in Anwaltschaft benachteiligter Menschen im globalen Süden mehr Gerechtigkeit einzufordern und in vielen Debatten auch anzuecken, unbequem zu sein, sich mit mächtigen Lobbygruppen anzulegen. Ausbeuterische Bedingungen müssen, egal wo auf dieser Welt, benannt und beseitigt werden. Es ist zum Beispiel ein unhaltbarer Zustand, dass es Länder gibt, die 30 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts aufbringen müssen, um ihre Schulden abzuzahlen.
Misereor setzt sich seit Jahrzehnten für die Menschenwürde ein, besonders für die der Ärmsten der Armen im globalen Süden. Bei der diesjährigen Fastenaktion wird das unter dem Motto „Auf die Würde. Fertig. Los!“ explizit zum Thema gemacht. Was ist die besondere Intention dieser Fastenaktion?
Frick: Wir gehen mit der Frage nach der Würde neu an den Start und wollen diesen roten Faden in den nächsten Jahren immer wieder aufnehmen. Der Satz des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ gehört neu in die Mitte unserer Arbeit. Eigentlich formuliert er eine Selbstverständlichkeit, aber diese vermeintlichen Selbstverständlichkeiten des Grundgesetzes erodieren derzeit. Menschen leben heute noch an vielen Orten der Welt unter menschenunwürdigen Umständen, und wir stellen deren Würde anhand des Beispiellandes Sri Lanka exemplarisch heraus, nehmen die Solidarität mit ihnen in den Fokus. Themen wie Würde, Wasser, Religions- und Meinungsfreiheit sowie Geschlechtergerechtigkeit sind Schlüsselthemen, über die wir viel erreichen können.
Der Kampf gegen Klimawandel und für globale Klimagerechtigkeit ist seit vielen Jahren ein Leitthema bei Misereor. Doch obwohl die ganze Welt die Folgen der Erderwärmung immer massiver zu spüren bekommt, nehmen die Treibhausgasemissionen weiter zu statt ab, und die jüngsten politischen Entwicklungen, vor allem in den USA, lassen Rückschritte statt Fortschritte befürchten. Wie lässt sich das ändern, und was kann Misereor dazu beitragen?
Frick: Ändern lässt sich das am ehesten, indem wir uns nicht davon beeindrucken oder entmutigen lassen, dass Klimaschutz aktuell weniger Unterstützung findet als in den vergangenen Jahren. Wir bleiben positiv und kämpfen unverdrossen für eine konsequente und schnelle Umsetzung der Klimaziele. Auch wenn manche dieser Ziele in dem vom Klimaabkommen von Paris festgelegten Zeitrahmen nur noch schwer erreichbar sind, kann es doch keine Option sein, in unseren Bemühungen um jedes Zehntelgrad weniger an Erderhitzung nachzulassen oder gar aufzugeben. Das sind wir den Menschen in vielen Ländern des globalen Südens schuldig, die in zahlreichen Regionen weit stärker von den Folgen des Klimawandels betroffen sind als wir. Wo die Lebensbedingungen sich fundamental ändern, da sind wir gefordert.
Im deutschen Wahlkampf spielt der Klimawandel keine herausragende Rolle. Vielen Menschen ist – trotz unzähliger wissenschaftlicher Studien – die Dramatik der Entwicklung offenbar immer noch nicht genug bewusst, oder sie leugnen sie ganz offen. Wie lassen sie sich überzeugen?
Frick: Das ist eine Frage, die wir uns auch bei Misereor intensiv stellen. Die alarmierenden Daten und Fakten können nicht oft und nicht deutlich genug kommuniziert werden. Wir müssen alle Kanäle und Kooperationen nutzen, um die Situation so realistisch wie möglich zu kommunizieren und vor allem Fake News und zu kurz gedachte Politik zu entkräften. Das reicht natürlich nicht, und wir müssen darauf achten, nicht bei der Erkenntnis stehen zu bleiben, sondern ins Handeln zu kommen. Vor allem müssen wir gemeinsam nach Alternativen suchen. Unseren Lebensstil zu hinterfragen und ihn zukunftstauglich zu machen muss nicht nur Verzicht und Einsparungen heißen, sondern wir müssen Menschen suchen und unterstützen, die vertretbare Alternativen erforschen oder bereits vorleben. Sie zeigen uns: Es geht anders.
