Kraft und Hoffnung

Der Aachener Dom umfängt mit Ruhe und Wärme. Er bietet eine Auszeit vom Alltag inmitten des Trubels der Kaiserstadt.

(c) Domkapitel Aachen/Andreas Steindl
Datum:
11. Apr. 2025
Von:
Aus der Kirchenzeitung, Ausgabe 15/2025 | Sabine Rother

Im Heiligen Jahr rückter als einer der drei besonderen Pilgerorte im Bistum Aachen in den
Mittelpunkt. Was macht seine Faszination aus? Eine Spurensuche.

Die Welt bleibt für eine Weile jenseits des Bronze-Portals und der schmalen hölzernen Pendeltüren, durch die nur immer eine einzelne Person den Aachener Dom betreten oder verlassen kann. Ein besonderer Ort, eine Insel im Alltag mit inzwischen 1226-jähriger Geschichte.

Was ist hier möglich? Klar, eine historische Erkundung. Aber auch das – selten ausgesprochene persönliche Aspekte: Der Dom umfängt jeden mit Wärme und Ruhe, bietet eine Pause vom Gedankenkarussell, beruhigt, ob nun der Blick hinauf wandert zur leuchtenden Pracht der Glasfenster, zum Funkeln der Mosaiken, zum festlich gekleideten
Gnadenbild oder sich im Halbdunkel verliert.

Wo sind seine Kraftorte? Das haben wir gefragt. Das Heilige Jahr, das Papst Franziskus unter dem Motto „Pilger der Hoffnung“ mit Öffnung der Heiligen Pforte im Petersdom
ausgerufen hat, wird im Bistum Aachen mit Gottesdiensten und spirituellen Angeboten gefeiert.

Drei Pilgerorte stehen im Fokus: der Aachener Dom, die Basilika St. Potentinus im Kloster Steinfeld sowie die Basilika St. Vitus in Mönchengladbach. Das Motto rundum: „Pilger der Hoffnung“. Viele Menschen finden im Aachener Dom diese Hoffnungs- und Kraftorte, manche täglich, manche bei den Messen, andere wieder in Situationen, in denen sie Beistand brauchen, wenn Entscheidungen anstehen, ein Mensch krank ist oder stirbt – wenn im Leben „da draußen“ einfach alles zu viel wird, man sich neu ordnen möchte, indem man eine Kerze am Gnadenbild oder in der Nikolauskapelle bei dem Bild der „Sieben Schmerzen Mariens“ entzündet.

„Mein Kraftort, an dem ich immer wieder neue Hoffnung empfinde, ist der Hauptaltar“, sagt der Aachener Bischof Helmut Dieser. Und da gehe es ihm nicht um das Gold der „Pala d’Oro“. Beim Blick auf die schlichten Marmorplatten, die aus Jerusalem stammen sollen,
auf die eingeprägten zahlreichen Graffiti, die viele Menschen in Jahrhunderten eingeritzt haben, werde er still. „Ich denke dabei an den Ursprung unseres Glaubens, an die Geschichte Jesu. Er ist der Ursprung unserer Hoffnung.“

Zeichen der Beständigkeit

Besondere Pilgerangebote sollen in diesem Sommer die Gemeinschaft fördern, sagt Dompropst Rolf-Peter Cremer. Er selbst ist aktiv und nimmt Menschen mit auf eine ungewohnte Reise in den Dom – per Taschenlampen-Führung. Das Anfang des Jahres ausgelegte Buch, in dem Jedermann Sorgen, Hoffnungen und Wünsche aufschreiben
kann, ist bereits zum dritten Mal erneuert worden: „Für den Gottesdienst nehme ich regelmäßig Gedanken aus den Büchern auf und integriere sie in Gebete“, verrät er.

Der Dom als Kraft- und Hoffnungsort? „Für mich wird es emotional, wenn ich auf dem Dach der Chorhalle bin, ganz nach vorn gehe und die Friedenskapelle sowie das Friedenskreuz in Aachen-Haaren sehe, dort war ich Kaplan“, gesteht Cremer. Der Dom ist für ihn ein Zeichen der Beständigkeit und Geborgenheit. „Man braucht manchmal einen Ort außerhalb der vier eigenen Wände“, meint Cremer.

