Kirche ist keine alternde Diva

Der bisherige Generalvikar Thorsten Aymanns über die Freiheit des Katholischen, zu viel Selbstbeschäftigung und den Mut zur Veränderung

Thorsten Aymanns wurde am 28. August 1970 in Mönchengladbach geboren und 1998 in Aachen zum Priester geweiht. (c) Bistum Aachen/Andreas Steindl
Thorsten Aymanns wurde am 28. August 1970 in Mönchengladbach geboren und 1998 in Aachen zum Priester geweiht.
Datum:
14. Aug. 2024
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 33-34/2024

Sieben Monate stand Thorsten Aymanns als Generalvikar an der Spitze der Bischöflichen Verwaltung im Bistum Aachen. Im Interview blickt der 53-Jährige auf Reformen, Leadership und Teamkultur.


Herr Aymanns, als Priester sind Sie seit mehr als 20 Jahren in verschiedenen leitenden Funktionen im Bistum Aachen verantwortlich. Mitte Januar haben Sie für eine Übergangszeit die Aufgabe als Generalvikar übernommen. Wie stark prägt Sie persönlich das Thema Veränderung?

Aymanns: Die Bereitschaft, sich selbst zu verändern, ist eine Grundvoraussetzung, um eine Kirche mitzugestalten, die in unserer Gesellschaft anschlussfähig bleibt. Dieser Spirit treibt mich täglich immer wieder neu an, auch wenn das Beharrungsvermögen innerhalb wie auch außerhalb unserer Reihen nicht gering ist. Dieses Spannungsfeld gehört aber dazu, das müssen wir aushalten. Religion trägt auch immer den Wunsch nach Beständigkeit in sich. Das ist auch eine Stärke unseres Glaubens.

 

Was bedeutet für Sie „katholisch sein“?

Aymanns: Katholisch ist der Inbegriff dessen, was wir unter einer allumfassenden und weltumspannenden Weite verstehen. Das Katholische trägt eine große Freiheit in sich, ohne in Verantwortungslosigkeit zu münden. Im Gegenteil. Verantwortung für sich selbst und für andere zu übernehmen, ist bestimmend. Katholisch sein bedeutet, zu integrieren und nicht zu spalten. Das Befreiende liegt darin, dass Gott alle Menschen in den Blick nimmt. Das ist das Gegenteil von sektiererischem Denken.

 

Im Umfeld der Eröffnungsfeier zu den Olympischen Spielen in Paris gab es gerade aus der katholischen Kirche heftige Kritik an einer vermeintlichen Inszenierung und Verhöhnung des Abendmahls, weil queere Menschen rund um einen langen Laufsteg saßen. Gehören queere Menschen nicht an den Tisch des Herrn?

Aymanns: Die Kunst ist frei und lebt von unterschiedlichen Erkenntnisebenen. Insofern kann ich die Aufregung überhaupt nicht nachvollziehen. Kirche sollte nicht wie eine alternde Diva reagieren, sondern der ganzen Sache eher mit etwas Humor, Lernbereitschaft und abgeklärter Weisheit begegnen. Und was den Tisch des Herrn anbelangt: An diesem sind alle Menschen willkommen – unabhängig von ihrer 
sexuellen Identität oder Lebensform. 

 

Die Klagen über das Ende der Volkskirche nehmen kein Ende. Warum ist die katholische Kirche heute in unserer individualisierten Bürgergesellschaft weiterhin relevant, vielleicht wichtiger denn je?

Aymanns: Zuhören zu können, ist eine Eigenschaft, die uns immer stärker verloren geht. Das erleben wir in unserer eigenen Institution, wenn ich an so manchen ideologischen Streit denke, aber vor allem in der öffentlichen Debatte. Binnen weniger Tage, nein Stunden, werden politische Themen hochgejazzt, findet eine unermessliche Polarisierung statt, die den notwendigen Dialog unmöglich macht. Es geht oftmals nicht mehr um den Austausch von Argumenten, sondern um das auch politische Niedermachen eines vermeintlichen Gegners. An dieser Stelle können und müssen wir als Kirche ein Zeichen setzen, uns einmischen und eine Plattform für Verständigung bieten. 