Eine bedeutende deutsche Tageszeitung schrieb noch vor wenigen Tagen: „Schlimmer als ein Kipppunkt des Klimas ist der Kipppunkt deutscher Wettbewerbsfähigkeit“. Ist diese Einstellung genau der Kern des Problems?
Frick: Man braucht in der Wirtschaft Produktivität, aber wenn sie zu Lasten der Ärmsten in der Welt geht, ist das problematisch. Die isolationistische Sicht, nur unsere eigene Volkswirtschaft zu sehen, reicht nicht; so simpel wird es nicht mehr funktionieren. Wir leben schon sehr lange über unsere Verhältnisse. Es ist unsere Aufgabe, auch auf die Zusammenhänge zwischen unseren Alltags- und Konsumgewohnheiten und den Auswirkungen auf andere Länder hinzuweisen und für einen maßvollen, enkeltauglichen und an die Grenzen des Planeten angepassten Lebensstil zu werben. Denn wir leben nicht nur über unsere Verhältnisse, sondern vor allem über die Verhältnisse von Menschen im globalen Süden, deren Gesundheit und Lebenskraft, deren Landschaften und Heimat zu unseren Gunsten gegebenenfalls gestört, zerstört oder verwüstet werden.
Ein großes Thema in Deutschland ist wie in vielen anderen westlichen Industrieländern das Thema Migration. Offenbar wird Zuwanderung von vielen Menschen eher als Zumutung und Bedrohung statt als Bereicherung empfunden. Wie lassen sich die Ursachen von Migration und die großen Zusammenhänge weltweit besser vermitteln?
Frick: Wir müssen die komplexen Zusammenhänge verständlich kommunizieren und positive Beispiele bekannter machen, wie ein Leben für alle möglich sein kann, hier in Deutschland und weltweit. Der Blick muss sich grundsätzlich viel stärker auf die Fluchtursachen wie zum Beispiel anhaltende Trockenheit und Dürre in den Heimatländern und die Bedrohung der Zivilgesellschaften richten. Wir müssen den Besorgten in unserem Land zuhören und besonders sensibel für polarisierende und stigmatisierende Falschnachrichten sein. Vor allem darf nicht vergessen werden, dass das Asylrecht tief in der Geschichte der Vereinten Nationen verwurzelt ist. Wir als Hilfswerk Misereor achten auf die Würde der Migranten, von denen die meisten auf dieser Erde Binnen-Migranten sind. Da die Menschen auf dieser Erde im Hinblick auf Ressourcen und Dienstleistungen voneinander abhängig sind, ist eine globalisierte Solidarität umso wichtiger – indirekt über Konsum und Politik und direkt im Umgang mit Menschen, die aus einer Situation fliehen, die wir in großen Teilen mitzuverantworten haben.
Besonders die FDP stellt die Existenz des Entwicklungshilfeministeriums immer wieder in Frage. Was hätte es für Folgen, wenn die kommende Bundesregierung auf ein solches Ministerium verzichten würde, beziehungsweise was spricht dafür, es beizubehalten?
Frick: An den von der bisherigen Bundesregierung geplanten Kürzungen im Etat des Entwicklungsministeriums ist abzulesen, dass internationale Zusammenarbeit und die Unterstützung von Staaten mit hoher Armutsquote eine geringere Priorität haben sollen als bisher. Die Regierung erliegt der irrigen Annahme, dass reduzierte Investitionen hier keine gravierenden Folgen hätten, doch das ist falsch. Wer bei der Entwicklungszusammenarbeit den Rotstift ansetzt und Krisenregionen in aller Welt weniger unterstützt, riskiert den Verlust von globaler Stabilität, von der wir in Deutschland in erheblichem Maße profitieren.