Trotz täglich neuer Sorgen lässt sich auch Dombaumeister Jan Richarz nicht davon abhalten, im Dom Kraft zu finden, selbst dann, wenn Richarz mit Schäden ringt. Sein Lieblingsort, wo er gern allein durchatmet: die Uhren-Galerie. „Dort oben ist man weit weg von der Stadt, von allem, das tut gut.“ Hoch hinauf führt es gleichfalls Adi Radermacher (59), als Meister im Schmiedeund Schlosserhandwerk sein Mitarbeiter in der Dombauhütte und seit 45 Jahren mit dem Dom vertraut. Der Aachener mag es fern vom Trubel und meint: „Echte Andacht empfinde ich im Dachstuhl des Doms, der stark nach Holz duftet und mich unglaublich fasziniert.“

Ist der Dom für Birgitta Falk, Leiterin der Domschatzkammer, und für Max Kerner, Professor für Mittelalterliche Geschichte und forschender Historiker in Sachen Dom, mehr als ein „Arbeitsraum“? Unbedingt. Beide entdecken sie immer wieder Neues, Schönes, und beide haben sie einen Ort, an dem sie zur Ruhe kommen: die Ungarnkapelle, der helle Raum, der Betenden vorbehalten ist, die die Tür hinter sich schließen. „Die Stille ist wunderbar, man hört, wie die Welt vorbeifließt, der Raum ist so geordnet, sogar das Licht durch die Fenster von Maria Katzgrau“, nimmt sich Birgitta Falk Zeit. Und Kerner stellt fest: „Der Dom ist mehr als ein Raum.“ Er wird darin nachdenklich, fragt sich, ob der Bau der Jahrhunderte weiterhin ein „Symbol für das Christentum als bestimmende Kraft bleibt“.

Stille suchen bisweilen im turbulenten Getriebe der Dombesucherinnen und -besucher die Frauen und Männer, die täglich am Eingang stehen und auf Sicherheit achten. „Dass der
Dom Hoffnungs- und Kraftort ist, wissen wir aus täglichen Gesprächen“, berichtet Willi Radel, Leiter der Domschweizer. Besondere Anziehungskraft übe das Gnadenbild aus. „Manchmal fragen uns Menschen sogar, wie sie beten sollen“, sagt Radel. „Dann erklären wir ihnen, dass sie mit Gott frei sprechen können.“ Ein solcher Gast ist Markus Mohren (60), der eines Tages ratlos und ohne Geld vor der Kerzenschachtel steht und mit Radel
ins Gespräch kommt. Er gibt ihm eine Aufgabe – täglich darf Mohren drei Kerzen für den Ritter Chorus (1285-1356) auf dem Leuchter in der Bischofskapelle entzünden. Gerhard Chorus gilt als erster Bürgermeister und als Wohltäter der Stadt. In der Vorhalle des Doms
war einmal sein Grab, aber das ist verschwunden. „So hat er ein Gedenken“, lächelt Radel. Er persönlich findet seinen Kraftort in der „Kaiserloge“, dem Raum im Hochmünster
hinter dem Thron. Radel: „Ein erhabener Blick! Ich spüre, wer hier über allem steht.“

Ein Gedanke, den Clementine Louven (88), regelmäßige Besucherin des 7-Uhr-Gottesdienstes, ihr Leben lang bewegt und den sie im Dom auffrischt. Was heute als „Haus Hörn“ in Aachen bekannt ist, eine Betreuungseinrichtung für alte Menschen und ein Hospiz, hat sie mit aufgebaut und geleitet. „Da braucht man Kraft“, erinnert sie sich heute an ihren Einsatz für Nähe und Menschenwürde, an ungezählte Gespräche mit Bewohnern und Team-Mitgliedern. „Der Dom war für mich stets wichtig, ohne den Herrgott geht nichts.”

Was Thomas Bürgerhausen (59), Leiter des kirchlichen Weltladens „weltweit“, immer wieder verblüfft: Menschen, die nach dem Dombesuch zu ihm oder einer seiner 59 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen kommen und vom Dom schwärmen, von Schönheit, magischer Ausstrahlung, Kraft, die sie nie vermutet hätten.

