Mehr als nur zwei Räder

Über einen Kurs des regionalen Caritasverbands lernen Migrantinnen Fahrrad fahren

Es klappt! – Der Moment, in dem die Frauen zum ersten Mal ein Stück alleine und fast ohne Hilfe von ihrer ehrenamtlichen Lehrerin fahren, lässt beide strahlen. (c) Andrea Thomas
Es klappt! – Der Moment, in dem die Frauen zum ersten Mal ein Stück alleine und fast ohne Hilfe von ihrer ehrenamtlichen Lehrerin fahren, lässt beide strahlen.
Datum:
5. Mai 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 18/2022 | Andrea Thomas

Fahrrad fahren, für die einen bedeutet es mehr Bewegung, gesünder leben, etwas fürs Klima zu tun oder einfach Freizeitvergnügen. Für die Teilnehmerinnen des interkulturellen Fahrradkurses der Caritas bedeutet es vor allem eines: Freiheit.

Wichtig ist für die Frauen, sich zunächst mit dem Fahrrad vertraut zu machen. (c) Andrea Thomas
Wichtig ist für die Frauen, sich zunächst mit dem Fahrrad vertraut zu machen.

Die meisten der Frauen kommen aus Ländern, in denen es nicht üblich oder sogar verboten ist, dass Mädchen Fahrrad fahren lernen. „Ich bin in einer kleinen Stadt in der Türkei aufgewachsen“, erzählt Hamdiye Arslan. Da sei es nicht verboten gewesen, aber für Mädchen auch nicht üblich. Als sie nach Deutschland gekommen ist, hat sie sich daher drei Dinge vorgenommen, die sie unbedingt machen möchte: Fahrrad fahren und schwimmen lernen und den Auto-Führerschein.

Den Führerschein hat Ptaime Majda, allerdings einen belgischen, mit dem sie hier nicht fahren kann. Außerdem nutzt ihr Mann das Auto. Davon Fahrrad fahren zu lernen, erhofft sich die gebürtige Marokkanerin endlich wieder mobil zu sein. Zeynep Cifticioglu hat den Kurs bereits im vergangenen Jahr gemacht und hilft nun als Ehrenamtliche mit. „Vor zwanzig Jahren in meiner Kindheit war das einfach noch so, Söhne bekommen ein Fahrrad, Töchter nicht.“ In ihrem Kurs seien aber auch Frauen aus Afghanistan gewesen. „Dort ist Fahrrad fahren zu lernen für Mädchen und Frauen verboten“, berichtet Zeynep, die selbst aus der Türkei stammt. Es hier in Deutschland lernen zu dürfen und zu können, bedeutet für sie alle daher auf unterschiedliche Weise ein Stück Freiheit: Die Freiheit, selbst zu entscheiden, ob sie das lernen wollen oder nicht,   sich ohne Hilfe von anderen von A nach B zu bewegen, die Kinder in die Kita zu bringen, einzukaufen oder eine Radtour mit den Kindern zu machen. Für die ist Fahrrad fahren genauso normal wie für ihre Freundinnen und Freunde.

Kurs ist auch Kontaktbörse 

Das Fahrrad schenkt den Frauen ein Stück Freiheit und Selbstbestimmung. (c) Andrea Thomas
Das Fahrrad schenkt den Frauen ein Stück Freiheit und Selbstbestimmung.

Ihnen dabei zu helfen, ist für Gertrud Pilgrim, eine der Ehrenamtlichen, die den Kurs begleiten und die Frauen betreuen, ein genauso tolles Gefühl, wie wenn ihre Schülerinnen zum ersten Mal alleine fahren. „Fahrrad fahren gibt ihnen Selbständigkeit und stärkt ihr Selbstbewusstsein. Gerade arabisch-stämmige Frauen haben oft wenige Kontakte.“ So ist der Kurs für die Teilnehmerinnen und die Ehrenamtlichen auch die Möglichkeit, sich auszutauschen und Kontakte zu knüpfen. Die gute Stimmung und das schöne Miteinander heben auch Hamdiye, Ptaime und Zeynep hervor. Das und den Spaß, den Fahrrad fahren macht, auch wenn es schwer ist. 

Denn was den meisten im Kindesalter leicht fällt, ist als Erwachsene gar nicht so einfach. „Ich habe mir nicht vorgestellt, wie schwierig es ist, erwachsenen Frauen Fahrrad fahren beizubringen“, sagt Gertrud Pilgrim. Sie müssten sich immer wieder auf die Frauen einstellen und individuell schauen. „Erklären, dass ein Lenker zum lenken ist und nicht zum daran festklammern, wie man richtig auf einem Sattel sitzt...“, erzählt sie mit einem Lächeln. Vieles gehe übers Zeigen und Vormachen. Die Betreuung ist eins-zu-eins, was wichtig sei, um den radunerfahrenen Frauen Sicherheit zu geben, erläutert Edmund Heidenthal von der Verkehrswacht Aachen, auf deren Übungsplatz der Kurs stattfindet. Den leitet er gemeinsam mit Katja Hartmann vom Referat Ehrenamt, Familie, Migration des Regionalcaritasverbands. Im vergangenen Jahr hat Heidenthal eine Schulung zu dem Thema gemacht und wollte gerne auch in Aachen einen Fahrradkurs für Migrantinnen anbieten. Die Caritas mit einer ähnlichen Projekt-Idee kam da als Kooperationspartner wie gerufen. Edmund Heidenthal beeindruckt, wie selbstbewusst die Frauen sich der Herausforderung stellen: „Ich will das, dann schaffe ich das.“

In den ersten Stunden machen sich die Frauen zunächst mit den Fahrrädern vertraut, die zu diesem Zweck in Laufräder ohne Pedale verwandelt werden. Dann erst wagen sie ihre ersten richtigen Fahrversuche. Einige wackeln noch ordentlich, brauchen die stabilisierende Hand ihrer ehrenamtlichen Lehrerinnen. Andere entpuppen sich als Naturtalent und radeln nach kurzer Zeit bereits weitgehend alleine. „Die Helferin ist sehr wichtig.

Sie gibt Sicherheit. Das ist auch beim Schwimmen so. Du musst wissen, da hält dich einer fest, wenn nötig“, beschreibt es Hamdiye. Klappt es einmal selbständig, heißt es üben. „Wir konzentrieren uns darauf, dass sie das Radfahren ansich beherrschen. Verkehrsregeln behandeln wir in dem Kurs nur am Rande. Das wäre im Moment für die meisten noch zu viel“, sagt Edmund Heidenthal. Ihm schwebt ein Aufbaukurs vor, in dem die Frauen dann den „Fahrrad-Führerschein“ erlangen. Auch Katja Hartmann würde die Kurse gerne verstetigen. „Die Nachfrage ist groß und auch der Einsatzwille. Selbst jetzt im Ramadan sind alle gekommen.“ Woran man sehe, wieviel es den Frauen bedeutet.

Damit der Kurs erfolgreich ist, braucht es vernünftige Fahrräder. Wer das Projekt 
mit einem Rad oder einer Spende unterstützen will: Katja Hartmann, 
Tel.: 02 41/94 92 72 28, E-Mail: k.hartmann@caritas-aachen.de