Lasst uns über den Tod reden

Vor 20 Jahren startete die erste Projektwoche „Hospiz macht Schule“. Das Modell aus dem Kreis Düren ist mittlerweile bundesweit im Einsatz.

Gerda Graf (von links), Hilke Miebach und Theresa Reichert stellen das Konzept vor. (c) Stephan Johnen
Gerda Graf (von links), Hilke Miebach und Theresa Reichert stellen das Konzept vor.
Datum:
19. Nov. 2025
Von:
Aus der Kirchenzeitung, Ausgabe 31/2025 | Stephan Johnen

Es wird Zeit, über den Tod zu sprechen. Auch – oder gerade, weil niemand wirklich Lust dazu hat. Eigentlich spricht niemand gerne über den Tod. Vor Kindern schon gar nicht. Eltern wollen Kinder schützen, sie vor schwierigen Themen und leidvollen Erfahrungen bewahren. 

Dieses gut gemeinte Abschirmen führt oft aber dazu, dass Kindern das notwendige Rüstzeug fehlt, wenn Krankheit, Sterben und Tod ganz plötzlich und unvermittelt ins Leben treten. Seit 20 Jahren erleben Grundschulkinder bei „Hospiz macht Schule“ spielerisch, kreativ, ritualisiert und strukturiert eine Auseinandersetzung mit Themen wie Trauer, Tod, Krankheit, Leiden und Trösten. „Dies ist mehr denn je nötig, weil die Themen so aktuell sind wie noch nie. Dafür reicht ein Blick in die Nachrichten“, sagt Gerda Graf, Ehrenvorsitzende des Deutschen Hospiz- und Palliativ-Verbands (DHPV) und Vorstandsmitglied der Hospizbewegung Düren-Jülich.

Während der Projektwoche lernen die Kinder, ihre Gefühle zu artikulieren und einzuordnen. (c) Foto: Archiv/Dorothée Schenk
Während der Projektwoche lernen die Kinder, ihre Gefühle zu artikulieren und einzuordnen.

„Wir wollen Kinder darin stärken, sich ihre Gefühle bewusst zu machen und darüber reden zu können“, sagt die Pionierin der Hospizarbeit aus dem Kreis Düren. Die Idee, Kindern im Grundschulalter das Thema Tod und Sterben altersgerecht nahe zu bringen, geht auf ein vom Bundesjugendministerium gefördertes Modellprojekt zurück, an dem Gerda Graf von der ersten Minute an beteiligt war. Das Konzept einer „Hospiz macht Schule“ getauften Projektwoche an Grundschulen wurde maßgeblich im Jahr 2005 von der Hospizbewegung Düren-Jülich entwickelt und ist seitdem bundesweit im Einsatz.

Mittlerweile hat „Hospiz macht Schule“ sogar im Ausland Schule gemacht, wurde regelmäßig konzeptionell und inhaltlich weiterentwickelt und mit Preisen ausgezeichnet. Allein im Kreis Düren fanden an 21 Schulen 86 fünftägige „Hospiz-macht-Schule“-Workshops statt, 35 ehrenamtliche Mitarbeitende wurden geschult und in 17.500 Stunden ungefähr 2.200 Kinder erreicht.

„Es gehört zu den Grundkompetenzen, sich auch mit schweren Themen auseinanderzusetzen. ‚Hospiz macht Schule‘ stärkt das Kind für das, was im Leben noch auf dieses Kind zukommt“, sagt Gerda Graf. Fakt ist: So sehr wir es auch versuchen, niemand kann sich selbst und schon gar nicht seine Kinder vor schwierigen und traurigen Situationen bewahren. „Aber wir können alles dafür tun, damit Kinder mit solchen Situationen besser klar kommen, die Ursachen verstehen und Methoden gelernt haben,

Trauer, Wut und Verzweiflung zu empfinden und zu verarbeiten“, sagt Hilka Miebach, eine der ehrenamtlichen Begleiterinnen, die für eine Projektwoche an die Schulen gehen. Seit zwei Jahrzehnten rückt „Hospiz macht Schule“ nicht nur die Themen Tod und Sterben aus der Tabuzone zurück in die Mitte des Lebens, sondern bietet auch den Gegenentwurf zur heutigen sehr funktionalen Welt. Gerda Graf: „Alles muss funktionieren. Auch Kinder. Wir ermöglichen es, Gefühlen freien Lauf zu lassen, sich im geschützten Rahmen mit ihnen auseinanderzusetzen. Aus Sprachlosigkeit machen wir Sprachfähigkeit.“

An fünf Schultagen werden ganz unterschiedliche Themenfelder bearbeitet. Zum Abschluss gibt es ein Fest mit den Eltern. (c) Stephan Johnen
An fünf Schultagen werden ganz unterschiedliche Themenfelder bearbeitet. Zum Abschluss gibt es ein Fest mit den Eltern.