Die Reaktion der Dombesucher fällt gleichfalls Buchhändlerin Nina Bursche (46) aus Roetgen auf, Mitarbeiterin des Einhard Verlages in der Dom-Buchhandlung. „Die Menschen kaufen ein Souvenir oder einen Domführer, aber sie haben vor allem Redebedarf. Sie können es oft nicht fassen, dass der Dom mitten in der Stadt eigentlich nicht groß ist, aber solche Wirkung hat“, berichtet sie, die gern morgens früh eine
Kerze anzündet – oder nach einem hektischen Tag.

Gäste in der Stadt: Ihnen vermittelt Stadtführerin Regina Poth (70), die gleichfalls Dom-Führerin und Lektorin ist, nicht nur Wissen um den Dom und seine Geschichte, sondern die Magie des Ortes. Wer dem nachspüren möchte, was sie fasziniert, der sollte sich auf einen Stuhl im Sechzehneck, ganz links, ganz vorn setzen: „Man blickt auf Strahlenkranzmadonna, Marienschrein und Hauptaltar, genau auf die Stelle, an der Oktogon und Chorhalle ineinander übergehen“, beschreibt sie. „Dort ist mein Hoffnungsort.“

Ein Stück Heimat im Bistum

Was sind ihre Hoffnungsorte? Das haben wir Menschen rund um den Aachener Dom gefragt. So manchen Ort werden Sie vielleicht kennen, andere sind vermutlich eher weniger bekannt.

(c) Domkapitel Aachen

Nils Arlans, Ministrant

Mein Hoffnungsort ist im Chorgestühl. Dort finde ich Ruhe. Von hier aus habe ich entdeckt, dass es schwarz-weiße Fenster gibt. Der Dom ist ein Stück Heimat für mich.

(c) Domkapitel Aachen

Noemi Preisler, Dombauhütte

Der Blick ins Kuppelmosaik begeistert mich, die hohe Baukunst, die Verbindung von karolingischem und gotischem Teil. Da blicken wir auf hochentwickelte Bautechnik, vielleicht sogar auf verlorenes Wissen. Welterbe bedeutet Völkerrecht, Erbe der Menschheit; das sind hochpolitische Entscheidungen. Und die Weltlage ist angespannt. Auch in diesem Sinne ist
der Dom ein Hoffnungsort.

(c) Domkapitel Aachen

Thomas Bürgerhausen, Weltweit am Dom

Menschen, die nach dem Dombesuch zu uns kommen, schwärmen von Schönheit, magischer
Ausstrahlung und Kraft, die sie nie vermutet hätten. Da sind wir so ein bisschen seelsorgerische Außenstelle als Dom-Nachbarn. Mit dem Dom verbindet mich vieles –
unter anderem die Erstkommunion mit meinem Bruder, die der damalige Prälat Erich Stephany am Altar am Kaiserthron möglich gemacht macht. Mein Kraftort: „Das Gnadenbild
ist meine Krafttankstelle!“

Pilgern mit Bischof Helmut Dieser

Bischof Dr. Helmut Dieser lädt zu zwei Pilgertagen im Heiligen Jahr ein. Auch er selbst wird mit pilgern: „Lassen Sie uns gemeinsam einen Weg gehen, uns begegnen und austauschen.
Ich möchte mit Ihnen ins Gespräch kommen über ihren Glauben, Ihr Leben, über das, wie Sie die Welt sehen und Ihre Hoffnungen“, betont der Aachener Bischof.

Mit Blick auf die Pilgertage im Heiligen Jahr liegt ihm besonders das Bußsakrament am Herzen: „Ich wünsche mir, dass Menschen wieder das Befreiende und Ermutigende dieses Sakraments erfahren. Die Beichte öffnet einen Hoffnungsort auf Gott hin. Sie zeigt mir eine neue Richtung für meine Fragen: Wohin gehe ich mit dem in mir, was gegen mich spricht? Ich bin überzeugt: Jesus zieht das Gift in mir aus diesen inneren Stimmen heraus!“

Die Pilgertage finden statt am Samstag, 24. Mai, in Steinfeld, und am Samstag, 30. August, in Mönchengladbach. Eine Anmeldung ist ab sofort möglich.

Weitere Infos: www.bistum-aachen.de/heiligesjahr

Der Aachener Dom – ein HOffnungsort im Heiligen Jahr

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