In der Frauenkunstwerkstatt des Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojektes Spectrum des Rheinischen Vereins hat der Frühling bereits Einzug gehalten. Hier entsteht gerade eine „Wiese“ aus farbenfrohen Blumen mitten in der Stadt. Und zwar mit Nadel und Faden und viel Fleiß. Die Blumen sind Teil des aktuellen Kunstprojektes, das die Frauengruppe derzeit mit Künstlerin Vera Sous entwickelt.
Noch ist das nicht spruchreif, was da gerade entsteht. Auf jeden Fall etwas, was sich wird sehen lassen können und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden soll. Darin hat die multikulturelle Frauengruppe bereits Übung. Gemeinsam mit Vera Sous hat sie in den vergangenen drei Jahren unter anderem einen Wandteppich mit ihren eigenen Silhouetten, das Corona-Mahnmal in der Citykirche und zwei Kunstprojekte zum Rahmenprogramm des Karlspreises 2022 und 2023 gestaltet. 2022 haben sie zu Ehren der Bürgerrechtlerinnen Swetlana Tichanowskaja, Veronica Tsepkalo und Maria Kalesnikava aus Belarus drei handgestickte Kleider und einen Wandteppich mit Motiven aus Belarus gestaltet. Damit waren sie bis vor kurzem in einer Ausstellung in Wien mit Beiträgen zum St. Leopold-Friedenspreis vertreten.
„Wir haben zwar nicht gewonnen, waren aber Siegerinnen der Herzen, weil wir zu so vielen daran gearbeitet haben“, sagt Vera Sous. 2023 haben sie anläßlich des Karlspreises für das ukrainische Volk ein Triptychon gestaltet sowie einen Film gemacht, in dem ukrainische Frauen, die das Projekt besuchen, von ihren Erfahrungen erzählen. So sollen über Kunst die Frauen und ihre Geschichten sichtbar werden.
Die Ideen dazu entwickelt Vera Sous gemeinsam mit Monika von Bernuth, Koordinatorin der Kunstprojekte bei „Spectrum“. „Wir verfolgen ein großes gemeinsames Ziel und jede Frau entscheidet dann, ob und wie sie sich einbringt“, berichtet Vera Sous. Was die meisten der aktuell zwölf Frauen mit Begeisterung tun. Sticken hat sich dabei als ihre Technik herauskristallisiert. „Angefangen haben wir mit Malen, aber das war es irgendwie nicht“, sagt Clarissa Görtz, eine Teilnehmerin. Auch, wenn Sticken an Schule und Großeltern erinnere, sei es das, was die Frauen am liebsten machen, bestätigt Vera Sous.
Beim Sticken könnten sie miteinander reden und auch mal Pause machen und bei einem großen Teppich könne sich jede mit dem einbringen, was sie gut kann. Sticken sei entspannend, helfe, den Stress, den sie alle zuhause und sonst in ihrem Leben haben, abzubauen, fasst eine der Teilnehmerinnen es zusammen. Inzwischen sind die Frauen so von der Leidenschaft fürs Sticken erfasst, dass auch außerhalb der Kunstprojekte kleine eigene Kunstwerke entstehen, wie Tischdecken, Kissenhüllen oder bestickte Kleider. Im Advent veranstalten sie ein Stick-Café, wo alle ihre Werke präsentieren.
Das Besondere an der Gruppe ist aber nicht allein, was sie künstlerisch, angeleitet von Vera Sous, auf die Beine stellen, sondern die Mischung und das, was sie füreinander sind. Ursprünglich bestand das Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojekt für Frauen schwerpunktmäßig aus der Arbeit in der Kantine des Aachener Haus der Caritas, wo die Frauen für die Küche zuständig waren. Kreative Projekte gab es auch da schon, doch sie bildeten noch nicht den Schwerpunkt. In der Pandemie war kein Kantinenbetrieb möglich und danach sei das Projekt nicht fortgeführt worden, berichtet Monika von Bernuth.
So startete die Frauengruppe vor drei Jahren in Räumen am Krugenofen mit veränderter Ausrichtung neu. Gekocht wird immer noch, aber nur noch für die Gruppe und das Team aus Sozialarbeiterinnen, das die Frauen begleitet und bei allen Alltagssorgen und -problemen hilft. Dafür steht nun die kreative Beschäftigung stärker im Mittelpunkt.
Die zwölf Frauen kommen aus Deutschland, Afghanistan, Pakistan, Syrien, Ghana, Polen und Thailand, was nicht nur zu einem spannenden Austausch über Traditionen und Techniken beim Handarbeiten führt, sondern vor allem die Küche kulinarisch bereichert. Dazu gibt es ein offenes Angebot für Frauen aus der Ukraine, die vorbeischauen, um ihr Deutsch zu verbessern, einen Kaffee zu trinken und Kontakte zu knüpfen. Rauskommen, nicht den ganzen Tag zuhause zu hocken, das ist für alle Frauen hier wichtig.
Jede bringt ihr Päckchen mit, hat gesundheitliche oder andere Probleme, die es ihr schwer bis unmöglich machen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. „Die Gruppe gibt Struktur, dann kommst du mit anderen zusammen und machst etwas Sinnvolles“, beschreibt es Clarissa Görtz, die dafür um fünf Uhr morgens aufsteht, um pünktlich um acht da zu sein. Das sei wichtig. Und, dass die Werkstatt nur für Frauen ist und einen geschützten Raum darstellt. Hier können sie offen reden über das, was sie belastet, weil die anderen Ähnliches erleben oder erlebt haben.