Der Mensch und das Glück – eine besondere Beziehung. Das zeigen schon viele gängige Redewendungen. Doch was braucht es, um ein glückliches Leben zu führen? Was bedeutet das überhaupt? Zu diesen Fragen forscht Karlheinz Ruckriegel und hat darüber mit der KirchenZeitung gesprochen.
Herr Professor Ruckriegel, was ist Glück, aus der wissenschaftlichen Perspektive betrachtet?
Ruckriegel: Glück hat zwei Facetten. Einmal das zufällige Glück, da sprechen wir von „Glück haben“, und den Gefühlszustand, das „Glücklichsein“. Die Glücksforschung untersucht die zweite Facette, das Glücklichsein, was wir als Wohlbefinden bezeichnen. Die Glücksforschung arbeitet dabei interdisziplinär, von der Neurobiologie, der Psychologie über die Soziologie – federführend war jedoch die Ökonomie.
Wie messen Sie das Wohlbefinden?
Ruckriegel: Wir befragen Menschen. Zwei Hirnregionen sind dabei entscheidend. Einmal das limbische System: „Wann fühle ich mich glücklich? Was löst das aus?“ Dazu gibt es Ansätze aus der positiven Psychologie, den Blick auf die positiven Seiten der menschlichen Existenz legt und versucht, diese zu stärken. Sie besagen, dass auf dem Weg hin zu einem glücklicheren Leben das Verhältnis von positiven zu negativen Gefühlen in etwa 4:1 betragen sollte.
Der zweite Indikator spielt sich im Neocortex ab. Hier geht es um eine Bewertung: „Wie bin ich vor dem Hintergrund meiner Ziele auf dem Weg?“ Wie zufrieden die Befragten mit ihrem eingeschlagenen Lebensweg sind, lässt sich auf einer Skala von 0 bis 10 bewerten. Die Antworten der Befragten setzen wir in Relation mit dem, was Freunde oder Bekannte dazu antworten. Beide Faktoren, die emotionale Ebene und die bewertende Ebene, wirken aufeinander.
Gibt es Konstanten, die bei den Befragten ähnlich sind? Sind manche Menschen glücklicher als andere?
Ruckriegel: Ja, zu den „Glücksfaktoren“ gehören zum einen gelingende soziale Beziehungen. Hier sind wir im Kern bei der Bergpredigt und der goldenen Regel, mit anderen Menschen so umzugehen, wie man selbst behandelt werden möchte. Gesundheit ist ein weiterer Faktor, persönliches Engagement im Sinne von etwas Sinnvolles tun, Freiheit, vor allem in der Erfahrung der persönlichen Wirkmächtigkeit, und zuletzt Einkommen. Wobei hier wichtig ist, dass mit dem wachsenden Einkommen nicht automatisch das Wohlbefinden mitwächst. Man könnte die Faktoren auch auf drei herunterbrechen: Gelingende soziale Beziehungen, Beiträge zur Gesellschaft und persönliches Wachstum.
Das Entscheidende bei diesem Zusammenspiel ist die Zeit – und das Grundproblem ein ökonomisches: Wie verwende ich meine Zeit so, dass aus dem Zusammenwirken der verschiedenen Faktoren ein gelingendes Leben resultiert? Wenn ich zu viel Zeit beispielsweise auf den Erwerb von Einkommen verwende, bleibt für die übrigen Faktoren weniger Zeit.
Kann man lernen, ein gücklicheres Leben zu führen?
Ruckriegel: Ja, entscheidend ist eine Veränderung der Haltung. Schauen wir noch einmal auf das Beispiel der positiven Psychologie. Negative Gefühle haben eine stärkere Durchschlagskraft als positive. Das ist evolutionsbedingt und war sicherlich für unsere Vorfahren wichtig. Heute sind diese Gefühle oft kontraproduktiv, beispielsweise, wenn ich im Stau stehe und mich aufrege. Sinnvoller ist es, bewusster auf die positiven Dinge zu schauen, die ich erlebt habe: Wofür kann ich dankbar sein? Wen habe ich getroffen? Ein Ansatz ist, ein Dankbarkeitstagebuch zu führen. Da zeigt sich, dass bei den meisten doch viele positive Dinge passieren. Menschen, die sich bewusster auf die positiven Erlebnisse konzentrieren, nehmen mehr wahr, es bilden sich neue Verknüpfungen im Kopf. Und was die Lebensziele angeht: Sie können ehrgeizig sein, müssen aber zur Lebensrealität passen.
