„Lebe jetzt!“

Dr. Carola Holzner (Doc Caro) versucht, in ihrem Beruf als Notärztin Leben zu retten. In der Gesellschaft fehlt ihr ein Bewusstsein für das Thema Tod und Endlichkeit

Notärztin mit Fernsehserie: Die neue Dokumentarstaffel „Doc Caro – Jedes Leben zählt“ (acht Folgen) wird ab dem 2. Oktober immer mittwochs um 20.15 Uhr bei Vox ausgestrahlt. (c) RTL/Stefan Gregorowius
Notärztin mit Fernsehserie: Die neue Dokumentarstaffel „Doc Caro – Jedes Leben zählt“ (acht Folgen) wird ab dem 2. Oktober immer mittwochs um 20.15 Uhr bei Vox ausgestrahlt.
Datum:
18. Sept. 2024
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 38/2024 | Stephan Johnen

„Doc Caro – Jedes Leben zählt“ heißt die Dokumentarserie auf Vox, deren zweite Staffel ab Herbst über die Bildschirme flimmert. Im Mittelpunkt steht die Arbeit der Akut- und Notfallmedizinerin Dr. med. Carola Holzner, die vielen Menschen auch aus ihrem Podcast „Doc Caro“ bekannt sein dürfte. Die Fachärztin für Anästhesiologie mit der Zusatzweiterbildung in Intensivmedizin, Notfallmedizin und Innerklinischer Akut- und Notfallmedizin steht am 27. September bei der Jubiläumsfeier der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin auf der Bühne im Aachener Tivoli. Im Oktober erscheint ihr neues Buch. Die KirchenZeitung hat sich im Vorfeld mit der Notfallmedizinerin über Leben und Tod, die Suche nach Erfüllung und die Grenzen der Medizin unterhalten.

Frau Dr. Holzner, zum Einstieg eine leicht gestellte Frage. Richtig oder falsch: Der Tod ist Teil des Lebens?

Holzner: Diese Frage lässt sich nicht so einfach mit Richtig oder Falsch beantworten. Tod und Leben gehören zusammen. Es gibt Situationen, bei denen der Tod durchaus zum Leben dazugehört, ein vorübergehendes Ende bedeutet, aus dem Tod ein neues Leben entstehen kann. Gerade in Fauna und Flora gibt es viele Beispiele dafür. Es gibt eine Pflanze, deren Samenkapseln nur bei Buschbränden aufspringen, wenn sie selbst und alles andere drumherum verbrennen. Generell glaube ich, dass Energie nicht verloren gehen kann.

 

Sind Sie ein gläubiger Mensch?

Holzner: Ich bin katholisch getauft, war Messdienerin, bin in einer christlichen Familie aufgewachsen. Das prägt natürlich. Im Laufe meines Lebens habe ich durch das Erleben vieler Situationen erkannt, dass es so etwas wie eine übernatürliche Energie gibt, die ich als Universum bezeichne. Es sind Phänomene an der Grenze von Leben und Tod, die sich zunächst nicht wissenschaftlich erklären lassen. Wie man das bezeichnet, sollte jeder selbst entscheiden. Glaube und Spiritualität sind Teil unserer Kultur – weltweit. 

 

Glauben Sie als Medizinerin, dass es nach dem Tod weitergeht? Gibt es etwas über das irdische Leben hinaus?

Holzner: Es geht auf jeden Fall weiter. Aber wie, das weiß ich nicht. Ich habe manchmal das Gefühl, dass ich eine Kämpferin im Mittelalter war, meine Seele sozusagen weitergegangen ist. Ich glaube, dass es an uns selbst ist, welche Vorstellung wir uns davon machen, wie es weitergeht. Ich habe viele Gespräche mit einer Palliativmedizinerin geführt, die hauptberuflich und dauerhaft an der Schwelle von Leben und Tod steht und Menschen liebevoll am Ende ihres Lebens betreut. Palliativmediziner und Patienten können sich länger mit dieser Phase des Übergangs und auch des Sterbens beschäftigen. Die Kollegin hat das wunderbar ausgedrückt: Palliativ kommt vom lateinischen Wort Pallium, also Mantel. Sie wollen Menschen auf ihrem letzten Weg Wärme und Schutz geben, wie ein Mantel. Sie sagt: Wenn Menschen zu uns kommen, ist es so, als würden sie die letzte Wiese betreten. So stelle ich mir den Tod vor: Als schöne Blumenwiese, auf der ich barfuß in einem Nachthemd in den Sonnenuntergang laufe.

 

>> Ich möchte nicht am Ende meines Lebens auf das zurückblicken, was ich alles verpasst habe. <<

Carola Holzner

An der Schwelle zu Leben und Tod stehen Sie auch als Notärztin täglich. Wie definieren Sie Ihre Rolle?

