Mehr Gleichberechtigung

Ob Christentum, Judentum oder Islam: Beim Thema Diversität und Inklusion haben alle noch Potenzial

Das Projekt „Engel der Kulturen“ der Burscheider Künstler Gregor Merten und Carmen Dietrich setzt Zeichen für Versöhnung und ist ein Wegbegleiter. Der engel vereinigt die Symbole des Juden- und Christentums sowie des Islam. (c) Dorothée Schenk
Das Projekt „Engel der Kulturen“ der Burscheider Künstler Gregor Merten und Carmen Dietrich setzt Zeichen für Versöhnung und ist ein Wegbegleiter. Der engel vereinigt die Symbole des Juden- und Christentums sowie des Islam.
Datum:
1. Dez. 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 48/2021 | Garnet Manecke

In einem interreligiösen Dialog sprachen Julia Enxing (Christentum), Helene Braun (Judentum) und Dina El Omari (Islam) über die Herausforderungen in ihren Religionen. Zwei Stunden wurden bei einer Online-Veranstaltung die weiblichen Perspektiven auf die Religionen ausgetauscht. Dabei stellte sich heraus, dass es viele Gemeinsamkeiten gibt.
Mit drei Fragen führten die Moderatorinnen Lucia Traut und Ingrid Scholz durch die Online-Diskussion zwischen den Theologinnen Julia Enxing und Dina El Omari sowie der Rabbinat-Studentin Helene Braun.

Was ist ihr Herzensthema im interreligiösen Dialog?

Julia Enxing ist Professorin für Systematische Theologie an der Universität Dresden. (c) Amac Garbe
Julia Enxing ist Professorin für Systematische Theologie an der Universität Dresden.

Julia Enxing  Das ist tatsächlich das Thema „Umgang mit Geschlechtervielfalt“. Ich möchte nicht nur Frauen nennen, weil ich glaube, dass alle Nicht-Männer und Nicht-Heterosexuellen die Erfahrung gemacht haben, in ihrer Religion nicht angemessen repräsentiert zu sein. So dass ich der Auffassung bin, dass wir uns da über die Konfessionen und Religionen hinweg verbünden müssen. Wir müssen uns nicht nur inhaltlich austauschen und fragen, was gelingt in anderen Religionen, und wie finden da Aufbrüche statt. Wir müssen uns auch zusammenschließen. Ich bin der Auffassung, dass uns viel mehr verbindet als uns trennt. Gerade in einer aufgeklärten Auffassung von Religiosität und weltoffener Bereitschaft, sich dem anderen anzunähern, gelingt es sehr gut, dass wir uns in unserem Engagement für mehr Gleichberechtigung und Gerechtigkeit zusammenschließen. 


 
Dina El Omari  Da kann ich mich nur anschließen. Natürlich bietet sich der Dialog an, um bestimmte Synergieeffekte zu erzielen, also dass man gemeinsam bestimmte Themen anspricht. Wir aus der muslimischen Perspektive profitieren definitiv von äl-    teren Religionen, weil die meistens schon länger in diesen Diskursen sind. Wenn wir zum Beispiel über das Thema Feminismus oder Diversität sprechen, und was es für Strategien gibt, kann man schon sehr stark im Austausch profitieren und das weiterentwickeln. Das ist mir ein großes Anliegen. Gerade auch, weil wir innerislamisch noch Debatten führen, die vielleicht im Judentum und im Christentum schon überwunden sind. Natürlich gibt es immer auch fundamentalistische Auslegungen. Ganz zentral ist das Thema der Objektivierung von Frauen in islamischen Diskursen, dass der weibliche Körper belastet ist mit bestimmten Narrativen. Das führt zwangsläufig zum Thema Diversität: Wie können wir bestimmte Denkmuster aufbrechen? Gerade wenn es darum geht, über binäre Strukturen hinaus zu denken.

