Antisemitismus ist – leider – noch immer ein gesellschaftliches Problem. Unwissen oder Halbwahrheiten gehören zu den Wurzeln. Informationen und echtes Interesse für andere Menschen, ihr Leben und ihre Kultur sind ein Mittel, dem entgegenzutreten. Denn was ich kenne, was mir vertraut ist, dem begegne ich mit Offenheit, Verständnis und Toleranz.
Die Ausstellung „Menschen, Bilder, Orte – 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ schließt auf spannende Weise Wissenslücken und lässt eintauchen in Religion, Kultur, Lebensweise und Lebensgeschichten, die seit 17 Jahrhunderten zu unserem Land dazugehören. Die Jahreszahl geht auf das Jahr 321 zurück. Damals erließ der römische Kaiser Konstantin ein reichsweites Gesetz, das ermöglichte, dass Juden in Stadträte berufen werden konnten. Gerichtet war die Urkunde an den Stadtrat von Köln, zu der Zeit die Hauptstadt der römischen Provinz „Germania secunda“. Sie ist damit der älteste Nachweis jüdischen Lebens im Raum nördlich der Alpen.
Wie Köln bestand auch Aachen (Aquae Granni) zu dieser Zeit bereits seit mehr als 300 Jahren und war mit einer Fläche von rund 30 Hektar eine der bedeutendsten Städte in der Provinz. Unter anderem wegen seiner heißen Quellen zog es Menschen aus allen Ecken des römischen Reiches nach Aachen. Konkrete archäologische Nachweise aus dieser Zeit gibt es dafür nicht, aber es wird vermutet, dass sich auch hier Menschen jüdischen Glaubens angesiedelt hatten. Eine erste nachgewiesene Verbindung gibt es aus der Zeit Karls des Großen – und noch dazu eine mit einer Geschichte. So schön, dass sie bei der Eröffnung der Ausstellung in der Aachener Citykirche gleich zwei Mal erzählt wurde. Und zwar wird berichtet, dass der Jude Isaak, Diplomat, Dolmetscher und Gesandter am Hof des Frankenherrschers, Karl als Geschenk des Kalifen Harun ar-Raschid einen (weißen) indischen Elefanten namens Abul-Abbas überbracht und über die Alpen nach Aachen geleitet hat.
Jüdisches Leben gehört über Jahrhunderte zum Leben in und um Aachen – mit allen Höhen und Tiefen. Gedenktafeln in Stadt und Städteregion erinnern an den tiefsten Tiefpunkt, die Shoah, niedergebrannte Synagogen und die in den Tod geschickten Menschen jüdischen Glaubens. Heute steht unter anderem eine lebendige jüdische Gemeinde in Aachen für jüdisches Leben, das hier seinen festen Platz hat, wie Oberbürgermeisterin Sybille Keupen und Städteregionsrat Tim Grüttemeier betonten. Die Gemeinde beteiligt sich auch am Programm zur Ausstellung.
Die Ausstellung „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“, die das MiQua LVR-Jüdische Museum im Archäologischen Quartier Köln konzipiert hat, greift all diese Höhen und Tiefen auf, erzählt von jüdischem Leben gestern, heute und morgen. Das tut sie immer wieder auf die Weise, die Menschen am direktesten anspricht, in den (Lebens-)Geschichten bekannter und unbekannter Menschen. Die Ausstellung besteht aus vier Kuben (begehbaren Würfeln) zu den vier Themenbereichen: „Recht und Unrecht“, „Leben und Miteinander“, „Religion und Geistesgeschichte“ und „Kunst und Kultur“. In jedem Kubus können sich die Besucher das Thema in Filmbeiträgen, Bildern, kurzen Texten, Interviews und interaktiven Elementen wie einem kurzen Quiz erschließen. Und auch die Außenwände laden zum Schauen und Selbst-aktiv-Werden ein. Immer wieder gibt es kleine Gucklöcher, hinter denen sich Informationen verbergen oder zusätzliche Informationen oder Biografien, wenn man mit dem Smartphone den abgebildeten QR-Code einscannt.
So erfährt man unter anderem, dass Jüdinnen und Juden im französischen Rheinland erst ab 1808 Familiennamen annahmen, um erweiterte Rechte als Bürger zu erhalten. Die leiteten sich von Berufen oder Orten, aber auch von positiven Begriffen und Eigenschaften ab (Stern, Rosenthal, Lustig oder Ehrlich). Zudem lernt man jüdische Vorschriften zum Beispiel fürs Essen, Riten und Traditionen kennen, und welche Feiertage es gibt und wann und wie sie gefeiert werden. Jüdische Kinder mögen an Chanukka ebenso wie christliche Kinder an Weihnachten auch die Geschenke besonders.
Der Bereich „Recht und Unrecht“ thematisiert Phasen der Verfolgung wie unter anderem das Pestpogrom von 1341, die Ausweisung aus den Städten und die Schoa, aber auch Phasen der Gleichberechtigung, in denen Religion keine Rolle spielte. Hier wird auch die Auseinandersetzung und Aufarbeitung der Shoah und das Wiederaufleben der Gemeinden betrachtet. „Religion und Geistesgeschichte“ stellt wichtige Schriften und Werke vor und gibt Einblicke und Beispiele jüdischer Gelehrsamkeit. Deren Grundstein legten im 11. Jahrhundert die Schum-Gemeinden (Speyer, Worms, Mainz), deren Gelehrte bei Fragen zu Religion und Recht zu Rate gezogen wurden. Im 18. und 19. Jahrhundert suchten Juden mit der jüdischen Aufklärungsbewegung immer mehr den Weg in die bürgerliche Gesellschaft. Texte wie die „Haggada“ wurden ins Deutsche übersetzt und so einem breiteren Kreis zugänglich.
Der Bereich „Kunst und Kultur“ zeigt, wie vielfältig der Beitrag jüdischer Kunst-, Musik- und Kulturschaffender war und ist (und welche wunderbaren Werke uns ohne sie fehlen würden), geht aber auch der Frage nach, was „jüdische Kunst“ eigentlich ist. Auch das geschieht wie in allen Bereichen anhand der Geschichten von Menschen jüdischen Glaubens. Über sie werden einem jüdische Geschichte und jüdisches Leben vertraut.
Die Ausstellung ist noch bis zum 18. September in der ökumenischen Citykirche St. Nikolaus Aachen zu sehen. Öffnungszeiten: Täglich 10 bis 18 Uhr. Ergänzt wird die Ausstellung durch eine vielfältiges Rahmenprogramm: www.citykirche.de/veranstaltungen