„Krisen sind nicht der Feind des Glaubens und auch nicht der Feind Europas.“

Bischof Helmut Dieser würdigt Karlspreisträgerin Ursula von der Leyen und fordert Freilassung von Maria Kalesnikava.

„Um ein unabhängiges Europa aufzubauen, müssen wir unsere Fesseln abwerfen. Wir müssen uns von der Angst vor Veränderungen befreien, die uns in der Vergangenheit bisweilen gelähmt hat“, sagt Ursula von der Leyen. (c) Bistum Aachen/Christian van t'Hoen
„Um ein unabhängiges Europa aufzubauen, müssen wir unsere Fesseln abwerfen. Wir müssen uns von der Angst vor Veränderungen befreien, die uns in der Vergangenheit bisweilen gelähmt hat“, sagt Ursula von der Leyen.
Datum:
5. Juni 2025
Von:
Aus der Kirchenzeitung, Ausgabe 19/2025

Nach Ansicht des Bischofs von Aachen, Dr. Helmut Dieser, sind Krisen nicht der Feind des Glaubens und auch nicht der Feind Europas, sondern fordern uns im Glauben zu unseren besten Kräften und Willensbezeugungen heraus. 

„Gegen all das hilft eine bessere, eine mutige und kommunikationsstarke neue Politik“, betonte Dieser in seiner Predigt vor der Verleihung des Karlspreises an die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen.

Bischof Dieser würdigte im Aachener Dom Willenskraft, Mut und Klugheit der Karlspreisträgerin von der Leyen und rief alle Karlspreisträger auf, sich mit dem Direktorium des Karlspreises für die Freilassung der in Belarus inhaftierten Karlspreisträgerin von 2022, Maria Kalesnikava, einzusetzen.

In einem Interview aus dem vergangenen April habe von der Leyen die Krisenphänomene aufgelistet, mit denen sie seit ihrem Amtsantritt konfrontiert worden sei. „All das aber geschah und geschieht vor dem Hintergrund tiefgehender Selbstzweifel Europas und des gesamten Westens an sich selbst“, urteilte Dieser. „Die Narrative der Gründungsgestalten der Europäischen Union, die Narrative der Wertegemeinschaft zwischen Amerika und Europa werden zwar immer wieder neu erzählt, doch das genügt nicht. Wir sind in eine Zeit danach geraten, und da braucht es neue Bewährungen und Weiterentwicklungen des Gründungscharismas.“ Willenskraft, Mut und Klugheit seien gefordert, und das wolle der Karlspreis der Preisträgerin attestieren. 

„Europa ist ein Europa der Krisen“

Bischof Helmut Dieser und Dompropst Rolf-Peter Cremer empfingen die Gäste: Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen, Ministerpräsident Marcel Wüst und König Felipe von Spanien . (c) Bistum Aachen/Christian van t'Hoen
Bischof Helmut Dieser und Dompropst Rolf-Peter Cremer empfingen die Gäste: Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen, Ministerpräsident Marcel Wüst und König Felipe von Spanien .

Der Bischof unterstrich, dass Europa ein Europa der Krisen sei. Jean Monnet, der Karlspreisträger von 1953, habe das Wort geprägt, dass Europa in Krisen geschmiedet werde. Ursula von der Leyen habe selbst gesagt, Europa sei an jeder Krise gewachsen und stärker geworden und habe einen Teil der großen Antworten geliefert. Auch habe Europa die Krisen immer als Team bewältigt. Bischof Dieser fügte hinzu, dass Europa zu den „großen Antworten“ und zum Teamwork auch deshalb fähig sei, weil es aus dem charismatischen Erbe des Evangeliums schöpfe „und weil die Gemeinschaft seiner Völker und Kulturen die christliche Gestalt von Vergemeinschaftung, von Einheit und Vielfalt, von Differenz und Zueinander von Kirche und Staat, die Idee der Würde des einzelnen Menschen in seiner Gottebenbildlichkeit und der Verantwortung und Rechenschaftspflicht aller für das Gemeinwohl eingeübt hat in jahrtausendelangem oft auch blutigem Ringen von Trial and Error seit der Epoche Karls des Großen bis heute, woran der Karlspreis erinnert“.

„Die Demokratie selbst ist krisenanfällig“

Dabei räumte der Bischof ein, dass die Demokratie selbst krisenanfällig sei – nicht erst durch Populismus und Extremismus, durch aggressive Autokratien und das Unterlaufen der eigenen Errungenschaften, durch Angriffe auf die Gewaltenteilung oder die Pressefreiheit oder durch eine in jeden Winkel vordringende Fake-Propaganda, sondern auch, weil sie mehr verspreche, als sie halten könne. Von der Politologin Barbara Zehnpfennig stamme das Wort: „Die große Schwäche der Demokratie ist die Grenzenlosigkeit ihres Versprechens“. „Damit meint sie: Die Demokratie will, dass alle frei seien, und sie will, dass alle gleich seien“, erklärte Dieser. „Doch immer neu geraten diese Versprechen in Konkurrenzen, so dass Abstriche gemacht werden müssen an der einen oder der anderen Seite.“

Gleiche Voraussetzungen  ließen sich nicht vollkommen herstellen, Transparenz müsse zum Schutz Einzelner eingeschränkt werden, und Informationen drängen nicht zu allen durch, die politisch Verantwortlichen erschienen als abgehoben oder in Eigeninteressen gefangen. „Alles breite Einfallstore, um die Demokratie selbst schlecht zu reden“, hielt Dieser fest.