Kinder seien offen für die Welt und würden diese annehmen, wie sie ist. „Das ist eine besondere Fähigkeit, die Erwachsene oft nicht wahrnehmen, die die Kinder ohne eine richtige Begleitung aber auch emotional verletzbar macht“, erklärt Hilka Miebach. Die Impulse, die „Hospiz macht Schule“ in einem geschützten Rahmen gibt, unterstützen die Kinder dabei, mit Emotionen umzugehen, sie zu verarbeiten und einordnen zu können – was zu mehr Stabilität und Sicherheit im Alltag führt.

Nicht zuletzt aus diesem Grund ist „Hospiz macht Schule“ durchaus auch Präventionsarbeit, ja Friedensarbeit. Und die ist angesichts von Krieg und Vertreibung auf der Welt, einer zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft und dem rasend schnell wachsenden Einflusses von Sozialen Medien auch dringend notwendig, findet die Hospizbewegung Düren-Jülich. „In den vergangenen 20 Jahren ist viel geschehen, wir haben viele zusätzliche Fortbildungen beispielsweise für den Umgang mit traumatisierten Kindern integriert“, nennt Gerda Graf nur ein Beispiel für die Regel, dass die einzige Konstante die Veränderung ist.

Wie sprechen die eigens dafür geschulten Ehrenamtlichen der Hospizbewegung mit Dritt- oder Viertklässlern eine Schulwoche lang über den Tod? Indem die Schülerinnen und Schüler behutsam an die Thematik herangeführt werden. Tag für Tag, Schritt für Schritt, im Dialog, in einem Miteinander und Füreinander. Nicht ohne Grund ist die Projektwoche auf fünf aufeinanderfolgende Tage angelegt, wird wechselnd in Groß- und Kleingruppen gearbeitet. „Am ersten Tag beschäftigen wir uns unter anderem mit Veränderungen im Leben“, erklärt Hilka Miebach. Das Konzept der Projektwoche knüpft inhaltlich an schulische Themen an, greift Elemente des Kunst- und Musikunterrichts auf, geht auf den Religionsunterricht ein.

Doch die Kinder lernen in der Woche auch, welche Krankheiten es gibt, die geliebte Menschen unvermittelt verändern, warum Menschen sterben, wie ein Sterbeprozess aussehen kann. Ganz wichtig ist es auch, Abschiedsrituale kennenzulernen. Die Ehrenamtler greifen dabei auch auf Filme zurück, setzen auf kreative Angebote. An einem anderen Tag geht es um Trost und ums Trösten. Die Kinder erfahren, welche Wirkung ein aufmunternder Brief haben kann, ein Besuch am Krankenbett. Langsam wird der Bogen zurück in den Alltag gespannt.

Am letzten Tag machen die Eltern mit, wird ein kleines Fest zum Abschied der Projektwoche gefeiert. Dann blicken alle auf das Gelernte zurück. Mittlerweile gibt es auch ein Konzept für weiterführende Schulen, das auf zwei Projekttage reduziert ist. Die Lehrerinnen und Lehrer sind zwar begleitend dabei, stehen aber nicht in der ersten Reihe. „Für sie ist das eine seltene Chance, die Kinder auch einmal aus einer anderen Perspektive zu erleben“, berichtet Hilka Miebach.

Vor dem Beginn jeder Projektwoche gibt es einen Elternabend, an dem die Hospizbewegung das Konzept vorstellt. Gerade zu Beginn gab es auch schon einmal Vorbehalte, doch jeder Kurs fand statt. Die positiven Erfahrungen gaben den Ehrenamtlichen seit jeher recht. „Wir erleben, wie auch die Klassengemeinschaft zusammenwächst“, berichtet Koordinatorin Theresa Reichert: „Es entsteht ein beeindruckendes soziales Miteinander.“