Holzner: In der Notfallmedizin haben wir es mit Menschen zu tun, die meist völlig unvorbereitet aus dem Leben gerissen wurden, durch einen Unfall oder Herzinfarkt. Das ist etwas ganz anderes als eine lange chronische Erkrankung mit langem Leidensweg. Das Thema Tod ist zwar immer präsent, aber wir haben in der akuten Situation keine Zeit, uns damit zu beschäftigen, weder das Rettungsteam noch die Patienten selber. Wir kämpfen gegen die Zeit beziehungsweise gegen den Tod. 

 

Stimmt mein Eindruck, dass wir probieren, Krankheit und Tod möglichst aus unserem Leben und aus unserer Wahrnehmung zu verbannen?

Holzner: Leider ja. Wir beschäftigen uns weder mit Notfällen, plötzlichen Schicksalsschlägen – und auch nicht mit dem Tod. Dabei kann alles jederzeit aus heiterem Himmel eintreten. Deswegen spreche ich darüber viel und versuche, Menschen dafür zu sensibilisieren, sich mit diesen Themen zu befassen, solange sie es können. Es ist erschreckend, wie oft man als Notarzt in Situationen kommt, in denen Menschen offensichtlich klar ist, wie nah sie dem Tod sind, sie diese Situation aber bewusst verdrängt haben. In der Vergangenheit gehörte das Sterben zum Familie-Sein dazu, es war öffentlicher. Menschen sind zum Teil proaktiv ins Sterbezimmer gegangen, nachdem sie sich verabschiedet haben, Dinge geklärt haben. Es war eine aktive Entscheidung, als sie gemerkt haben, dass sie gehen wollen oder müssen. Selbstverständlich war die Medizin vor 100 Jahren noch nicht so weit, die Menschen wurden nicht so alt. Die moderne Medizin kann Fluch und Segen sein. Wir versuchen an vielen Stellen, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen. Wir glauben, durch die Medizin, die ein längeres und gesünderes Leben ermöglicht, unsterblich sein zu können. Aber letztlich können wir dem Tod nicht entrinnen.

"Die moderne Medizin kann Fluch und Segen sein." – Dr. Carola Holzner über den Versuch, Leiden und Tod weitgehend aus unserem Lebn auszublenden.

Welche Konsequenz hat es für unser Leben, dass wir den Tod ausklammern?

Holzner: Es hätte schon einen großen Einfluss, wenn wir im Bewusstsein unserer eigenen Endlichkeit den Tod eben nicht ausklammern und viel bewusster leben würden. Lebe jetzt! Das ist mein Lebensmotto. Wenn man ständig mit dem Tod konfrontiert wird, hinterfragt man an vielen Stellen wirklich sein eigenes Leben, denn alles ist endlich. Habe ich die Zeit wirklich sinnvoll genutzt? Habe ich etwas gestaltet oder nur vor mich hin gelebt? Ich möchte nicht am Ende meines Lebens auf das zurückblicken, was ich alles verpasst habe. Auf meinem Grabstein soll stehen: „Je ne regrette rien.“ Ich möchte voller Erfüllung gehen, weil ich richtig gelebt habe. Was diese Erfüllung ist, soll jeder selbst mit sich ausmachen und de-finieren. Es steht niemandem sonst zu, das zu bewerten. Jeder hat das Recht, glücklich zu sein. Ich habe noch nie erlebt, dass Menschen in den letzten Minuten ihres Lebens aufzählen, welche Besitztümer sie angehäuft haben. Der häufigste Wunsch ist es, nochmal die Uhr zurückdrehen zu können, um mehr Zeit gehabt zu haben. Für sich selbst, für andere. 

Weil Menschen das Gefühl haben, ein Leben verschwendet zu haben?

Holzner: Das Glück kommt nicht von außen, sondern von innen. Wir neigen dazu, Ersatzbefriedigungen hinterherzulaufen, weil wir uns die entscheidende Frage nicht rechtzeitig im Leben gestellt haben: Was macht uns wirklich glücklich?  Dafür sind wir selbst verantwortlich! Es ist vermutlich eine der schwersten Erkenntnisse auf dem Sterbebett, den Rückblick auf das eigene Leben als vertane Chancen zu sehen, glücklich zu sein, ohne das Glück gefunden zu haben. Wir sollten uns alle früh mit der Endlichkeit des Seins beschäftigen, sehen wir es wie einen Urlaub, der irgendwann zu Ende geht. 

 

Leben Sie aus der Erfahrung Ihres Berufs jeden Tag bewusster, weil Sie wissen, wie schnell alles vorbei sein kann?

Holzner: Nicht jeden Tag, aber ich habe schon sehr viele Entscheidungen in meinem Leben bewusster getroffen.

