„Man wächst ins Amt hinein“

***Starke Frauen im Bistum Aachen***

(c) Stephan Johnen
Datum:
6. März 2024
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 10/2024 | Stephan Johnen

Sie engagieren sich für Menschen, die Hilfe brauchen, hier oder in anderen Teilen der Welt. Sie gründen Vereine oder Unternehmen, bilden Netzwerke, engagieren sich ehrenamtlich und wuppen nebenbei noch Familie und Beruf. Ohne starke Frauen würde im öffentlichen und gerade auch im Gemeindeleben so einiges nicht mehr funktionieren. Darum möchten wir, die KirchenZeitung für das Bistum Aachen, einige dieser starken Frauen in einer neuen Reihe vorstellen. Die einzelnen Porträts werden in loser Reihenfolge über das kommende Jahr in der KirchenZeitung abgedruckt. Heute stellen wir Edith Becker von der Dürener Tafel vor. 

Seit 15 Jahren ist Edith Becker Vorsitzende der Dürener Tafel. Zum Team gehören 100 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer.

Rund 100 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer hat die Dürener Tafel. Vier Lieferfahrzeuge sind an sechs Tagen pro Woche unterwegs, um 44 Supermärkte und Bäckereien anzufahren. Die Dürener Tafel gehört zu den fast 1000 Tafeln bundesweit, im Westzipfel der Republik ist sie nach Aachen eine der größten. 

Das Konzept ist schnell erklärt: Die Tafeln retten Lebensmittel, die nicht mehr verkauft werden können, und geben sie an Menschen in Armut weiter, die sich eine ausgewogene Ernährung oft nicht leisten können. Etwa 600 Haushalte, rund 2000 Menschen, gehören zum „Kundenkreis“ der Dürener Tafel. Eine Mammutaufgabe, deren Steuerung in den Händen einer starken Frau liegt: Seit 15 Jahren ist Edith Becker Vorsitzende des gemeinnützigen Vereins – und Mutter der Kompanie.

Mit dem Tod des Gründers und langjährigen Vorsitzenden, Jürgen Osborg Schmitz, rückte dessen damalige Stellvertreterin von heute auf morgen nach. Ob sie auf die Aufgabe vorbereitet war? Nein. „Mir blieb nichts anderes übrig, es gab niemanden, der die Aufgabe hätte übernehmen können“, sagt sie rückblickend. Also krempelte sie die Ärmel hoch und packte noch mehr mit an. „Man wächst in sein Amt rein“, sagt die heute 64-Jährige.

Als die Tafel 1997 gegründet wurde, fuhren die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch mit kleinen Lieferwagen durch die Stadt und versorgten die Menschen dezentral an Ausgabestellen. Ein System, das mit steigendem Bedarf immer mehr an seine Grenzen stieß. Zu den Aufgaben von Edith Becker gehörte es, die Organisation der Dürener Tafel auf ein neues Fundament zu stellen. In der Nähe des Bahnhofs mietete die Tafel 2010 eine Immobilie an, die als Tafel-Laden zur zentralen Ausgabestelle wurde. „Beliefert“ wird nur noch, wer beispielsweise aus gesundheitlichen Gründen die eigene Wohnung nicht mehr verlassen kann.

Jeden Tag sitzt die Vorsitzende in ihrem Büro – und sorgt dafür, dass im Hintergrund jedes Zahnrad der Maschinerie ineinandergreift. Sie schreibt die Dienstpläne für die 100 Ehrenamtler, die Fahrpläne für die Logistik-Teams, kümmert sich um organisatorische Dinge, spricht täglich mit den jeweiligen Teamleitern, die in der Ausgabestelle dafür sorgen, dass alles reibungslos läuft. Mit dem Logistikverband des Dachverbandes müssen Absprachen getroffen werden, wenn Spenden oder Überschüsse verteilt beziehungsweise abgeholt werden können, die Chefin kümmert sich auch um Spender, organisiert die Logistik und putzt Klinken. Und die Finanzen des Vereins wollen auch im Auge gehalten werden.

