Dieser Tage ist viel darüber zu lesen und zu hören, wie viele Menschen sich einsam
fühlen. Der Stolberger Stadtteil Liester zeigt, dass das nicht sein muss. Eine lebendige und gut vernetzte Quartiersarbeit ver-sucht, Menschen jeden Alters und jeder Herkunft miteinander in Austausch zu bringen. Mittendrin der „Oase-Treff“ der Kirchengemeinde St. Hermann Josef.
In den Räumen des Pfarrzentrums neben der Kirche schlägt sowas wie das Herz des Stadtteils. Hier laufen ganz viele Dinge zusammen, entstehen und docken neue Ideen an. Irene Scholz leitet gemeinsam mit Steffi Briel-Kaschow das jeden Dienstagnachmittag im „Oase-Treff“ stattfindende Café. Zwischen 15 und 17 Uhr treffen sich hier im Kern 30 bis
40 Senioren bei Kaffee und selbstgebackenem Kuchen. Es wird erzählt, gelacht, und es werden Kontakte geknüpft. Einsam ist dann niemand. Jeweils einmal im Monat wird gehandarbeitet, „Näh- und Flickstunde“, wie Irene Scholz mit einem Lächeln sagt, und zur Gitarre gemeinsam gesungen. In einem Nebenraum trifft sich eine Gruppe türkischer Frauen zum Austausch. Die Kinder spielen oder basteln oder toben bei gutem Wetter im Garten hinter dem Haus, wo Beete mit Gemüse und Erdbeeren angelegt worden sind.
Vieles greift hier ineinander, ist „gelebtes Miteinander“, wie Steffi Briel-Kaschow sagt. Das liegt auch an der unkomplizierten Zusammenarbeit über Institutionen hinweg. Ayse Ilter koordiniert im Rahmen des Projektes „Berg- und Talachse Stolberg“ das Stadtteilbüro Berg und arbeitet eng mit den insgesamt zwölf sich in der Kirchengemeinde engagierenden Ehrenamtlichen zusammen. Ein weiterer Partner ist die Low-tech als gemeinnützige Bildungseinrichtung. In der Stadtteilkonferenz „Lebendige Liester“ (die in der Kirche St. Hermann Josef stattfindet) wird gemeinsam mit Bewohnern beraten und geplant, was sie sich wünschen, um ihren Stadtteil lebenswert zu machen.
So ist eine ganze Reihe sozialer Angebote entstanden, die die Älteren im Stadtteil vor der Isolation bewahren sollen, geflüchtete Familien aus Syrien oder der Ukraine in die Nachbarschaft einbinden oder den Austausch zwischen Jung und Alt fördern. Da ist zum Beispiel das von Stadt und Low-tech getragene Projekt „Wissensoase Liester“, dessen Ziel es ist, die Teilhabe Älterer im Stadtteil zu verbessern. Dazu zählen Beratung, Begegnung und Austausch, Bildungs- und Freizeitangebote und Veranstaltungen. Daraus ist unter anderem ein Repair-Café entstanden, das Donnerstagsnachmittags stattfindet. Hier können defekte Haushaltsgeräte oder Fahrräder unter fachkundiger Anleitung repariert werden. Das ist zum einen nachhaltig und contra Wegwerfen, zum anderen ist es ein wertvoller Wissenstransfer, wie Ayse Ilter sagt. „Die Älteren geben ihr Wissen an Jüngere weiter. Man lernt sich kennen und unterstützt sich gegenseitig.“
Seit Kurzem gehört auch das Projekt „Liester-Liebe“ der beiden Künstler Agnes Bläsen und Dirk Schulte zum Stadtteilangebot dazu. Mit Bewohnern wollen sie auf kreative Weise erarbeiten, was ihr Viertel ausmacht, was sie sich wünschen und wie sie leben. So sind sie auch zum „Oase-Treff“ gekommen und haben sich von den Gästen deren Geschichten erzählen lassen. „Wir sind ganz herzlich aufgenommen worden und haben viel aus der Lebenswirklichkeit der Menschen hier erfahren“, erzählt Agnes Bläsen. Sie und Dirk Schulte sind ganz begeistert, von dem, was Irene Scholz und Steffi Briel-Kaschow hier leisten, und von der Gemeinschaft, die hier gewachsen ist.
Immer wieder überschneiden und verflechten sich so Angebote und Initiativen und unterstützen sich gegenseitig. Zum Beispiel bei Veranstaltungen. Gibt ein auswärtiger Chor ein Konzert, backen die Ehrenamtlichen des „Oase-Treffs“ den Kuchen für den gemütlichen Ausklang danach. Für einen Senioren-Tanztee hätten sie auch schon den Innenraum der Kirche freigeräumt, erzählt Irene Scholz. hier wird auch der sehr beliebte
Adventsmarkt abgehalten. Großen Anklang findet regelmäßig die „Ü40-Disco“, die mehrmals im Jahr im Discokeller des „Oase-Treffs“ stattfindet. Früher habe es mal regelmäßig Discos für die Jugendlichen der Gemeinde gegeben, erinnert sich Irene Scholz. Einige davon schwingen heute wieder dort das Tanzbein zu den Songs ihrer Jugend. „Im Durchschnitte kommen 90 bis 100 Leute und nicht nur Ü40 oder 50. Der älteste Besucher ist 95 Jahre alt.“
Höhepunkt war Anfang Juni das große Nachbarschaftsfest auf dem neugestalteten Geschwister-Scholl-Platz gegenüber der Kirche. Hier haben sich all die Projekte und Angebote präsentiert, die das Leben auf der Liester bunt machen, und viele ganz unterschiedliche Menschen sind zusammengekommen und in den Austausch gegangen. Kirchengemeinden können vielleicht in Zukunft nicht mehr alles aus eigener Kraft leisten, aber als Teil eines guten Netzwerkes mit anderen immer noch viel bewirken.