Bischof Helmut Dieser äußerte sich in der vergangenen Woche zum Missbrauchsgutachten im Erzbistum München und Freising und dem Umgang der Kirche mit homosexuellen Menschen. In beiden Fällen drängt er auf ein Schuldbekenntnis der Verantwortlichen.
Mit klaren Worten hat in der vergangenen Woche der Aachener Bischof bundesweit Aufmerksamkeit erzeugt. In seiner Predigt zur Sonntagsmesse beschäftigte er sich mit dem Gemütszustand der Gläubigen in einer Zeit der aufrüttelnden Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens, in dem es auch um das Verhalten des emeritierten Papstes Benedikt XVI. ging, der von 1977 bis 1982 Erzbischof von München und Freising war. In seinem Verantwortungsbereich waren Priester Täter, so ist es im Gutachten veröffentlicht. Sie machten sich gegenüber Kindern schuldig. Es geht um 42 Fälle. Bischof Dieser zitiert hierzu den Apostel Paulus: „Der Leib besteht nicht nur aus einem Glied, sondern aus vielen Gliedern, die aber bilden alle einen Leib. […] Wenn ein Glied leidet, dann leiden alle mit.“
„Mich bestürzt und macht traurig, aber auch wütend, wie unabsehbar das ganze Ausmaß der Einzelschicksale ist, und damit untrennbar verbunden auch das Ausmaß von Versagen der Führung, die bei den Bischöfen und ihren Verwaltungen lag und liegt. Und darüber hinaus die Un-fähigkeit, die eigene Verantwortung bei sich selbst zu spüren und Schuld einzugestehen und Vergebung zu erbitten oder wenigstens Bedauern und Schmerz über den eigenen Anteil an der Tragödie auszudrücken. Dass auch der frühere Papst Benedikt das noch nicht getan hat, darf nicht sein letztes Wort dazu sein!“
Damit bezieht sich Bischof Helmut Dieser auf Aussagen des emeritierten Papstes Benedikt XVI., der angegeben hatte, sich an eine Sitzungsteilnahme und Gespräche über einen Missbrauchstäter in seinem Erzbistum nicht erinnern zu können. Inzwischen hat der 94-Jährige durch seinen Privatsekretär Georg Gänswein diese Aussage korrigieren lassen. Das ist die Formalie. Bischof Helmut fordert aber mehr: Dass Verantwortung übernommen wird, ein Bekenntnis abgelegt, Schuld eingestanden wird. Ausflüchte, Rückzug auf Nichtwissen seien angesichts der Taten inakzeptabel. „Denn deswegen wurden doch damals Täter nicht gestoppt und Kinder weiter von ihnen missbraucht!“, sagte Bischof Dieser ganz deutlich. „Auch Bischöfe, auch ein ehemaliger Papst können schuldig werden, und in bestimmten Situationen müssen sie das auch öffentlich bekennen, nicht nur im Gebet vor Gott oder im Sakrament der Beichte.“
Nicht um eine Verurteilung, um eine persönliche Positionierung des einzelnen Christen und damit auch seiner selbst geht es in der Predigt: „Ich bin nicht der Richter und spreche kein Urteil über andere. Wer keine Schuld bei sich sieht, der kann auch nicht dazu gezwungen werden. Aber die anderen können und müssen sich doch davon distanzieren dürfen!“
Für die Gläubigen beschwor Bischof Helmut Dieser die Kraft der Selbstkritik in der Kirche und die Kraft zu Reformen. „Und ich darf Ihnen sagen, dass ich solche Kräfte beim Synodalen Weg erlebe, bei den Themen, die wir dort diskutieren, und bei den Entschlüssen, die wir für unsere Kirche herbeiführen wollen.“
Der Aachener Bischof führt mit Birgit Mock gemeinsam den Vorsitz im Syndodalforum „Leben in gelingenden Partnerschaften“ des Synodalen Wegs. Bereits im vergangenen Sommer hatte er sich mit ihr in einem Doppel-Interview in der KirchenZeitung mit dem Thema Sexualmoral auseinandergesetzt und die Diskriminierung Homosexueller verurteilt. Damals formulierte Helmut Dieser: „Der Dialog mit ihnen darf nicht daran scheitern, dass sie mal gehört haben, dass die Kirche Homosexuelle diskriminiert. Ich muss glaubhaft sagen können, dass das ein alter Hut ist.“
In einem aktuellen Interview mit der Kölnischen Rundschau ging der Bischof noch einen Schritt weiter und bekannte: „Homosexuelle wurden auch durch die Kirche abgewertet und kriminalisiert. Hier ist auch ein Schuldbekenntnis fällig. Daran arbeiten wir.“ Die sexuelle Orientierung sei eine Gabe Gottes und wörtlich: „Sie ist nicht zu hinterfragen, sondern sie muss in die Nachfolge Gottes geführt werden. Also muss es möglich sein, dass homosexuelle Menschen eine Paarbeziehung führen können in Liebe und Treue.“
Eindeutig sprach sich Bischof Dieser für eine Segnung gleichgeschlechtlicher Paare aus. „Wenn wir in Deutschland homosexuelle Partnerschaften segnen, müssen es nicht alle anderen auch so machen, aber wir hoffen auf Anerkennung, dass unser Weg katholisch ist.“ Bislang hat Bischof Dieser es der Verantwortung und „Gewissensfrage der einzelnen Seelsorger“ überlassen, homosexuelle Partnerschaften zu segnen. Grundsätzlich geht es ihm nach Aussagen im Kölner Interview darum, eine gemeinsame Entscheidung herbeizuführen. „Ich möchte aber weiterkommen und eine Grundlage haben, auf der ich das in unserem Bistum für möglich erklären kann.“ Dazu ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Reformprozess des Synodalen Weges notwendig, die dann allerdings noch den päpstlichen Segen braucht. Umgekehrt könne Rom „nicht so tun, als sei ein solcher Beschluss nichts“.
Dieser hofft zudem, dass die deutschen Katholiken entsprechende Beschlüsse in den weltweiten synodalen Prozess einbringen können, den Papst Franziskus ausgerufen hat.
Auch in Richtung Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki positionierte sich der Aachener Bischof. Er erteilte der Haltung eine Absage, sich nicht einer Mehrheitsentscheidung der Bischöfe anschließen zu wollen. „Die Spaltung könnten wir auch bekommen, wenn wir nichts tun. Wenn nichts geschieht, sind wir endgültig weg.“
In der Sonntagspredigt, die als Fazit gelten dürfte, hatte Bischof Helmut Dieser formuliert: „Die Freude am Herrn stiftet also auch eine Kraft zur Kritik, zur Unterscheidung und zur Entscheidung.“