Nicht nur deshalb darf Entwicklungszusammenarbeit nicht nur Nebensache und zum Anhängsel eines anderen Ministeriums werden, sondern ihr gebührt höchste Aufmerksamkeit. Was wir heute nicht gemeinsam global angehen, wird uns morgen noch mehr Anstrengungen und Geld kosten. Entwicklungspolitik ist nicht gleichbedeutend mit dem Verteilen von Almosen, sondern ein wichtiger Baustein internationaler Kooperation, die eher wichtiger als weniger wichtig wird. Glücklicherweise wird den kirchlichen Hilfswerken nach wie vor viel zugetraut und hohe Kompetenz bescheinigt. Es ist eine gute Tradition in der Bundesrepublik, auf sie als verlässliche Kooperationspartner zu bauen, die anderen Gesetzmäßigkeiten unterliegen als die Tagespolitik. Wir werden darum kämpfen, dass das weiter im Bewusstsein bleibt, und unsere Arbeit weiter qualifiziert tun. Dabei bieten wir unseren tiefen Einblick in die weltweiten Zusammenhänge und unsere Kontakte zu Initiativen und Nichtregierungsorganisationen an und werden weiterhin versuchen, unsere gemeinsame Wirksamkeit zu steigern.
Seit zwei Jahren ist die Kooperation zwischen den Hilfswerken Misereor und Renovabis weiter ausgebaut worden. Wie weit ist sie bisher gediehen, und wie weit soll die Kooperation am Ende gehen?
Frick: Zwischen Misereor und Renovabis hat es immer schon einen regelmäßigen, sehr lebendigen Austausch auf verschiedenen Ebenen gegeben. Die beiden sind auch die Werke mit der größten Ähnlichkeit, wobei sie unterschiedliche Zielgruppen – den globalen Süden und Osteuropa – haben, die sich ergänzen. Deshalb haben wir uns mit Renovabis auf den Weg gemacht, gemeinsam zu schauen, wo und in welcher Weise wir enger miteinander kooperieren können. Dafür nehmen wir uns die nötige Zeit und sondieren das in aller Ruhe. Wie weit die Kooperation gehen soll, ist noch offen. Dass wir aber stärker zusammenwachsen, zeigen verschiedene gemeinsame Aktivitäten wie die derzeit in Vorbereitung befindliche Aktion zur Stärkung der Menschenwürde in der Welt. Diese Aktion soll uns nicht zuletzt bei der anstehenden Misereor-Fastenaktion begleiten und bis zur Pfingst-Kollekte von Renovabis fortgeführt werden. Man kann an diesem Beispiel gut erkennen, dass es viel Potential gibt, um Synergieeffekte zu nutzen. Wenn die beiden Werke zusammenarbeiten, hat das ganz einfach auch eine größere Schlagkraft. Wir treten zukünftig deutlicher und enger unter einem großen gemeinsamen Auftrag auf, aber die Erkennbarkeit der beiden Hilfswerke wird bleiben.
Wie ist es in den nächsten Jahren um das Spendenaufkommen bestellt? Drohen da Einbrüche, oder wird es stabil bleiben?
Frick: Das Spendenaufkommen ist Gott sei Dank bisher stabil geblieben und wird aller Voraussicht nach auch weiter so bleiben. Viele Menschen bleiben uns mit ihrer Unterstützung sehr lange treu, weil sie sehen, dass wir eine pointierte, sachbezogene und engagierte Arbeit mit langfristig ausgerichteten Projekten machen. Wir sind nach wie vor sehr dankbar für viele Großspenden und Erbnachlässe, die uns zugutekommen, und genauso ist jede kleine Spende wichtig und ein hilfreicher Beitrag, etwas in der Welt zu verändern. Selbstverständlich ist es nach wie vor entscheidend, das Bewusstsein für unsere gemeinsame Verantwortung und den Blick für unsere Möglichkeiten zu erweitern.
