Wie so oft bei Erfolgsprojekten stand auch bei „Heimat blüht auf“ am Anfang eine relativ kleine Idee: Ein Landwirt wollte einen Blühstreifen anlegen und suchte Rat. Heute ist „Heimat blüht auf“ ein Verein mit gut 60 Mitgliedern, deren Ziel es ist, neue Lebensräume für Insekten zu schaffen. Damit sollen die Populationen wieder wachsen und die Bio-Diversität geschützt werden.
Wenn Andrea Jacobson einmal in Fahrt kommt, ist sie kaum noch zu bremsen. So wichtig ist ihr das Anliegen des Vereins. „Die größte Krise dieser Welt ist eigentlich die Bio-Diversität-Krise, die ist viel schlimmer als die Klima-Krise“, sagt sie. „Aber das wird nicht kommuniziert. Wenn wir von 75 Prozent Artensterben sprechen, ist das dramatisch.“ Jacobson sprich vor allem von Insekten und Würmern, die auf Wiesen, Feldern und in Wäldern leben.
Diese Insekten sorgen dafür, dass auf dem Boden liegende Früchte, Aas und herabfallende Blätter zersetzt und zu Humus werden. Die Insekten graben Gänge in die Böden und lockern sie so auf, dass Regenwasser die Erde gut durchdringen kann. Sie bestäuben Blüten, aus denen Früchte werden. Und schließlich sind Insekten und Würmer Futter für andere Tiere, die wiederum andere Funktionen im Ökosystem haben. Ohne diese kleinen krabbelnden, fliegenden und summenden Erdbewohner funktioniert das Leben nicht – auch nicht für den Menschen. Deshalb werben Jacobson und ihre Mitstreiter im Verein „Heimat blüht auf“ dafür, Lebensräume für Insekten zu schaffen
Im November 2020 gründete eine Gruppe Frauen und Männer die Initiative „Heimat blüht auf“. Ein Freund von Jacobsons Vater wollte einen Blühstreifen anlegen. Zusammen mit ihrer Schwester und dem Vater überlegte sie, wie das am besten ginge. Das Thema erschien dem Trio schnell zu wichtig, und so suchten sie Mitstreiter und die Öffentlichkeit. Im März 2021 wurde aus der Initiative ein Verein.
Heute betreut der Verein 40000 Quadratmeter Blühwiesen in der Region Heinsberg und Linnich. Auf der Homepage des Vereins ist auf einer Karte abgebildet, wo sich die verschiedenen Wiesen befinden. Unter dem Punkt „Wo blüht’s“ sind mit dem Wortspiel „Sumis places to bee“ (Sumis Plätze, an denen man sein muss/um eine Biene zu sein) verzeichnet. Sumi ist die Biene im Logo des Vereins. Knapp 40 Bienen markieren die Plätze im Raum Erkelenz, darunter landwirschaftliche Flächen, öffentliche städtische Flächen und Grundstücke, die von Privatleuten zur Verfügung gestellt wurden.
Aber dass alles hübsch bunt blüht, ändert die Verhältnisse nicht. Da muss schon mehr gemacht werden. Mit vielen Aktionen bietet der Verein Informationen und Hilfe, um selbst eine Blühwiese auf dem eigenen Grundstück anzulegen. Er organisiert Tauschbörsen für Stauden, gibt Workshops und legt mit Kindergarten- und Grundschulkindern Wiesen an. Dass gerade junge Familien im Privaten Schottergärten bevorzugen und so wertvolle Flächen versiegeln, ärgert Jacobson schon ein wenig. „Ich hätte es auch lieber, wenn man die Erwachsenen überzeugen könnte“, sagt sie.
Auch Katastrophen haben keine Wirkung. Weder die Flut im Ahrtal und in der Region Heinsberg vor zwei Jahren, noch die Überschwemmungen in Italien und Griechenland in diesem Sommer. Auch Hitzesommer und Dürre bewirken kaum ein Umdenken. „Seien wir ehrlich, das interessiert doch nur, wenn es direkt vor der eigenen Haustür passiert“, sagt Jacobson. „Ich finde das ganz, ganz schlimm.“ Dabei gäbe es so viele Gründe für einen bunten Garten mit vielen Insekten statt einer asphaltierten Fläche. Ein Grund,
der besonders in heißen Sommern zu spüren ist: Grüne Flächen kühlen ab. Wer einmal in einer Stadt von einer Straße mit Asphalt in einen Park gegangen ist, kennt den deutlich kühlenden Effekt.
Ein wichtiger Punkt ist die Netzwerkarbeit, um Städte, Unternehmen, andere Vereine, Schulen und Kindergärten mit ins Boot zu hohlen. Im September lud „Heimat blüht auf“ Vertreter der Städte in der Region Heinsberg, der Wirtschaft und Gesellschaft zu einem Netzwerktreffen ein. Was Jacobson besonders enttäuscht: „Auch die Kirchen waren eingeladen, aber es ist kein hochrangiger Vertreter gekommen. Nicht ein Pfarrer war da“, sagt sie. „Dafür, dass der Papst in seiner Enzyklika ‚Laudato si’ die Verantwortung zur Bewahrung der Schöpung so betont hat, ist das Interesse der Kirchen sehr gering.“ Auch Kirchen könnten einen Teil ihres Landes für Blühflächen zur Verfügung stellen, schlägt Jacobson vor.
Die Wissenschaft warnt längst vor den katastrophalen Folgen des Insektensterbens. Fehlen die Bestäuber, dann wird es in Zukunft auch für den Menschen eng: Ohne Befruchtung keine Frucht und keine Ernten. Pro Tag kann eine Biene bis zu 9000 Blüten bestäuben. Neben den wichtigen ökologischen Aspekten gibt es noch eine psychische. In ihrem Garten hat Andrea Jacobson Blühinseln angelegt. „Ich finde es jetzt viel erholsamer, wenn ich dort sitze und um mich brummt und summt es“, sagt sie. Es ist richtig viel los.“