Marketing ist kein Heilsbringer

Pfarrer Thomas Schlütter hat seine Lebensentscheidung nie bereut

Pfarrer Thomas Schlütter ist im Bistum Aachen „berufen” unterwegs. (c) Stephan Johnen
Pfarrer Thomas Schlütter ist im Bistum Aachen „berufen” unterwegs.
Datum:
12. Apr. 2023
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 15/2023

„Es geht nicht darum, aus allen Leuten Priester, Nonnen oder Mönche zu machen“, sagt Pfarrer Thomas Schlütter, der unter anderem Leiter des Päpstlichen Werks für geistliche Berufe und der Infostelle für Berufe und Dienste der Kirche in Aachen ist. Für ihn steht im Mittelpunkt der Arbeit, Menschen auf ihrem Weg zur Beantwortung folgender Frage zu begleiten: „Was willst du mit deinem Leben machen?“

 Von der Ausbildungsbörse bis zur Wochenendveranstaltung wie zuletzt in der GdG 
St. Franziskus im Dürener Norden sind er und sein Team als Kirche vor Ort. Stephan Johnen hat sich mit Thomas Schlütter über Berufung, Nachwuchssuche für Berufe in der Kirche und die Frage nach dem Image des Arbeitgebers unterhalten. 

Herr Schlütter, mit dem Berufungswochenende in der GdG St. Franziskus haben Sie ein Angebot besonders für Jugendliche unterbreitet. Auf dem Programm standen unter anderem Gottesdienste und ein Abend mit „Berufungspizza“. Kommt so ein Format an?

Wichtig ist zunächst, dass wir vor Ort sind. Wir können die tollsten Sachen in Aachen machen, dann kommt nur jenseits von Haaren niemand mehr vorbei. Einmal pro Monat laden wir zu einem Berufungswochenende ein. Das Programm gestalten wir in enger Abstimmung mit den Gemeinden und den Aktiven vor Ort. Ob Angebote für den GdG-Rat, den Kirchenvorstand, Kommunionhelfer, Vertreter der Jugendarbeit, Messdienergruppen, Firmlinge oder Jugendverbände – wir versuchen, möglichst passgenau etwas für die Zielgruppe anzubieten. Die zitierte Berufungspizza hat dabei den Effekt wie ein Abend am Lagerfeuer: Wir essen gemeinsam, erzählen, teilen den Glauben. Das soll ja keine staubtrockene Veranstaltung sein und kommt meistens gut an. Natürlich kann es auch passieren, dass man mehr oder weniger alleine bleibt. So ist das Leben.

 

Was treibt Jugendliche heutzutage um? Was erfährt man in solchen Gesprächen?

Viele beschäftigt die Frage, in welcher Welt sie leben wollen, und was die Art unserer Lebensweise mit Gerechtigkeit zu tun hat. Immer wieder wird die Geschlechterfrage thematisiert, die sexuelle Identität. Es geht aber auch um Umwelt, Luxus und Wohlstand, der Frage nach Frieden. Manche erleben Druck und Stress durch Eltern, die Schule oder im Studium. Immer mehr Jugendliche beschäftigen die Erwartungen an einen Lebensstandard, von dem wir alle nicht wissen, ob wir ihn je erhalten können. 

 

Welche Rolle spielt der Glaube noch im Leben junger Menschen?

Berührungspunkte gibt es überall im Leben. Da brauchen wir uns nur die Musik anzuhören, die Filme anzuschauen, Mode und Kunst der Jugendkultur zu betrachten. Dort finden sich so viele Bezüge zum Glauben, zu einer Spiritualität. Manchmal sogar eine explizit christliche Spiritualität. Die jungen Menschen treten für Werte ein, die absolut deckungsgleich sind. 

 

Aber Kirche spielt in den wenigsten Fällen eine Rolle.

Wir sind als Kirche unterwegs, gehen überall auf die Menschen zu. Ich bin als Vertreter der Kirche nicht dazu da, um auf alles Antworten zu geben. Aber ich kann meinerseits Fragen stellen, damit der Fragende selbst die Antwort darauf finden kann. Ich lade dazu ein, mit mir ins Gespräch zu kommen. Ich höre zu. „Fridays fo Future“ ist ein wunderbares Beispiel. Da entdecken Leute ihre Berufung und gehen ihren Weg. Ich bin mir aber sicher, da werden noch Fragen bleiben. Das Gesprächsangebot bleibt bestehen. 

 

Hat die Kirche als Institution ein Marketing-Problem?

Ich glaube, dass viele Menschen auf der Suche nach sich selbst sind, die Frage nach Identität stellen. Ich weiß, dass manche bei uns eine Antwort auf ihre Fragen bekommen. Wir arbeiten daran, das Image zu verbessern, um ihre Wortwahl aufzugreifen. Das Produkt war übrigens nie schlecht. Aber Marketing ist kein Heilsbringer. Ein Produkt muss stets mindestens so gut wie die Verpackung sein. Im Idealfall ist es deutlich besser.

 

Reichlich  Lesestoff wird zum Thema angeboten. (c) Stephan Johnen
Reichlich Lesestoff wird zum Thema angeboten.

Was bieten Sie an?

