Lotse sein mit offenem Ohr

In Gottes Haus sollten Menschen willkommen sein. In St. Anna Düren werden Gäste persönlich empfangen.

Brigitte Carpagne (r.) und Resi Backmann  heißen Besucher in St. Anna willkommen. (c) Dorothée Schenk
Brigitte Carpagne (r.) und Resi Backmann heißen Besucher in St. Anna willkommen.
Datum:
25. Juni 2019
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 26/2019 | Dorothée Schenk

„Gastfreundschaft ist ein biblischer Grundauftrag, und ein Raum als solcher kann kein Gastgeber sein.“ Das ist die Grunderkenntnis, mit der sich ein Ehrenamtler-Team in St. Anna Düren auf den Weg gemacht hat. Das Ziel: die Einrichtung eines Willkommensdienstes in der Kirche.

Das Gotteshaus steht im Herzen der Kreisstadt Düren mit ihren über 90000 Einwohnern. Die Kirche St. Anna ist jeden Tag und für jedermann geöffnet. Sie ist eine Anlaufstelle für Gläubige, die ein wenig Ruhe im Großstadtrummel suchen, für Neugierige, die einmal sehen wollen, wie der trutzige Nachkriegsbau von Architekt Rudolf Schwarz von innen aussieht, oder Bewunderer, die die ausdrucksstarken Fenster von Ludwig Schaff-rath auf sich wirken lassen wollen. Natürlich kann sich jeder Kirchenbesucher eigenständig im Gotteshaus bewegen, aber die Gemeinde sieht sich als „Gastgeber“. „Wenn zu Ihnen Gäste nach Hause kommen, machen Sie auch nicht die Türe auf und gehen – Sie bleiben. Das war die Grundidee, die wir hatten“, erzählt Ria Flatten als Initiatorin des „Willkommensdienstes“.

 

Das Glück, Hilfe und Antworten im Kirchenraum zu finden

Seit September letzten Jahres sind sechs Ehrenamtliche immer zu den erfahrungsgemäß festgestellten Hauptbesuchszeiten vor Ort, nämlich an den Markttagen unter der Woche und samstags zwischen 9.30 und 12 Uhr. Sie empfangen die Besucher nach einem ganz einfachen Prinzip: Sie sind für sie da. Niemand muss Hemmungen haben, dass ihm ein Gespräch oder eine Begegnung aufgenötigt wird. Tatsächlich suchen die Menschen selbst den Kontakt. Brigitte Carpagne, ehemalige Küsterin an St. Anna und nun im Willkommensdienst aktiv, schildert: „Es gibt viele, die kommen und sagen: ,Ich geh’ ja nicht in die Messe, aber ich komme zum Beten.‘ Denen antworte ich: ,Es ist ganz gleich, warum Sie hier sind. Ich möchte kein Urteil fällen…‘ Und viele Besucher sind einfach glücklich, wenn jemand hier ist und ihnen Auskunft geben oder helfen kann.“ Manchmal müssen die Ehrenamtlerinnen erst einmal erklären, dass sie keineswegs die „Aufsicht“ sind, wie Resi Backmann lachend berichtet. „,Passen Sie auf die Kirche auf?‘, bin ich schon öfter gefragt worden.“

 

Ein verlässliches Gesicht in einer Kirche ist auch eine Form von Seelsorge

Überraschend ist die Vielfalt, mit der es die Damen zu tun haben. Manchmal geht es nur darum, beim Anzünden einer Kerze behilflich zu sein, einige Fremde haben Fragen zur Kirche und Kirchengeschichte, aber auch zu den Messzeiten oder Zahlen der Gottesdienstbesucher. Der Service-Charakter ist ein Aspekt des Dienstes. Fast wie von selbst ergeben sich aber immer auch Glaubensgespräche. „Sie erzählen von ihrer Geschichte oder Pfarrei“, berichtet Resi Backmann. Vor allem aber ältere Menschen suchen den Austausch, sagt Brigitte Carpagne: „Sie kommen nicht mehr damit zurecht, wenn Kinder durch die Kirche laufen. Sie haben noch das alte Denken: In der Kirche muss man leise sein, man betet, es darf nicht gestört werden – es ist schwierig, für sie zurechtzukommen. Es ist ein Prozess.“ Und daran wirkt der Willkommensdienst mit, denn er sorgt für mehr Verständnis und ein offenes Ohr. Apropos: Inzwischen gibt es ein Stammpublikum. Wissend, dass sie zu bestimmten Zeiten in St. Anna einen Ansprechpartner finden, kommen sie regelmäßig – manchmal auch nur auf ein Schwätzchen. „Sie wissen, da ist ein verlässliches Gesicht“, erklärt Ria Flatten, „das ist auch eine Form von Seelsorge.“ Und eine wichtige in Zeiten, in denen die Zahl der Priester in den Großeinheiten der GdG und fusionierten Pfarreien weniger wird. So übernimmt der Willkommensdienst inzwischen im Kirchenschiff auch eine Lotsenfunktion.

Immer unsicherer, so haben die Ehrenamtlichen festgestellt, werden die Gäste, wie sie sich im Haus Gottes „benehmen“ sollen. „Es gibt Menschen, die sehr bewusst wahrnehmen, dass Kirche ein Ort ist, der geschlossen ist, wo man hineingehen kann, wo man nichts kaufen muss, wo man nichts tun muss… Wo man einfach ,sein’ kann. Er ist vollkommen zweckfrei. Das gibt es eigentlich nirgendwo. Das verunsichert erst einmal viele Leute. Sie wissen oft nicht, was sie dürfen“, beschreibt Ria Flatten ihre Erfahrungen. Da hilft die persönliche Ansprache und Anleitung sowie ungewöhnliche Aufforderungen, ganz intim in Kontakt mit dem Kirchenbau zu treten, indem sie Steine und Fugen mit den Händen ertasten. Oder auch den ganzen Raum für sich zu erschließen: „Sie dürfen überall hingehen, sage ich den Besuchern immer.“ Sie lädt Besucher ein, sich einmal im Altarraum ganz an die Wand zu stellen – von dort aus erschließen sich völlig neue Blickwinkel.

Denselben Maßstab, an dem die Besucher gemessen werden, legen die Ehrenamtlichen an sich selbst an. Es geht nicht darum, vollkommen zu sein. Das gilt für die Gespräche ebenso wie für die Besetzungszeiten, die noch ausbaufähig sind, wenn sich mehr Engagierte finden. „,Mut zur Lücke‘, hat mir Dorle Schmidt vom Studio komplementaer gesagt, das uns sehr unterstützt hat. ,Fangen Sie mit Wenigen an. Wenn Sie unvollkommen und unvollständig sind, dann suchen Sie Leute, und das wird erkennbar‘.“ Aufgefangen sind die Zeiten, in denen kein persönlicher Empfang der Kirchenbesucher in St. Anna möglich ist, durch eine lichtbeschienene Stele, an der sich die Gäste mit einem kleinen Flyer versorgen können. Darin steht nicht nur Wissenswertes, es wird der Geist des Gotteshauses vermittelt: in der Einladung, eine Kerze zu entzünden, ebenso wie durch einen Einleger mit einem geistlichen Impuls. Denn ein Credo gilt immer in St. Anna: Alles wird getan, „damit es für alle schöner wird“.

Der Willkommensdienst in St. Anna Düren

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