Jeden Tag neu in die Welt einbringen

Sie halten nichts von der Idee des „heiligen Rests“, der nur noch Gleichgesinnte zusammenbringt?

Aymanns: Nein. Geht hinaus in die Welt und bleibt nicht hinter verschlossenen Türen sitzen, heißt es bei Jesus und in der kirchlichen Umsetzungsstrategie dann bei Paulus. Ich darf mich also nicht verkriechen und in exklusiven Kreisen mein Wohl suchen oder meine eigene Spiritualität bauchpinseln. Jeder von uns muss sich jeden Tag neu in diese Welt einbringen, in der wir leben. 

 

Heute bei dir, der Veränderungsprozess im Bistum Aachen, hat mehr als 5000 Menschen mobilisiert, sich in der Neuausrichtung einer Kirche von morgen zu engagieren. Welche Zwischenbilanz ziehen Sie?

Aymanns: Wir haben dank des riesigen Engagements von so vielen  haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden auf allen Ebenen unseres Bistums viel bewegt. Aber es liegt  auch noch eine enorme Wegstrecke vor uns, bis wir den Paradigmenwechsel hin zu Freiheit, Begegnung und Ermöglichung vollzogen haben. Das gilt für uns selbst und mit Blick auf die Menschen, für die und mit denen wir Kirche sind oder werden. 

 

Sind Sie mit dem bisher Erreichten zufrieden?

Aymanns: Natürlich könnten wir weiter sein. Mich stört, dass wir uns wirklich mit großer Akribie zu stark mit uns selbst beschäftigen, während sich die gesellschaftlichen und weltpolitischen Themen, die mir große Sorgen bereiten, zuspitzen. Für Außenstehende wirken wir wie eine überforderte Selbsthilfegruppe bei der Bearbeitung gegenseitig zugefügter Verletzungen. Als  Papst Franziskus nach seiner Wahl von der Kirche als Feldlazarett sprach, meinte er eindeutig etwas anderes. Dies können wir nur überwinden, wenn wir an den vielfältigen Orten von Kirche die wahre Kraft entfalten und uns nicht ständig mit Strukturfragen beschäftigen. 

 

Ob es Kritikern gefällt oder nicht, der Priester hat allein kirchenrechtlich eine Sonderstellung in der Leitung. Löst das künftige Probleme und hatten Sie auch schon einmal selbst Zweifel an Ihrer eigenen priesterlichen Identität?

Aymanns: Heute habe ich selbst ein ganz anderes Priesterbild als nach meinem Studium. Es bereitet mir schon Sorge, dass es auch bei uns noch Tendenzen gibt, die Rolle des Priesters ganz im Sinne des 19. Jahrhunderts zu überhöhen. Wir müssen uns konstruktiv die Frage stellen: Welche Priestertypen brauchen wir? Priester und alle anderen Christen brauchen ein dynamisches Miteinander im Sinne des gemeinsamen Auftrages. 

 

Also eine neue Augenhöhe?

Aymanns: Bei all dem tragen wir als Kirche auch eine Verantwortung für die Priester und alle anderen Mitarbeitenden, dass sie in allen Bezügen Mensch sein und bleiben dürfen. Es ist nicht die Aufgabe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, etwas länger aufrechtzuerhalten, was ohnehin keine Zukunft hat. Gerade in dieser Frage brauchen wir die Solidarität von Leitung und Basis. Das ewige Flicken alter Schläuche war jedenfalls auch nicht die Sache Jesu. 

Relevanz und Reichweite

Im modernen Management ist viel von Leadership die Rede. Teamführung, Selbstverantwortung und eine sinnstiftende Zielorientierung dürfte auch Mitarbeitende im großen Projekt Kirche motivieren? Ist das Bistum Aachen da auf einem guten Weg?