 

Helene Braun  Zu Diversität wurde jetzt schon so viel gesagt, ich versuche mal, darauf aufzubauen: Frauen in der Religion, aber dann auch Sprache und Kultur, was ja auch mehr Diversität reinbringt. Verschiedene Herkunftsländer oder verschiedene Muttersprachen oder Mehrsprachigkeit. Was für mich auch reinzählt, sind die Themen Inklusion und Barrierefreiheit. Auch das gehört für mich zu einer diversen Religionsgemeinschaft. Da sehe ich im Judentum noch viel Luft nach oben. 

 

Was sehe ich in meiner religiösen Gemeinschaft als die größte Herausforderung?

Helene Braun will Rabbinerin werden.  Sie studiert in Berlin und Jerusalem. (c) privat
Helene Braun will Rabbinerin werden. Sie studiert in Berlin und Jerusalem.

Helene Braun  Der Generationenwechsel ist auf jeden Fall ein Thema. Auch jüdische Gemeinden werden meist von älteren Menschen besucht und durchaus sehr wenig von jungen Menschen oder Kindern. Mir stellt sich die Frage: Was passiert in den nächsten 10 bis 20 Jahren? Wird es diese Gemeinden noch geben? Kommen zum Gottesdienst dann nur noch 2 statt 20 Leute? Deshalb ist es eine Herausforderung, da anzupacken. Meine beiden anderen Punkte sind LGBTQ und Inklusion.

 

Julia Enxing  Den Klassiker der Ämterfrage, also die Diskussion um Ausschluss. Exklusion wäre eigentlich fast der Überbegriff. Bei der Frage „Wer und was darf gesegnet werden?“ haben wir auch das Problem, dass wir jemanden ausschließen und ich mir natürlich eine Kirche wünsche, die die Menschen empfängt und willkommen heißt. Das Zweite ist der Umgang mit transsexuellen oder queeren Menschen. Welche Herausforderung ist es für unser gesamtes Verständnis von Kirche, wenn sich Menschen nicht einem Geschlecht zuordnen können oder möchten? Auch pastoral, wenn man einmal an die Frage der Tauftheologie denkt. Wenn Transmenschen ihr Geschlecht oder ihren Namen wechseln: Dürfen sie nicht wieder getauft werden? Bleiben sie in den Kirchenregistern immer die, die sie waren, obwohl sie eine Wandlung vollzogen haben? Als Drittes ist es das Menschenbild. Ich sehe das Christentum mitverantwortlich für unsere aktuelle Umweltkatastrophe und das Artensterben, weil wir uns lange Zeit erzählt haben, dass alles für uns da wäre. Das erlebe ich in anderen Religionen anders. Da gibt es ein demütigeres Menschenbild als im Christentum. Ich sehe als große Herausforderung im gesamten Christentum zu verstehen, dass wir auf jedes Leben angewiesen sind und jedes Leben schützenswert ist – nicht nur das menschliche. 

 

Dina El Omari  Das sind alles Dinge, die auch innerislamisch als Herausforderungen zu sehen sind. Ich bringe noch drei andere Punkte ein. Die androzentrische Perspektive auf die Quellen und die religiöse Praxis. Es ist nach wie vor so, dass im islamischen theologischen Diskurs sehr stark das islamische Recht vorherrschend ist. Das ist ein rein androzentrisches Recht, das auf die Frau als Objekt sieht. Das wiederum hat sehr starken Einfluss auf die Lebenspraxis und die religiöse Praxis vieler Muslime und Muslima. Hier müsste ein Paradigmenwechsel stattfinden. Innerislamisch haben wir noch eine sehr starke exklusivistische Haltung. Wir haben immer noch sehr viele, die von einem exklusiven Gottesbild ausgehen, das mit einem Absolutheitsanspruch einhergeht: Nur der Islam ist die wahre Religion. Alle anderen Religionen haben zwar Existenzberechtigung, aber sie führen nicht zum Heil.

Mittlerweile gibt es auch innerislamisch und von theologischer Seite sehr gut begründete Ansätze für eine inklusive Haltung. Der Wahrheitsanspruch bleibt erhalten, aber es ist halt kein absolutis-tischer Anspruch. Man akzeptiert mehrere Wege, die zu Gott führen, und die sind individuell, weil man die Wahrheit nicht besitzen kann. Deshalb gibt es da eine Öffnung, die aber noch sehr klein ist.