 

Wo liegen die Grenzen der Medizin? Wo ist es sinnvoll, Grenzen durch Forschung und Fortschritt verschieben zu wollen?

Holzner: Das ist eine gute Frage. Die moderne Intensivmedizin ist ein absoluter Segen, sie kann die Grenze zwischen Leben und Tod verschieben. Aber diese neue Grenzziehung ist nicht immer in allen Fällen so positiv, wie sie zunächst scheint. Die Perspektive einer akutmedizinischen Behandlung sollte es – stark vereinfacht formuliert – sein, gesünder wieder herauszukommen, als man hereingekommen ist, um wieder ein möglichst normales Leben führen zu können. Es gibt aber auch so schwere Verletzungen, bei denen Therapien, die möglich sind, und auch eine Reanimation nicht unbedingt dazu führen, dass sich der Zustand verbessert. Ein Stück weit können die Angehörigen nicht loslassen. Wir Mediziner können viel tun, aber nicht den Grundzustand eines Menschen verändern, Angehörige fordern oft, wir sollen alles machen. Ich verstehe, dass es schwer ist, Entscheidungen zu treffen, wenn man einen Menschen zu verlieren droht, der einem am Herzen liegt. Aber viele dieser Entscheidungen werden nicht im Sinne des Patienten getroffen, sondern im Sinne der Angehörigen. Nicht alles, was medizinisch möglich ist, ist auch sinnvoll.

 

Bundesweite Bekanntheit erlangten Sie während der Pandemie; sie sind auch heute noch medial stark präsent. Bekommen Sie das alles unter einen Hut?

Holzner: (lacht) Wie das geht, können Sie ab dem 2. Oktober immer mittwochs auf Vox anschauen! Ich bin ein Mensch, der gerne viel macht und Dinge nach außen trägt, die ich für wichtig halte. Das Fernsehen ist eine super Plattform dafür. Ich bin keine Schauspielerin, keine Moderatorin, sondern vom Fach. Ich weiß, 
wovon ich spreche. Und wenn jemand, der die Sendung schaut, später in der Lage ist, ein Leben zu retten, hat es sich gelohnt. 

 

Hat sich Ihr beruflicher Alltag verändert?

Holzner: Der berufliche Alltag ist nicht mehr wie vor vier Jahren, alles ist anders geworden. Meine ärztliche Tätigkeit in der Notaufnahme und als Notärztin war damals 100 Prozent des Berufes. Ich bin nach wie vor Notärztin, aber diese Tätigkeit ist ein Stück der Medienarbeit gewichen. Ich mag es, verschiedene Dinge unter einen Hut zu bekommen – und daran wirken viele Menschen im Hintergrund mit.

Ob Rettungswagen, Notaufnahme oder im Helikopter: Die Ärztin hat viele Grenzsituationen zwischen Leben und Tod erlebt. (c) Camilo Jimenez/unsplash.com
Ob Rettungswagen, Notaufnahme oder im Helikopter: Die Ärztin hat viele Grenzsituationen zwischen Leben und Tod erlebt.

Hätte der mediale Erfolg auch ohne Helikopter funktioniert, mit dem Sie als Notärztin eingeflogen werden?

Holzner: Ich bin ja auch im Notarztwagen unterwegs! Blaulicht fasziniert – das hat für viele etwas Heldenhaftes. Auch wenn wir uns nicht als Helden sehen.

 

Und Blaulicht zieht auch Gaffer an.

Holzner: Das ist für mich ganz wichtig und einer der Grundsätze meiner Medienarbeit: Wir machen kein TV für Gaffer und gehen pietätvoll mit den Menschen und deren Angehörigen um. Es gibt durchaus einige Situationen, in denen die Kamera aus bleibt oder von vornherein gar nicht erst mitkommt. Die  Patientenversorgung hat oberste Priorität! Wer etwas über Medizin lernen möchte und die Menschen dahinter, der sollte einschalten. Um Sensationslust zu befriedigen, ist die Sendung das falsche Format.

Stichworte, die bei medizinischen und pflegerischen Berufen immer genannt werden sind: hohe Arbeitsbelastung, viel Verantwortung, Schichtdienst und gefühlt nur wenig Anerkennung: Würden Sie Berufsanfängerinnen und -anfängern dennoch einen Start nahelegen?

