Mehr als Haare

Zwei Mal im Monat frisiert Alais Jardo ehrenamtlich Obdachlose und arme Menschen. So gibt er ihnen ihre Würde zurück

2016 flüchtete Alais Jardo vor dem IS  aus dem Irak. Jetzt schneidet er zwei Mal im Monat den Klienten des SKM die Haare. (c) Garnet Manecke
2016 flüchtete Alais Jardo vor dem IS  aus dem Irak. Jetzt schneidet er zwei Mal im Monat den Klienten des SKM die Haare.
Datum:
5. Okt. 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 40/2022 | Garnet Manecke

Ein gepflegtes Äußeres streichelt die Psyche. Das gilt besonders für obdachlose Menschen und jene, die sich aufgrund ihres sehr geringen Einkommens keinen Frisörbesuch leisten können. Ihnen schneidet der Frisör Alais Jardo ehrenamtlich die Haare. Seinen „Salon“ öffnet der irakische Jeside zwei Mal im Monat beim SKM Rheydt. So gibt er den Menschen ihre Würde zurück. Ein Frisörbesuch.

Der Kunde weiß genau, was er will: „Zwei Millimeter, bitte“, sagt er zu Alais Jardo, der ihm gerade den Frisierumhang anlegt. Vorab hat der 52-jährige Frisör um den Hals seines Kunden eine Papiermanschette gelegt, die er nun über dem Kragen des Umhangs abknickt. Mit dem Kamm ordnet er die grauen Haare am Kopf, die er gleich mit einem Rasierer stutzt. Das Gerät summt leise, während die silbergrauen Haare über die Schulter von Jardos Kunden auf den Boden fallen. Zu den Haarbüscheln, die da schon liegen.

Seit drei Wochen schneidet Jardos am ersten Donnerstag und dritten Montag im Monat den Klienten des SKM Rheydt ehrenamtlich die Haare. Seinen „Salon“ öffnet er in einem Wirtschaftsraum des SKM. Es ist eng und auch nicht wirklich wirtlich. Aber für die Klienten ist es ein kleines Paradies. Einen Frisörbesuch können sie sich in der Regel nicht leisten. Aber ein gepflegtes Äußeres ist auch ihnen wichtig. Es gibt ihnen Würde. Piet schließt genießerisch die Augen, als Jardo seinem Kurzhaarschnitt den letzten Schliff gibt. Auf dem Oberkopf ist das Haar etwas länger, an den Seiten raspelkurz gehalten. Ein Schnitt, der Exaktheit fordert. In einer feinen Linie um den Kopf endet das Haupthaar. „Ein Frisörbesuch würde 15 Euro kosten“, sagt Piet. Für ihn kaum leistbar, wenn er ein Mal im Monat gehen würde. Hier kommt er jetzt alle drei Wochen hin.

Wenn man Piet so beobachtet, dann kommt schnell der Verdacht auf, dass es nicht nur um geschnittene Haare geht. Der 45-Jährige genießt es, wenn Jardo ihm zum Ende noch Haarwasser über den Kopf streicht und ihn eine angenehm frische Duftwolke umschwebt. Die 20 Minuten im „Frisörsalon“ haben Piet gut getan.

„Beim ersten Mal kamen sieben Leute“, sagt Werner Trapmann, Leiter des Café Emmaus des SKM Rheydt. Jetzt habe es sich so auf fünf Klienten pro Einsatz von Jardo eingependelt. Auch Frauen sind darunter, die sich zumindest die Haarspitzen schneiden lassen. Die Erfahrungen, die der SKM mit diesem Angebot macht, sind sehr gut. Trapmann erzählt von einem Obdachlosen, dem er von dem Angebot erzählt habe. Der Bart des Mannes war schon sehr ungepflegt und verstrubbelt, die Haare sehr lang. Er machte einen verwahrlosten Eindruck. „Als er hierher kam, sagte er nachher, dass er nun seine Würde wieder habe“, sagt Trapmann.

Alais Jardo hilft, weil er weiß, was es heißt, Hilfe zu brauchen. 2016 flüchtete der Jeside vor den Schergen des „Islamischen Staats“ (IS). Zuerst landete er in England und ist auch heute noch im Besitz eines britischen Passes. Seit ein paar Monaten wohnt er mit seiner Familie in Mönchengladbach. Er besucht einen Integrationskurs, um Deutsch zu lernen. Noch braucht er einen Dolmetscher, um eine längere Unterhaltung zu führen. Aber mit jedem Tag wird es besser. Mit seinen Kunden kann er sich gut verständigen.

Leise surrt die Waschmaschine, deren Trommel sich gleichmäßig dreht. Auf einem Trockner steht ein Karton mit Schlafsäcken, am Regal hängt eine große Einkaufstüte mit leeren Pfandflaschen, in denen mal Discount-Cola war. Der Boden ist aus Beton, aber zumindest kommt durch das Fenster etwas Tageslicht. Mit einem Spiegel, den er auf einen Tisch gestellt hat, ein paar Flaschen Haarpflegemittel, Kämmen und einem Rasierpinsel ist aus der Kammer ein Salon geworden. Wenn Jardo mit jemandem etwas Komplizierteres regeln muss, hilft ihm Ali Mansour als Übersetzer aus.

Über das Freiwilligenzentrum der Caritas habe er den SKM gefunden, erzählt Jardo. Seit acht Jahren arbeitet er als Frisör. Er schneidet dabei nicht nur die Haare, sondern bringt auch Augenbrauen in Form und stutzt Bärte. Alles, was ein Männerkopf so an Pflege braucht. Zwar sind beim SKM auch schon mal Frauen zu ihm gekommen. Aber das Gros seiner Kunden sind Männer.

Ursprünglich war der Plan, dass Jardo ukrainischen Flüchtlingen helfen sollte. Aber die Klienten beim SKM brauchen alle Hilfe. Da macht Jardo keinen Unterschied zwischen den Nationalitäten und Religionen. Eine gute Frisur tut schließlich allen gut.