Lebensperspektive finden

Im Verein „Berg Tabor“ unterstützen junge Menschen verschiedener Nationalitäten sich gegenseitig

Auf einem Berggipfel verändert sich der Blick, auch für das, was man im Leben will. (c) pixabay.com
Auf einem Berggipfel verändert sich der Blick, auch für das, was man im Leben will.
Datum:
23. Dez. 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 52/53 | Andrea Thomas

Junge Leute haben Träume, wie sie ihr Leben gestalten möchten. Doch nicht alle Menschen haben die optimalen Ausgangsbedingungen, sei es, weil sie ohne Familie aus ihrer Heimat geflohen sind oder weil soziale und familiäre Umstände schwierig sind. Sie brauchen Menschen, die an sie glauben, sie selbstlos unterstützen und ihnen Hoffnung geben – wie im Verein „Berg Tabor“.

Entstanden ist er aus einer für Martin Gruhlke, Mitgründer und Vorsitzender, prägenden Begegnung. Vor fast vier Jahren, erzählt er, habe er Kontakt zu einem jungen Mann aus Afghanistan bekommen, woraus sich eine sehr gute, fast brüderliche und bis heute andauernde Freundschaft entwickelt habe. Darüber lernte er andere junge Geflüchtete kennen und fuhr mit einigen von ihnen 2018 ins Kloster Benediktbeuern, um ein paar Tage Urlaub zu machen.

„Kloster klingt jetzt unheimlich fromm; es ist ein Haus der Salesianer, in dem man hervorragend Freizeiten verbringen und die tolle Landschaft genießen kann“, berichtet Martin Gruhlke. In diesen Tagen kommen sie ins Gespräch und die jungen Leute erzählen, dass sie gerne etwas von der Unterstützung, die sie erfahren haben, weitergeben wollen. So fügen sich zwei Puzzleteile ineinander. Schon länger hat er gemeinsam mit Luzia Oellig und ihren Kindern, die wie er selbst in der Jugendarbeit der Pfarrei St. Peter und Paul in Eschweiler aktiv waren oder sind, überlegt, wie sie junge Menschen unterstützen könnten, junge Geflüchtete ebenso wie junge Menschen, die auf sich allein gestellt sind. Die Idee zum Verein „Berg Tabor“ war geboren, den sie im Februar 2019 mit einigen der jungen Geflüchteten gründeten.

Der Name bezieht sich auf den im Norden Israels liegenden Berg Tabor – nach der biblischen Überlieferung der Berg der Verklärung Jesu. Eine Geschichte, davon sind die Vereinsgründer überzeugt, die allen Menschen, egal ob Christ oder nicht, etwas übers Miteinander sagen kann. Daraus haben sie Schritte für ihre Arbeit abgeleitet, unter anderem sich offen kennenzulernen, einander Ansehen zu geben und Vertrauen wachsen zu lassen; „auf den Berg zu gehen“, etwas miteinander zu erleben, aber auch von dort aus Übersicht zu gewinnen; Menschen zu helfen, Orientierung für ihr Leben zu finden; Leben miteinander zu teilen, denn nur in Gemeinschaft wachse das Leben und schließlich, in die Welt zu gehen und ihre Erfahrungen zu teilen.


Hilfe, unbürokratisch und persönlich

Umgesetzt wird das im täglichen Miteinander, es gibt Ideen und Projekte, wie zum Beispiel einen kürzlich eröffneten kleinen Kiosk, der zum einen jungen Menschen Arbeit, aber auch eine Anlaufstelle bieten soll. Im Sommer haben sie mit einer kleinen Gruppe, Obst, Knabberzeug, Getränken und einem Fußball Kontakt zu jungen Menschen im Viertel rund um die Gutenbergstraße, einem Brennpunktbezirk in Eschweiler, gesucht. Vor allem aber lebt der Verein von der direkten Hilfe. Wendet sich jemand an ihn, weil er ein Problem hat, nicht weiter weiß und Rat und Hilfe braucht, wird geschaut, wie diese Hilfe ganz unbürokratisch, konkret und personenbezogen aussehen kann. Das kann Hilfe im Umgang mit Behörden und Sozialträgern sein, bei der Arbeits- und Wohnungssuche, die Begleitung als Dolmetscher, Nachhilfe beim Deutsch Lernen oder in anderen Fächern oder auch die Vermittlung von Kontakten und zu anderen Hilfsangeboten. 


Dabei, so berichten die Vereinsmitglieder, sei es egal, wo jemand herkomme: Wer Hilfe braucht, wird nicht allein gelassen. Menschliche Unterstützung ist dabei genauso wichtig wie praktische. Darin finden sich inzwischen rund 30 junge Menschen verschiedener Nationalitäten, Kulturen und Religionen wieder, die in Freundschaft miteinander versuchen, etwas zu bewegen. Einer von ihnen ist Abdu Omer, der vor sechs Jahren aus Eritrea geflohen ist und den Martin Gruhlke als „stillen Nothelfer“ bezeichnet, weil man ihn nur anzurufen brauche, wenn man jemanden brauche. Ihm macht es große Freude, andere zu unterstützen, zum Beispiel mit Nachhilfe. „Wer unter 18 Jahre war, als er nach Deutschland gekommen ist, hat Deutsch über die Schule gelernt. Wer älter war, hatte das nicht und brauchte deshalb Hilfe beim Übersetzen und beim Lernen.“ Für ihn selbst hat sich so ein Plan für seine eigene Zukunft entwickelt. Er würde gerne das Fach-Abitur machen, studieren und dann etwas im Bereich sozialer Arbeit machen. 
Auch Paul Wamouno, vor drei Jahren aus Guinea nach Deutschland gekommen, möchte später mit Jugendlichen arbeiten. „Es ist nicht immer einfach hier, aber wenn man sich bemüht und seine Erfahrungen an andere weitergibt, schafft man es.“ Ali Asghar Jaqoobi kommt aus Afghanistan. Er gibt Mathenachhilfe, worüber er wiederum sein Deutsch verbessert, denn dafür müsse man reden. „Viele kommen allein her und haben keine Familie hier. Da braucht man Kontakte“, sagt er. 


Eigenes Zentrum wäre ein Traum

Ein weiteres wichtiges Standbein von „Berg Tabor“ ist, etwas zusammen zu unternehmen, gerne an Orten, wo sich eine gute Zeit mit neuen Eindrücken und Erfahrungen verbinden lässt. So haben sie unter anderem die Jugendhilfeeinrichtung „Weitblick“ in Dachau besucht, worüber sich ein guter Kontakt zu dem dahinterstehenden Verein entwickelt hat, und das Don-Bosco-Zentrum in Berlin-Marzahn, eine Anlaufstelle für Jugendliche, die sieben Tage in der Woche rund um die Uhr geöffnet ist. Ein eigenes Zentrum als Anlaufstelle für junge Menschen, die in irgendeiner Form Unterstützung, Kontakte und Austausch suchen oder anderen anbieten wollen, wäre ein Traum, sagt Martin Gruhlke. Aber auch so fühlten er und alle bei „Berg Tabor“ sich „reich beschenkt“, weil hier jeder vom anderen lerne, etwas gebe und etwas bekomme.