Jeden Mittwoch und jeden fünften Samstag ist die „Mutter der Kompanie“ selbst im Einsatz bei der Ausgabe. Wenn sie mittwochs das Haus verlässt, geht sie vorher noch beim Metzger des Vertrauens die „Wurst-Spende“ abholen. Immer mittwochs besteht die Möglichkeit, sich als „Kunde“ registrieren zu lassen. Eine Aufgabe, die Edith 
Becker übernimmt. Zehn bis 15 Haushalte kommen pro Woche hinzu. Vor dem Ukraine-Krieg waren es 100 Haushalte weniger, die bei der Tafel registriert waren. Im Sommer 2023 wurde erstmalig ein zweimonatiger Aufnahmestopp verhängt, der aber durch die Reduzierung von drei statt bislang vier Einkäufen pro Monat zurückgenommen werden konnte. Diese Frequenz hat sich bewährt und ist auch heute noch im Einsatz. Jeder „Kunde“ entrichtet schon seit Jahren einen Obolus in Höhe von 2,50 bis 4 Euro – je nach Größe des Haushalts. 

„Wir haben wie viele Tafeln die Erfahrung gemacht, dass die Wertschätzung höher ist. Und wir benötigen die Einnahmen auch, um unsere laufenden Kosten zu bestreiten und Waren einzukaufen“, sagt Edith Becker. Ja, die Tafel kauft Ware zu. Dafür gibt es neben zweckgebundenen Spenden auch 60.000 Euro aus dem Solidarpakt des Landes NRW. „Wir sind nicht dafür da, den Wirtschaftsprozess anzukurbeln. Aber ohne Zukäufe könnten wir den Bedarf nicht mehr decken. Wir nutzen Spenden und Zuschüsse, um auf diese Art und Weise den Kunden auch etwas geben zu können, das sie sonst nicht hätten. Nudeln, Reis, Tomatensauce, Käse, Wurst, Shampoo und Duschgel beispielsweise.“

In den vergangenen 15 Jahren hat sich Edith Becker ein Netzwerk aufgebaut, auf das sie sich verlassen kann. Wenn Spender und „Abholpunkte“ beispielsweise bei Bäckereien wegfallen, bewahrt die Chefin die Ruhe. „Wenn du denkst, es geht nichts mehr, kommt von irgendwo....“ – laute die Devise. Edith Becker freut sich, dass nach wie vor die Spendenbereitschaft in der Bevölkerung hoch ist – und auch sonst oft an die Tafel gedacht wird. Im Herbst beispielsweise kommen oft Landwirte oder Obstbaum-Besitzer vorbei, die der Tafel Kartoffeln oder Obst anbieten. In der Zeit vor Weihnachten wurden in einigen Kitas Lebensmittel für die Tafel gesammelt.

Apropos Kindergärten: Die Vorsitzende führt mit dem Kinderfonds der Dürener Tafel eine Herzensangelegenheit ihres Vorgängers fort. Zu St. Martin kann die Tafel dank vieler Spenden Kita-Kinder mit Weckmännern versorgen – und rund 1000 Kinder pro Jahr werden auf einen Bauernhof eingeladen, damit das Wissen, wie Lebensmitteln entstehen, nicht verloren geht. In 14 Kitas spendet die Tafel die Vorschulhefte für alle Kinder; es sind Einrichtungen mit einem hohen Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund, bei denen neben Sprachbarrieren oftmals auch das Geld der Eltern knapp bemessen ist. So möchte die Tafel einen Beitrag leisten, dass die Umstellung von der Kita auf die Schule allen Kindern leichter fällt. 

„Ich komme aus einer Familie von Kaufleuten, mir macht der kaufmännische und organisatorische Teil der Arbeit viel Spaß“, blickt Edith Becker auf die vergangenen 15 Jahre zurück. Natürlich wäre sie froh, wenn sich eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger abzeichnen würde, schließlich hat die Ehrenamtlerin auch eine Familie und ein Enkelkind. In ihrer „Freizeit“ ist die Vorsitzende der Tafel im Kirchenvorstand der Gemeinschaft der Gemeinden (GdG) St. Elisabeth aktiv sowie im Kollekte- und Kommunionhelferdienst. Langeweile ist eine Vokabel, die Edith Becker nicht kennt. 
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Aufruf

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