Die Türen sind offen. Das ist ein Glück und etwas Besonderes, wie Meike Schuster, Leiterin der Viersener Beratungsstelle der Initiative gegen Arbeitslosigkeit der Region Kempen-Viersen, betont. Menschen, die Beratungen rund um das Thema Arbeitslosigkeit und Armut benötigen, brauchen den persönlichen Kontakt. Um die Arbeit von Arbeitslosenzentren und Beratungsstellen wie das Viersener zu unterstützen, sind die Gläubigen immer am ersten Sonntag im Mai zur Solidaritätskollekte aufgerufen.
Wie funktioniert eine Beratung über einen acht- bis neunseitigen SGBII- oder HartzIV-Bescheid, wenn alle Einrichtungen schließen müssen? „Sie sind zwar elektronisch und telefonisch da, aber das passt überhaupt nicht zur Klientel“, sagt Meike Schuster. „Die Leute sind hilflos, weil sie keinen Ansprechpartner haben. Bei uns war das persönliche Gespräch weitestgehend möglich“, berichtet Armin Grabitz, der schon acht Jahre für „den juristischen Kram“ in der Beratungsstelle zuständig ist. Trotzdem sei dieser Kontakt nicht mit der Vor-Corona-Zeit zu vergleichen. „Weil wir keine offenen Beratungen haben und im Stundentakt arbeiten müssen, bleibt wenig Zeit für tiefergehende Gespräche“, schildert Grabitz und bedauert: „Wir müssen unpersönlicher drangehen.“ Allerdings betont er auch, dass darunter die Qualität der Beratung an sich nicht leide.
Ein Jahr Arbeitslosigkeit in Corona-Zeiten. Wie stellt sich die aktuelle Situation dar? Meike Schuster nennt sie „erschreckend“, denn viele aus ihrer Klientel im Rahmen der Existenzsicherung und prekären Arbeit rutschten jetzt vom ArbeitslosengeldI in SGBII – also HartzIV –, und hier gebe es Fälle, in denen diesen Menschen drohe, dass sie ihr Haus verlören. „Den Absturz der Mittelschicht kann man jetzt definitiv merken“, konstatiert die Beratungsstellenleiterin.
Daneben sei festzustellen, dass die Entsolidarisierung zunehme: „Wenn man nicht arbeitet, ist man nichts wert. Ich beobachte schon seit Längerem, dass der Wert eines Menschen stark an der Verwertbarkeit für die Erwerbsarbeit festgemacht wird. Wenn man durch Krankheit oder eigene Fehler aus dem System herausfällt, ist man erstmal nicht mehr so viel wert als Mensch.“ Gleiches gelte, wenn „unsichtbare Arbeit“ verrichtet werde, etwa in der Pflege von Angehörigen oder Erziehung der Kinder. „Eine Klientin hat mir einmal etwas sehr Eindrucksvolles gesagt: ,Ich kann den mitleidigen Blick der Postbotin nicht mehr ertragen.‘“
Wichtig ist der Sozialberaterin Schuster darum, dass „die Menschen, die zu uns kommen, merken, dass sie keine Bittsteller sind: Sie haben einen Rechtsanspruch.“ Den könnten sie zuweilen ohne die Beratung aber nicht wahrnehmen, da ihnen das notwendige Wissen fehle und die öffentlichen Stellen sie oft schlecht über ihre verbrieften Ansprüche informierten. Schon die Formblätter hätten darüber hinaus einen vorwurfsvollen Grundton, und es gelte das Bestrafungsprinzip. Ganz klar formuliert: „SGBII ist ein schlechtes Gesetz, und es schadet sehr vielen Menschen, aber klar ist auch: Wir brauchen eine Alternative.“ Diese müsste Schusters Ansicht nach erst einmal Leben ermöglichen, und „irgendwann, wenn die Leute sich erholt haben, können wir darüber reden, welche Forderungen gestellt werden könnten. Derzeit ist es genau andersherum.“
Für Meike Schuster ist die Solidaritätskollekte in zweierlei Hinsicht wichtig: im Sinne der finanziellen Unterstützung; viel bedeutsamer findet sie aber die Aufmerksamkeit, die auf Menschen in Arbeitslosigkeit gerichtet wird. „Es muss nicht jeder viel Geld geben, es wäre wichtig, dass diese Stammtischreden aufhören: ,Wenn er nur wollte, würde er Arbeit finden.‘“ Die Konjunktive müssten wegfallen, ist sie überzeugt. „Es ist ein empathisches Problem.“ Auf Augenhöhe, nicht mit Mitleid, einfach menschlich müsse man sich begegnen. Vielleicht auch einmal hinterfragen, wie das Gegenüber in diese Situation gekommen ist. Warum hat jemand so getrunken, dass er die Arbeitsstelle verlor? Wie waren die Arbeitsverhältnisse, gab es Beziehungsprobleme? „Ich wäre froh, wenn die Menschen einen Blick dafür bekämen, dass ihr eigenes Aburteilen aufhören muss.“
„Da sind wir bei der Diskussion um die würdige und unwürdige Armut, das ist ein uralte Diskussion auch in der Kirche.“ Etwas, womit sich Meike Schuster schwer tut. Gesellschaftlich existiere Armut als selbstgewähltes Lebenskonzept, aber „eine selbstgewählte Armut ist keine Armut für mich. Um mich zu beschränken, muss ich mich beschränken können.“ Ein Beispiel hierfür sei Franz von Assisi, der sich als Sohn eines reichen Kaufmanns die Kleider vom Leib reißen musste, weil er sich für die Bedürfnislosigkeit entschieden habe. „Er hatte eine Wahl. Aber wer arm ist, der kann nicht wählen. Ein Mensch, der arm ist, der leidet, weil er nicht teilhaben kann an der Solidargemeinschaft.“
Weitere Informationen rund um die Solidaritätskollekte und ein Link zur Online-Spende unter www.bistum-aachen.de/Solidaritaetskollekte