Wir haben jetzt auf den Einzelnen geschaut. Was lässt sich für die Gesellschaft ableiten?
Ruckriegel: Wir sind soziale Wesen, wohl das sozialste auf dem Planeten. Wenn wir das wissen, ist es wichtig, dass wir gut mit unseren Mitmenschen umgehen. Wenn wir noch einmal auf die Glücksfaktoren schauen – gelingende Beziehungen, Beiträge zur Gesellschaft, persönliches Wachstum – geschieht das immer mit Bezug auf andere Menschen. Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass das Christentum mit seiner Botschaft im Grunde alles bietet, was für die Glücksforschung wichtig ist. Dankbarkeit, Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe sind Kernthemen im Christentum und in der Glücksforschung. Heinrich Bedford-Strohm, der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende und ehemalige Landesbischof der evangelisch-lutherischen Kirche Bayerns, hat dazu geforscht. Vor diesem Hintergrund sind die Kirchen, ist die christliche Botschaft, wichtig für unser gesellschaftliches Zusammenleben.
Der gesellschaftliche Trend weist jedoch eher in die andere Richtung. Einsamkeit ist ein großes Problem. Wie können wir da gegensteuern?
Ruckriegel: Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vergleicht regelmäßig in ihrem „Better life index“, wie Menschen das Wohlergehen in ihren Staaten bewerten. Ein funktionierendes Gesundheitswesen, Bildung, Einkommen und Beschäftigung sind entscheidende Faktoren. Je besser diese Faktoren bewertet werden, desto besser ist die Lebenszufriedenheit der Menschen. Regelmäßig sind die skandinavischen Länder Spitzenreiter. Sie zeigen, worauf es ankommt: Wenige Ungleichheiten in der Gesellschaft, ein hohes Maß an wahrgenommener Freiheit oder Wirkmächtigkeit. Zwar ist die Steuerlast in diesen Ländern hoch, es wird aber in Kauf genommen, weil dadurch die sozialen Systeme gut abgesichert werden.
Einsamkeit ist auch international ein großes Problem. Das Vereinigte Königreich hat seit 2018 ein Ministerium für Einsamkeit eingerichtet. Wir sind soziale Wesen und brauchen die Gemeinschaft. Die Stadt Nürnberg hat eine Erhebung bei über 75-jährigen verwitweten Menschen gemacht. Der Anteil der verwitweten Frauen war deutlich höher als der verwitweter Männer. Altersspezifische Untersuchungen zur Lebenszufriedenheit zeigen: bei Männern sinkt sie zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr und steigt dann wieder an. Bei Frauen sinkt sie in zunehmendem Alter wieder, weil sie oft allein sind nach dem Verlust des Lebenspartners. Wir müssen mehr tun für das Gemeinschaftserleben. Auch hier können die Kirchen eine Rolle spielen, aber auch die Politik ist gefragt.
Nach einer kaufmännischen Ausbildung studierte Karlheinz Ruckriegel von 1979 bis 1984 Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth. 1985 absolvierte er eine Traineeausbildung im Bankgewerbe, von 1986 bis Mitte 1989 war er wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl von Prof. Görgens (Wirtschaftspolitik) an der Universität Bayreuth. Während dieser Zeit promovierte er dort zum Thema „Finanzinnovationen und nationale Geldpolitik“. Von Mitte 1989 bis Anfang 1995 arbeitete er bei der Deutschen Bundesbank in München und hatte einen Lehrauftrag an der Hochschule der Deutschen Bundesbank in Hachenburg/Westerwald. Vom Sommersemester 1995 bis zu seiner Emeritierung zum Wintersemester 2023/24 hatte er eine Professur für Volkswirtschaftslehre an der Fakultät Betriebswirtschaft der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Makroökonomie, insbesondere Geld- und Währungspolitik, psychologische Ökonomie (Behavioral Economics) und interdisziplinäre Glücksforschung (Happiness Research).
Weitere Infos: www.ruckriegel.org