Holzner: Es gibt ein großes Aber! In diesem Beruf hat man viel mit Menschen zu tun, mit Schicksalen und zwischenmenschlichen Dingen. Das macht es so besonders. Es ist ein gewisser Schlag Mensch, der sich dazu entscheidet: absolute Teamplayer. Wir erleben viel gemeinsam und stehen es auch durch. Wenn es hart auf hart kommt, wissen wir, warum wir unsere Arbeit tun. Das ist mehr wert als alles andere. Ein Beruf im Gesundheitswesen kann eine absolut sinnstiftende Perspektive geben. Diese Erfahrung haben in der Vergangenheit zum Beispiel auch viele Zivildienstleistende gemacht, die zum Teil selbst noch nicht wussten, was nach der Schule kommt, und im Altenheim oder im Rettungsdienst landeten. Dort wurde sehr viel Personal rekrutiert, die Leute blieben im Team. Was meine persönliche Motivation angeht: Erst vor einigen Tagen hat mir eine Person, die ich wiederbelebt habe, noch einmal gedankt für „1000 Ta-ge im neuen Leben“. So etwas kann man niemanden erklären, der es nicht erlebt hat. Ja, der Job ist anstrengend. Aber er gibt einem auch so viel zurück.

Was würden Sie ändern, wenn Sie Super-Ministerin für Forschung und Medizin wären und komplett frei gestalten könnten mit einem unendlichen Budget?

Holzner: Ich würde auf gar keinen Fall alleine entscheiden, denn dafür sind viel zu viele Player im Spiel. Ganz oben auf meiner Liste stände aber ein patientenzentriertes Gesundheitssystem, wo jeder Zugang zu guter Versorgung hat und die Notaufnahmen keine Bagatellen mehr versorgen müssen, weil es eine viel bessere ambulante Versorgung gibt. Mit Blick auf die Schule würde ich einen Gesundheitsunterricht einführen, damit bereits Kinder lernen, was Gesundheit bedeutet, wie sie das Leben für sich und das Umfeld gesünder gestalten können. Es sind Banalitäten wie alte Hausmittelchen, die meine Oma noch kannte, etwa Zwiebelwickel bei Ohrenschmerzen, die das System entlasten könnten. Viel Wissen ist verloren gegangen.


 
Und was wäre direkt umsetzbar?

Holzner: Direkt umsetzbar ist vermutlich gar nichts, weil das Personal fehlt. Wenn wir heute die Weichen stellen, trägt das vielleicht in zehn Jahren Früchte. Genau deswegen wird es Zeit. Relativ schnell ließe sich umsetzen, auch wieder die Patienten zu schulen. Wir müssen wieder mehr Eigenverantwortung auch für unsere Gesundheit übernehmen, selbstreflektierter leben. An anderer Stelle muss die Medizin zu den Menschen gebracht werden. Es gibt Viertel in deutschen Städten, in denen viele noch nie einen Hausarzt gesehen haben, bis es zu spät ist. Hier sollten wir präventiv etwas tun.

 

Welche Frage hätten Sie in Interviews gerne einmal beantwortet, aber die Frage wurde Ihnen nie gestellt?

Holzner: Ich warte auf die Frage: „Haben Sie Angst vor dem Tod?“

 

Und? Haben Sie Angst?

Holzner: Nein! Weil ich ja diese Assoziation von der Blumenwiese in meinem Kopf habe, über die ich barfuß Richtung Horizont gehe. Und ich werde eine Menge Menschen wiedersehen, die ich vielleicht kurzfristig aus den Augen verloren habe. 

Ab 2. Oktober wieder auf Sendung

(c) S. Fischer Verlag

Dr. med. Carola Holzner (Doc Caro), lebt mit ihrer Familie in Mülheim an der Ruhr. Dort ist sie 1982 auch geboren. Nach der Aufnahme eines Chemiestudiums folgte sie ihrem Kindheitstraum, Ärztin zu werden. An der Universität zu Köln erlangte sie 2009 die Approbation und promovierte ebenfalls. Carola Holzner ist Fachärztin für Anästhesiologie mit der Zusatzweiterbildung in Intensivmedizin, Notfallmedizin und Innerklinischer Akut- und Notfallmedizin, aber vor allem passionierte Notärztin. Allein auf Instagram (@doc.caro.holzner) folgen fast 400000 Menschen der Medizinerin.

Für den Fernsehsender Vox ist sie wieder ab Mittwoch, 2. Oktober, im Einsatz. Wöchentlich ab 20.15 Uhr können die Zuschauer in den außergewöhnlichen Arbeitsalltag der Notfallmedizinerin eintauchen. Es ist die zweite Staffel der Reihe „Doc Caro – jedes Leben zählt“. Auch als Autorin ist die Medizinerin gefragt. Ihr Buch „Ab unter die Gürtellinie“ soll Licht ins Dunkle der Tabuzone bringen und Antworten auf Fragen liefern, die sich viele Menschen aus Scham nicht zu stellen trauen. Das Buch erscheint am 9. Oktober: 288 S., Fischer Taschenbuch, Preis: 18,– Euro, E-Book: 14,99 Euro.