Nach Einschätzung von Stephan Jentgens, Diözesancaritasdirektor im Bistum Aachen, lehrt die Flut, die vor einem Jahr auch Städte und Gemeinden im Bistum Aachen heimgesucht hat, „dass wir uns alle miteinander auf künftige Krisen besser einstellen müssen“. Die Caritas werde dazu ihre Erkenntnisse gerne beitragen, sagte Jentgens in Aachen.
Für Stephan Jentgens ist die Zusammenarbeit von Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege, wie sie im Fluthilfezentrum Schleidener Tal in Gemünd praktiziert wird, ein Paradebeispiel, wie es bei künftigen Krisen laufen kann. Arbeiterwohlfahrt, Caritas, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie, Malteser und die Kreisverwaltung arbeiten dort mit unterschiedlichen Kompetenzen Hand in Hand. „Wo eine solche Kooperation nicht möglich ist, möchte ich bezogen auf die verbandliche Caritas im Bistum Aachen die Kompetenzen im Verband stärken und einbeziehen“, sagt Jentgens. Zum Beispiel bei der psychosozialen Begleitung von traumatisierten Betroffenen aus Stolberg und Eschweiler. „Die freie Wohlfahrtspflege insgesamt sehe ich durch die sozialen und wirtschaftlichen Dominoeffekte der Flut herausgefordert, zum Beispiel bei Themen wie Wohnungslosigkeit, Schulden, Familien- und Paarproblemen.“
Jentgens möchte auch mit der Politik und der Verwaltung die Fluthilfe besprechen. Aus seiner Sicht sei eine Strukturförderung durch die öffentliche Hand notwendig. Auch die Caritas im Bistum Aachen sei in Vorleistung gegangen, habe Personal eingesetzt, ohne dass es öffentlich gefördert worden sei. Die Freie Wohlfahrtspflege habe insgesamt den Vorteil, dass sie vor Ort gut vernetzt sei und schnell Hilfe organisieren könne. Häufig übernehme sie auch Tätigkeiten, die eigentlich bei den Kommunen lägen.
Jentgens fordert auch ein Überdenken der staatlichen Hilfen, vor allem was die Zugänge zu diesen Hilfen angehe. Unbürokratisch und einfach sei da gar nichts. Gerade Menschen ohne akademische Bildung oder mit sprachlichen Barrieren seien am Bildschirm oder auch im Gespräch mit kommunalen Gesprächspartnern überfordert. Zwischen den Zeilen habe er aus den Berichten der Caritasmitarbeitenden auch noch ganz andere Wahrnehmungen wie Ungleichbehandlung von Menschen mit Migrationshinter- grund auch durch Organisationen wie Versicherungen herausgehört.
Neben diesen sozialen Verwerfungen sieht Stephan Jentgens mit großer Sorge die strukturellen Verwerfungen. Vielfach hat die Flut neben Privatwohnhäusern auch medizinische und soziale Infrastruktur beschädigt und zerstört, KiTas, Altentreffs, Arztpraxen, Geschäfte, um nur einige Beispiele zu nennen. Der Wiederaufbau dieser Infrastruktur sei zum Beispiel in Stolberg weiter ein großes Thema. „Dass dort quartiersbezogen daran gearbeitet wird, mit der örtlichen Bevölkerung und den Initiativen und Vereinen, halte ich genau für den richtigen Ansatz. Das Modell sollte in andere Kommunen getragen werden, soweit nötig. Dabei wird die verbandliche Caritas gerne ihre Erfahrungen in Partnerschaft mit den Betroffenen einbringen“, sagt Jentgens.
Das Wissen, das nun die Mitarbeitenden der Caritas erworben haben, will Jentgens sichern, auch strukturell. „Die dichte Abfolge von Coronakrise, Flut und der Fluchtbewegung aus der Ukraine lehrt, dass es eine rasche Reaktionsfähigkeit und hohe Flexibilität aller Beteiligten braucht, um betroffenen Menschen bestmöglich zu helfen und die eigenen Strukturen und Kompetenzen gut einzubringen“, sagt Jentgens. (cba)