Licht, Wärme und Zuversicht

Weihbischof Karl Borsch appelliert an die Menschen, Hoffnungsträger in einer dunklen Welt zu sein

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Datum:
21. Dez. 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 51-52/2021

Liebe Leserinnen und Leser,

das Weihnachtsfest, so wie wir es feiern, weckt bei vielen eine verborgene Sehnsucht. Nicht bei allen. Eine Sehnsucht nach Liebe, Gemeinschaft und Frieden. Und das in einer so bewegten Zeit – coronabedingt, politisch und kirchlich. Die Medien überschü̈tten uns mit Nachrichten von Krisen und Krieg, von Hunger und Flucht, von Armut und Tod. Der Prophet Jesaja spricht vom Volk, das im Dunkeln lebt, und von denen, die im Land der Finsternis wohnen  (Jes 9,1) – es fällt nicht schwer, uns und unsere Welt darin wiederzufinden.

Fastenhirtenbrief (c) Bistum Aachen/Andreas Schmitter
Fastenhirtenbrief

In meinem Weihnachtsgruß an Sie möchte ich aber nicht klagen über die Finsternis, so wahr es sie gibt. Ich möchte von der Sehnsucht erzählen. Und davon, wie sie sich erfüllt. In einem kleinen Dorf im Heinsberger Land hatte der Martinsverein unter Coronabedingungen und mit großem Aufwand den Martinszug organisiert. Für jedes Kind gab es eine Martinstüte und für die alten Menschen einen Weckmann. Ein Ehrenamtler klingelte auf dem Nachhauseweg bei einer alten Dame in der Nachbarschaft, um ihr den Weckmann zu schenken. Die 85-Jährige öffnete, bat den Ehrenamtler herein und nahm den Weckmann in die Hand. Dabei traten ihr die Tränen in die Augen. „Warum weinst du denn, der Weckmann kostet doch nicht viel?“ „Es geht nicht um den Weckmann“, war ihre Antwort, „aber dass Ihr an mich gedacht habt.“

Ein unerwarteter Besuch, ein kurzer Anruf, ein kleines Gespräch auf der Straße – für viele ist das wie ein Lichtblick an dunklen Tagen. Woher kommt dieses Licht?
Der Prophet Jesaja gibt Antwort: „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. Die Herrschaft liegt auf seiner Schulter; man nennt ihn: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens. Seine Herrschaft ist groß, und der Friede hat kein Ende.“ (Jes 9,5)

Das Licht kommt von einem Kind. Vom Kind in der Krippe.
Auf der ganzen Welt gibt es nichts Zuversichtlicheres als die Geburt eines Kindes. Wie viel Licht geht aus von so einem Kind, wie viel Wärme und Zuversicht liegen im Lächeln eines kleinen Kindes!

So menschlich beginnt unsere Religion. Gott kommt als Kind in die Welt. Klein und bescheiden. Nicht im Luxus. Sondern im Stall. In dieser Geburt ist Platz für jedes Leben. Auf dieses Kind kann jeder sich einlassen. Gerade durch seine Hilflosigkeit und Schutzlosigkeit rührt es uns an.

Ein Licht geht aus von diesem Kind. Wer zu ihm kommt und sich berü̈hren lässt von diesem Licht, wird selbst zum Lichtblick für andere. Der macht nicht weiter wie bisher. Das Kind in der Krippe verändert die Perspektive, verändert die Maßstäbe. Wenn Gott sich klein macht, dann dürfen wir nicht groß tun. Wenn er zur Welt kommt im Stall, dann dürfen wir keine Angst davor haben, uns die Hände schmutzig zu machen.

 

Liebe Leserinnen und Leser,

wie viele Helferinnen und Helfer haben sich nach der großen Flut im Sommer in der Eifel und an der Ahr die Hände schmutzig gemacht! Die Hilfsbereitschaft war überwältigend. Menschen aus allen Teilen des Landes waren zur Stelle. Ein Lichtblick mitten in der Katastrophe!

Auf der Straße traf ich einen Geschäftsmann. Wir kamen ins Gespräch. Er fü̈hrte mich durch sein Haus. Ladenlokal, Werkstatt, Kü̈che, Terrasse, Garage – alles zerstört. Und er sagte mir: „Ich bin nicht verzweifelt. Ich bin dankbar. Meine Familie lebt, und ich lebe.“ Und er erzählte mir folgende Geschichte:

Sein Vater war Soldat im Zweiten Weltkrieg in Russland. In einer eiskalten Winternacht trifft er plötzlich und unerwartet auf einen russischen Soldaten. Die beiden starren sich an. Erschrocken. Sie wissen nicht, wie sie umgehen sollen mit der Situation. Da lässt der deutsche Soldat sein Gewehr sinken, greift unter den Hemdkragen, zieht einen Rosenkranz hervor, den er um den Hals trägt und hält ihn dem russischen Soldaten entgegen. Auch der stellt sein Gewehr zur Seite, nimmt eine Kette vom Hals mit einem Marien-Medaillon und hält es dem deutschen Soldaten hin. Die beiden können sich nicht verständigen. Der eine spricht kein Deutsch, der andere kein Russisch. Und doch wissen sie, was gemeint ist. Sie tauschen den Rosenkranz gegen das Marien-Medaillon. Sie nicken sich zu, wenden sich ab und verschwinden im Dunkeln.

Der Vater hat dieses Marien-Medaillon durch den Krieg und durch die Kriegsgefangenschaft gerettet. Wenn er gefilzt wurde, hat er es unter der Zunge versteckt. Nach der Gefangenschaft kam der Vater nach Hause in die Eifel. Und er hat dieses Marien-Medaillon gehütet wie einen Schatz. Der Vater starb. Das Medaillon war verschwunden.
Und jetzt bei der Flut, die das Unterste nach oben gespült hat, da findet der Sohn dieses Medaillon auf einem Regalbrett, schwimmend im Wasser.

Er hat mir das Medaillon gezeigt. Ich durfte es in die Hand nehmen. Dieses unscheinbare Medaillon der Muttergottes mit dem Kind erzählt eine Geschichte vom Licht, das in der Dunkelheit leuchtet, und von der Liebe, die stärker ist als jede Feindschaft.
Es ist die Geschichte vom Kind in der Krippe, das als Mann aus Nazaret Gott seinen Vater nennen wird. Der die Liebe zu Gott und zu den Menschen lehrt und lebt. Der sich ans Kreuz schlagen lässt, statt Gewalt anzuwenden. Der durch seinen Tod und seine Auferstehung den Weg öffnet in die Gemeinschaft Gottes.

Von diesem Kind geht ein Licht aus, das unser Herz berührt und unsere Sehnsucht erfüllt. Dass Sie sich ergreifen lassen können von diesem Licht, das wünsche ich Ihnen von Herzen. Und: Bringen Sie es zu den Menschen, die auf Sie warten.


Ihnen und allen, die zu Ihnen gehören, ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest!
Ihr

Karl Borsch

 

Weihbischof im Bistum Aachen