Ein dritter Punkt aus innerislamischer Perspektive ist das Thema „Opferdiskurs“. Bei uns kippt das gerade in eine Richtung, in der inner-islamische Kritik gerne mundtot gemacht wird mit dem Argument, das sei anti-islamischer Rassismus. Und wir Muslime werden selber interessanterweise als islamophob oder antimuslimische Rassisten bezeichnet. Egal, was man fragt: Es wird immer gleich als Diskriminierung empfunden. Es ist überhaupt keine Frage, dass es Rassismus und Diskriminierung gibt. Nur darf das nicht zum Mittel werden, Aufklärung zu stoppen.

  

Ist das Thema Geschlechtergerechtigkeit  in Gesellschaft und Religionsgesellschaft wichtiger, weniger wichtig oder gleich wichtig geblieben?

Dina El Omari hat in Islamischer Theologie promoviert. Sie arbeitet am Zentrum für Islamische Theologie an der Universität Münster. (c) privat
Dina El Omari hat in Islamischer Theologie promoviert. Sie arbeitet am Zentrum für Islamische Theologie an der Universität Münster.

Dina El Omari  Es ist vielleicht einen Ticken wichtiger geworden. Die Corona-Zeit hat ja vieles deutlicher gemacht: zum Beispiel die Doppelbelastung von Frauen. Sie müssen sehr oft doppelt so viel leisten wie Männer, um sich beweisen zu können. Da gibt es viele Ungleichheiten auf gesellschaftlicher Ebene. Die Thematik physischer und psychischer Gewalt gegen Frauen ist jetzt nochmal richtig hochgespült worden. In der innerislamischen Entwicklung sind die Problematiken gleich geblieben, die beschäftigen uns seit vielen Jahren.

 

Helene Braun  Innerhalb des Judentums hat es sich vielleicht schon verändert. Im November 2018 haben wir den queer-jüdischen Verein Keshet (Regenbogen) in Berlin gegründet. Vor Corona haben wir Veranstaltungen gemacht, sind von Synagoge zu Synagoge gezogen und haben dort Freitagabend-Gottesdienste mitveranstaltet. Damit haben wir darauf aufmerksam gemacht, dass sehr viel mehr Menschen in der Synagoge auftauchen, wenn dieser queer-jüdische Verein zum Shabbat einlädt, sie sich an anderen Tagen aber vielleicht nicht so willkommen fühlen. Der Verein wird hoffentlich bald an mehreren Orten eine wunderbare Arbeit machen: Denen, die sich zugehörig fühlen, einen sicheren Raum bieten, aber auch innerjüdisch Aufklärungsarbeit leisten.

 

Julia Enxing  Ich kann mich dem Thema sehr anschließen. Das ist wichtiger geworden. Wir haben im letzten Jahr viele Zeichen gesetzt. Auch keine Regenbogenfahne aufzuhängen, ist ein Zeichen und nicht neutral. Ich habe so ein Gefühl, dass aus Rom immer wieder kommt „Wir haben alles gesagt“ und „die Diskussion ist beendet“ oder „als Mann und Frau schuf er sie“. Dass also immer wieder solche Signale gesendet werden. Für mich sind sie ein Zeichen, dass wir am Thema dranbleiben müssen. Das könnte man auch auf die Wissenschaft ausweiten, denn da ist ja auch viel ans Tageslicht gekommen wie der Gender Pay Gap, also unterschiedliche Bezahlung von Frauen und  Männern für die gleiche Position. Frauen werden in theologischen Zeitschriften viel weniger zitiert oder dass auf Tagungen immer wieder Statements von Männern gefeiert werden zu Themen, zu denen Frauen schon ziemlich viel Gutes gesagt haben. 

 

Eingeladen hat die Frauenseelsorge Mönchengladbach in Kooperation mit dem Katholischen Forum für Weiterbildung, dem kfd Regionalverband Mönchengladbach und kfd Diözesanverband Aachen.