Wird es auch in Zukunft bei dem Leitprinzip Hilfe zur Selbsthilfe bleiben? Oder könnte sich daran etwas ändern?
Frick: Das Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ bleibt. Wir führen ja nicht selbst Projekte durch, sondern unterstützen nach strengen Auswahlkriterien Partner, die mit ihren Initiativen bewiesen haben, dass sie in ihrem Land für einen Aufbruch sorgen können. Dadurch leisten wir einen solidarischen Beitrag, der hilft, und bleiben am Puls der Not der Zeit. Erwähnenswert ist auch, dass wir nicht nur kirchliche Werke unterstützen, sondern auch die Zivilgesellschaft.
Zusammenfassend gefragt: Wo steht der Kampf gegen Hunger und Armut auf der Welt heute?
Frick: Wir beobachten mit Sorge, dass das Problem von Hunger und Unterernährung in den vergangenen Jahren wieder zugenommen hat. Das hängt stark mit neu aufgetretenen Problemen wie der Corona-Pandemie, den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs und den zunehmenden Folgen der Klimaerhitzung zusammen. Gleichzeitig bleibt festzuhalten, dass die Zahl der Hungernden in den vergangenen Jahrzehnten zurückgegangen ist und von 2014 bis 2020 immerhin relativ stabil war – und das bei steigender Weltbevölkerung.
Und wenn man bedenkt, dass nach Erkenntnissen der Wissenschaft global auch zehn Milliarden Menschen ausreichend ernährt werden können, also im Prinzip genug für alle da ist, können wir mit einer gewissen Zuversicht am Ziel festhalten, den Hunger zu überwinden, was die Weltgemeinschaft sich 2015 ja auch mit ihren Nachhaltigkeitszielen vorgenommen hat. Nicht vergessen werden darf, dass es nach dem neuesten Welthungerindex trotz wieder zunehmender Probleme mit dem Hunger parallel gute Entwicklungen gibt und in Ländern wie Mosambik, Bangladesch und selbst Somalia weniger Leute unter Nahrungsmangel leiden müssen. Auch die globale Armut geht im langfristigen Vergleich trotz eines aktuellen Anstiegs zurück. Im Jahr 2013 lebten weltweit etwa 833 Millionen Menschen in extremer Armut, definiert als ein Einkommen von weniger als 2,15 US-Dollar pro Tag. Bis 2019 sank diese Zahl auf rund 684 Millionen. Es zeigt sich, dass die weltweiten Bemühungen zur Verringerung dieser großen Menschheitsprobleme nicht ohne Erfolg geblieben sind.
Und welche Länder, die momentan möglicherweise wegen der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten in den Hintergrund geraten, sollten Ihrer Meinung nach in der nächsten Zeit verstärkt im Fokus stehen?
Frick: Es stimmt, dass Kriege und Krisen wie die in der Ukraine und im Nahen Osten in den Medien so starke Aufmerksamkeit erhalten, dass andere Regionen mit außerordentlichen Notlagen beinahe in Vergessenheit geraten. Ich denke dabei zuallererst an den Krieg im Sudan. Der dort seit April 2023 andauernde Konflikt hat eine der schwerwiegendsten humanitären Krisen weltweit ausgelöst. Mehr als 14 Millionen Menschen, etwa 30 Prozent der sudanesischen Bevölkerung, wurden vertrieben, wobei über elf Millionen innerhalb des Landes und rund drei Millionen in Nachbarstaaten geflohen sind. Die humanitäre Lage ist katastrophal. Krieg und rivalisierende Banden hindern uns daran, dort verlässlich zu arbeiten, aber wir lassen nicht nach. Mehr Aufmerksamkeit würde ich mir auch für sehr schwerwiegende Krisen in Ländern wie Haiti oder Myanmar wünschen. Und in Venezuela und Nicaragua würde ich mir wünschen, mehr tun zu können.
Interview: Gerd Felder