Wir sind da. Wir können miteinander ins Gespräch kommen. Wir hören zu, können Menschen ein Stück auf ihrem Weg begleiten. Dafür sind wir mit einem ganzen Team da. Berufungspastoral bedeutet Vernetzung. Zu unseren Aufgaben gehört es, Leute für die Berufe im Bistum Aachen zu begeistern. Dafür sind wir auf Berufsmessen vor Ort, in Schulen und Universitäten. Die Bandbreite der beruflichen Möglichkeiten ist sehr groß: Wir benötigen Verwaltungsmitarbeiter, Mediziner und Pflegepersonen in Krankenhäusern und Caritas, Lehrer, Erzieher. Hinzu kommt noch der Pastorale Dienst. Wenn das nicht aus einer Berufung herauswächst, wird keiner dieser Berufe funktionieren. Wir fassen im Bistum Aachen den Begriff von Berufung sehr weit und wollen Menschen dabei helfen, der eigenen Berufung auf die Spur zu kommen.

 

Was meinen Sie damit?

Die Frage, wo jeder Mensch in seinem Leben hin möchte, was er erreichen möchte. Kern der Sache ist ja, dass Gott für jeden Menschen einen Plan hat, einen Ort hat, die Menschen ruft: „Du bist so wunderbar und einzigartig. Ich habe einen ganz besonderen Platz und eine Aufgabe für dich.“ Das ist etwas, was uns glücklich macht, uns erfüllt, uns Heil bringt. 

 

Ich hatte bei Ihrer Arbeit eher einen Recruiter für potenzielle Priester vor Augen …

Zugegeben, wir hätten gerne mehr Bewerber, als wir bekommen. Wir nehmen aber auch nicht jeden Bewerber. Es ist stets die Aufgabe, eine Berufung zu prüfen, ob sie standhält. Wie es um den innerlichen Weg bestellt ist, ob der Kandidat die Fähigkeiten hat, die es für den Beruf braucht. Ob er selbstständig arbeiten und auf Leute zugehen kann. Aber – und das ist ganz wichtig – Berufungspastoral heißt nicht, sich ausschließlich auf den Nachwuchs bei Priestern und Ordensleuten zu konzentrieren. Immer wenn Berufung da ist, geht es auch darum, für uns und mit uns und bei uns zu arbeiten, die Bandbreite der Möglichkeiten hatte ich ja angerissen. Ich verstehe unsere Arbeit so, dass wir Menschen für Christus gewinnen wollen. Ich glaube, Kirche wird nur dann eine Chance haben, wenn wir die individuelle Berufung der einzelnen Menschen ernst nehmen und ihnen den Raum geben, sich zu entfalten.

 

Wie misst sich der Erfolg Ihrer Arbeit?

Ich habe das Gleichnis vom Sämann vor Augen, der reich aussät. Vieles fällt unter die Dornen, vieles auf die Straße. Nur ein kleiner Teil der Saat geht auf, trägt aber reiche Frucht. Wir arbeiten nicht konzeptlos, müssen aber auch keine Quoten erfüllen. Das wäre ein falscher Ansatz. Wir wollen und können nicht messen, wie viele Leute sich aufgrund eines gemeinsamen Wegstücks mit uns zum Studium anmelden, in die Orden eintreten. Außerhalb jeder Statistik stehen alle Menschen, die ihre Berufung leben, indem sie als Jugendleiter ehrenamtlich bei den Pfadfindern Zeit einbringen, ihre Berufung als Familienvater in Ehe und Familie leben. Berufung ist nicht nur für Priester, Diakone und Ordensleute.

 

Wie lautet Ihre persönliche Berufungsgeschichte?

Ich war als Kind Messdiener, meine Mutter Katechetin, eine Großtante war im Kloster. Mit meiner Großmutter hatte ich den Deal, dass ich Opas alten Audi fahren kann, wenn ich samstags mit Oma zum Friedhof fahre, mit ihr einkaufen gehe und sie zur Samstagsabendmesse begleite. All das bedeutet, dass ich in einem katholischen Milieu aufgewachsen bin, aber auch nicht mehr. Meine Berufungsgeschichte war ein Suchen. Ich hatte keinen Plan. Religion, Kirche und Theologie waren mir wichtig. Ich fand das spannend. Aber zur Abiturzeit hätte ich nicht beantworten können, ob ich im Zölibat leben kann. Im Studium wurde die Frage, was mich wirklich glücklich macht, immer wichtiger. Spiritualität und Religiosität haben mich immer mehr fasziniert. Mir wurde klar, dass mir mein Glaube Kraft, Freude und Zuversicht schenkt und dass ich das mit den Menschen teilen möchte. Die Berufung, als Priester zu leben, war am sinnvollsten und klarsten. Und ich habe es keinen Tag bereut.

Zur PErson

Thomas Schlütter wurde vor 38 Jahren in Erkelenz geboren. In seiner Heimatpfarrei St. Bartholomäus war er Messdiener sowie bei den Schützen aktiv. Nach seinem Abitur 2004 leistete er den Wehrdienst ab und nahm ein Lehramtsstudium (unter anderem Theologie) in Köln und Bonn auf. Während des Studiums meldete er sich aufgrund seiner persönlichen Berufung als Priesterkandidat im Bistum Aachen und studierte in Münster Theologie. Es folgten Stationen als Diakon in Brand, Kaplan in Dülken, Schulseelsorger in Mönchengladbach und Diözesankurat der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg. Aktuell ist Pfarrer Thomas Schlütter Leiter des Päpstlichen Werks für geistliche Berufe und der Infostelle für Berufe und Dienste der Kirche in Aachen sowie Domvikar, Bischöflicher Beauf- tragter für den Ständigen Diakonat und Subregens des Aachener Priesterseminars.