Klare Worte und Dialog gefragt

Alarmierender Anstieg der Polizeigewalt bei Demonstrationen im Partnerland Kolumbien

In vielen Städten Kolumbiens regt sich Protest gegen  soziale Missstände. Mancherorts wird er gewaltsam unterdrückt. Die Situation ist nach Einschätzung von Beobachtern von einer gefährlichen Eskalation geprägt. (c) Ismael Paredes
In vielen Städten Kolumbiens regt sich Protest gegen soziale Missstände. Mancherorts wird er gewaltsam unterdrückt. Die Situation ist nach Einschätzung von Beobachtern von einer gefährlichen Eskalation geprägt.
Datum:
11. Mai 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 19/2021 | Thomas Hoogen

Zunehmende Gewalt vor allem durch staatliche Sicherheitskräfte bei landesweiten Demonstrationen überschattet Kolumbien. Das besorgt auch die Menschen und Organisationen, die sich im Bistum Aachen für die Partnerschaft mit dem lateinamerikanischen Land engagieren.

Anlass für die am 28. April begonnenen, überwiegend friedlichen Proteste war eine Steuerreform, die die Mehrwert- steuer auf Dienstleistungen und Waren des täglichen Bedarfs ausgedehnen sollte. Die Mehrausgaben sollten vor allem denen aufgelastet werden, die ohnehin um das tägliche Überleben kämpfen, besonders zu Pandemiezeiten, während der Finanz- und der Unternehmenssektor steuerfrei bleiben sollte. Zur inzwischen zurückgezogenen neuen Steuer gehörte auch eine Abgabe auf Bestattungen – ein makabres Zeichen mitten in der dritten Pandemiewelle mit steigenden Todesfallzahlen.

Auch wenn der Versuch der kolumbianischen Regierung, die Steuerreform durchzusetzen, an der Entschlossenheit der Demonstrierenden scheiterte, nehmen die sozialen Unruhen mit Eskalation der Gewalt weiter zu. Vom 28. April bis 3. Mai meldete die Nichtregierungsorganisation Temblores 1443 Fälle von Polizeigewalt: 31 Todesopfer, zehn Opfer sexueller Gewalt, 21 Opfer von gezielten Augenverletzungen, 77 Schussverletzungen, 216 Opfer körperlicher Gewalt, 814 willkürliche Festnahmen von Demonstranten und 239 andere gewalttätige Übergriffe. Die aktuelle Polizeigewalt findet zeitgleich mit der Zunahme von Gewalt durch illegale bewaffnete Gruppen gegen Teile der Bevölkerung, sozial Engagierte und Unterstützer des Friedensabkommens von 2016 statt. Die meisten dieser Straftaten werden nicht aufgeklärt.

Angeheizt wurde die Lage auch durch Kurznachrichten von Ex-Präsident Álvaro Uribe, dem eigentlichen Wortführer der Regierungspartei. In einem Tweet vom 30. April äußerte er sich zu den Demonstrationen: „Lassen Sie uns das Recht der Soldaten und Polizisten auf den Einsatz ihrer Waffen unterstützen, um ihre Integrität zu verteidigen und Menschen und Eigentum vor kriminellen Handlungen und Vandalismus zu schützen.“ Solche Botschaften, eine Stigmatisierung Demonstrierender in regierungsfreundlichen Medien und der Befehl von Präsident Duque, das Militär in die Städte zu holen, alarmieren Menschenrechtsorganisationen. Bundestagsabgeordnete aus vier Parteien haben in einem Brief an Präsident Duque die Menschenrechtsverletzungen und die Missachtung staatlicher garantierter Rechte kritisiert.

In Cali, wo es bei Ausschreitungen zu besonders schweren Verwüstungen gewaltbereiter Gruppen kam, hat der Erzbischof eine humanitäre Kommission ins Leben gerufen, um die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten in der abgeriegelten Stadt wiederherzustellen und durch Dialog eine Lösung des Konflikts herbeizuführen. In ihrer öffentlichen Erklärung vom 5. Mai mit dem Titel „Gewalt ist keine Lösung, sie produziert nur Leiden und Tod“ verurteilt die kolumbianische Bischofskonferenz alle ungesetzlichen Gewaltakte. Für den 7. Mai wurde zu einem landesweiten Gebet für Frieden und Versöhnung aufgerufen.

Der Autor ist Referent für weltkirchliche Aufgaben im Bischöflichen 
Generalvikariat Aachen.