Leben an der Abbruchkante

Dialoginitiativen des Bistums Aachen vermitteln zwischen den Akteuren im Braunkohlegebiet

(c) www.pixabay.com
Datum:
10. Aug. 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 32/2022 | Kathrin Albrecht

Die Begleitung von Menschen vor Ort ist die Kernaufgabe der Pastoral. Doch was ist, wenn sich der Ort buchstäblich im Umbruch befindet? Nirgendwo wird das so deutlich wie in den Braunkohleabbaugebieten des Rheinischen Reviers, die zum Gebiet des Bistums Aachen gehören. Die Anwohner bewegen sich in einem hochkomplizierten Spannungsfeld von Bundes-, Landes und kommunaler Politik sowie wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen. Das Bistum will mit Dialoginitiativen zwischen den Akteuren vermitteln. 

Einer, bei dem dabei die Fäden zusammenlaufen, ist Markus Offner, Leiter der Abteilung Grundfragen und -aufgaben der Pastoral im Bischöflichen Generalvikariat des Bistums. Das Thema sei hier gut angesiedelt, meint er, denn es berühre die Zukunftsfragen des Bistums. Dabei sieht Markus Offner vor allem die Entlastung und Unterstützung des Pastoralpersonal vor Ort als wichtig an. Vor allem die Situation in den Dörfern rund um das Abbaugebiet Garzweiler II beherrschte in den zurückliegenden Monaten die Schlagzeilen: Demonstrationen um den Erhalt der Kirche in Keyenberg, das Klimacamp in Lützerath und über allem die Frage, was mit den Dörfern in der sogenannten Abbauzone Drei geschieht.

Inzwischen gibt es eine neue Landesregierung, die sich in ihrer Koalitionsvereinbarung zum Ausstieg aus der Braunkohleverstromung bis 2030 bekennt, mehr Tempo im Ausbau der erneuerbaren Energien vorlegen will und die „weitere Tagebauführung in Garzweiler und Hambach unter Berücksichtigung aller Massenbedarfe“ so gestaltet sehen will, „dass die Flächeninanspruchnahme auf ein Minimum begrenzt“ wird. Darüber wolle man mit RWE ein entsprechendes Einvernehmen erzielen  – doch vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine und seinen Folgen, einschließlich der dramatischen Verteuerung der Energie, bleibt die Frage, ob die Ziele eingehalten werden können, die Schwarz-Grün sich vorgenommen hat. Eine Leitentscheidung steht dazu noch aus. Für die Menschen vor Ort sei das hochproblematisch, sagt Markus Offner, „denn ihre Perspektive bleibt weiter in der Schwebe.“ Das gilt insbesondere für den Ort Lützerath, der, so hat es den derzeitigen Anschein, noch dem Tagebau zu Opfer fallen würde.

Die Frage der Umsiedlung hat Brüche in der Bevölkerung hinterlassen

Klar ist hingegen der Erhalt der Dörfer Keyenberg, Kuckum, Unter- und OberWestrich sowie Beverath. Hier jedoch sei ein Großteil der Bevölkerung bereits umgesiedelt. Auch dieser Prozess habe Brüche hinterlassen, berichtet Offner: „Wenn sich ein Teil zur Umsiedlung entschließt und ein Teil entscheidet zu bleiben und die Ressourcen im Alt-Ort abgezogen werden, entsteht bei dieser Gruppe automatisch und nachvollziehbar das Gefühl, ,für uns interessiert sich keiner‘.“ Mitte Juni dieses Jahres ist die neue Kapelle 
St. Petrus der fünf neuen Ortsgemeinden feierlich eingeweiht worden (die KiZ berichtete). Die Rückmeldungen, die Offner bisher erhalten habe, spiegelten wider, dass dort das Gefühl eines Neuanfangs herrsche.

Die Zukunft der Pastoral in den Modellorten wird mobiler und ökumenischer

Bei Markus Offner laufen die Fäden für die Dialoginitiativen Braunkohle zusammen. (c) Kathrin Albrecht
Bei Markus Offner laufen die Fäden für die Dialoginitiativen Braunkohle zusammen.

Die konkrete Ausgestaltung der pastoralen Angebote vor Ort, stellt Offner klar, seien Sache des Pastoralpersonals vor Ort. Von Aachen aus wolle man jedoch Anregungen geben, weiter zwischen den Akteuren vermitteln und eben auch Ansprechpartner sein bei kritischen Fragen, die die Haltung des Bistums zum Thema betreffen. „Pfarrer Rombach muss oft Stellung nehmen zu Sachverhalten, für die er eigentlich nichts kann.“ Das betreffe rechtliche Fragen, beispielsweise bei Grundstücksverkäufen, die Jahre zurückliegen. Es betreffe aber auch die Haltung des Bistums. Bischof Dieser hat sich in der Frage nach den politischen Entscheidungsprozessen um den Erhalt der Dörfer klar positioniert: Es brauche schnelle Leitentscheidungen, die für Klarheit sorgen, sagte er in einer Pressemeldung im September letzten Jahres. Ausdrücklich, unterstreicht Offner, setze sich das Bistum für Nachhaltigkeit und die Bewahrung der Schöpfung ein. So hält es auch ein Beschlusspunkt im Heute-bei-dir-Prozess fest. Hochpolitisch ist für das Bistum auch die Frage der Energiesicherheit, wenn etwa importierte Steinkohle aus Kolumbien verstromt werde, die dort unter menschenunwürdigen Bedingungen abgebaut werde. Mit Kolumbien verbindet das Bistum eine über 60-jährige Partnerschaft.

Auch mit der Leitung von RWE habe es Gespräche gegeben. Er habe dabei nicht den Eindruck gehabt, dass sich das Unternehmen seiner gesellschaftlichen Verantwortung nicht bewusst sei, sagt Markus Offner. Zur Entwicklung um die Tagebaue gebe es eine Vorgeschichte: Dass der Kohleabbau politisch so massiv forciert wurde, lag in den Erfahrungen der Ölkrise in den 70er Jahren begründet.

Auch in Zukunft bleiben Fragen: Was passiert mit den Orten, die jetzt doch erhalten bleiben? Mit den Gebäuden und Grundstücken, die RWE gehören? Auch hier brauche es Dialog und Fingerspitzengefühl, denn auch, wenn die Häuser ihren Besitzern nicht mehr gehören, Entschädigungen gezahlt wurden, ist die Ungewissheit oder gar eine Neunutzung für viele Betroffene schmerzlich.

Nicht zuletzt bleibt die Frage, welche Perspektiven die Menschen haben, die noch nicht umgesiedelt sind. So habe man, erzählt Markus Offner, das Feuerwehrhaus in Alt-Keyenberg als Gemeinschaftshaus wieder eröffnet. Eine Kindertagesstätte für die verbliebenen Familien werde es jedoch nicht geben. Solange auf kommunaler Seite noch unklar sei, was mit den erhaltenen Orten konkret geschehe, werde es auch schwierig sein, pastorale Konzepte zu entwickeln, sagt Offner. Sicher sei jedoch, es werde agilere, mobilere Formen der Pastoral geben. Und es werde, wenn gewünscht, mehr ökumenische Zusammenarbeit geben.