Aymanns: Leitung heißt für mich in keinem Fall, alles selber machen und entscheiden zu wollen. Delegation, Vertrauensvorschuss, die Arbeit im Team und Vernetzung der Beteiligten auch quer zu den Strukturen einer Organisation sind unerlässlich für ein zielführendes, erfolgreiches und für alle Beteiligten sinnstiftendes Handeln. Wir brauchen auf allen Ebenen sicher mehr unternehmerische Verve und Zielorientierung. Nicht im Sinne einer Gewinnmaximierung, sondern unter der Fragestellung: Was sind Motivation und Ziel unseres Handelns? Wen wollen wir erreichen? Ist unser Angebot relevant? Und welchen Inhalt haben wir? Sind wir bereit, auch etwas zu riskieren und alte Wege zu verlassen? 

 

Dürfen dabei auch Fehler gemacht werden?

Aymanns: Zur Risikobereitschaft gehört vonseiten der Leitung immer auch ein 
gutes Maß an Fehlerfreundlichkeit. Sonst erstickt in der Angst vor dem Fehler jede Freude an der Kreativität.

Und es braucht unabdingbar die klassische Unterscheidung der Geister: Handle ich wirklich im Sinne des Evangeliums? Steht der Mensch wirklich im Mittelpunkt? Verantwortetes strategisches Handeln braucht stetige Selbstreflexion. Insbesondere in den vergangenen Monaten als Generalvikar habe ich mit der Entwicklung der Pastoralstrategie so ein neues Denken immer wieder gespürt. 

 

Nach Strategieabteilung und Position als Generalvikar. Wo werden wir Sie demnächst treffen?

Aymanns: Bevor ich das Generalvikariat mit vielen guten Erfahrungen verlasse, möchte ich nur noch einmal betonen, wie dankbar ich besonders für die große Loyalität und Kooperationsbereitschaft aller Mitarbeitenden gerade für die vergangenen sieben Monate in meiner Zeit als Generalvikar im Übergang und Umbruch bin. Wir haben gemeinsam einiges erreicht.

Jetzt gehe ich zunächst einmal in eine Auszeit und mache mich zu Fuß, mit dem Bus und Schiff auf den Weg, Kroatien zu entdecken. Und dann komme ich frisch gestärkt und hoffentlich mit einem etwas aufgeräumten Kopf als Priester in einen Pastoralen Raum ins Bistum Aachen zurück. 

Das Gespräch führten Marliese Kalthoff und Anja Klingbeil.

Ganz persönlich

(c) Bistum Aachen

Ihre Lieblingsposition in der Kirche?
Mit dem Funkmikro im Mittelgang beim Gottesdienst.

Was macht das Bistum Aachen für Sie aus?
Das Bistum Aachen ist meine Heimat, der Ort, an den ich gestellt bin, mit dem ich sozusagen verheiratet bin. Und das bin ich auch sehr gerne. In unserem Bistum ist nach wie vor ein offenes Wort möglich. Das ist viel wert. Gleichzeitig belasten mich natürlich die vielfältigen Spannungen in den notwendigen Veränderungsprozessen. 

Und wenn Sie einmal nicht im Dienst sind? 
Dann sitze ich gerne auf dem Fahrrad.

Printe oder Streuselbrötchen?
Printe.

Was ist Ihre größte Stärke?
Ich glaube, dass ich eine ziemlich hohe Resilienz habe. Auch wenn das vielleicht besser andere einschätzen sollten. 

Was ist Ihre größte Schwäche? 
Nein sagen.

Was ist Ihr größter Wunsch?
Im Moment ist das wirklich Frieden und Sicherheit in dieser Welt. Ich bin auch persönlich beunruhigt von der politischen Weltlage. 

Lieblingsmusik? 
Gemeinsamer Gesang.

Gibt es einen Lieblingsort im Bistum Aachen? 
Ein Ort, der in den vergangenen Jahren wichtig war: das Kloster der Schwestern vom armen Kinde Jesus auf der Michaelsbergstraße in Burtscheid. An diesem Ort habe ich einen geistlichen Ort gefunden. Dort hatte ich einen festen Punkt zur Feier des Gottesdienstes und gute  Kontakte zu den Schwestern dort. Wir durften uns gegenseitig ein Stück begleiten. Hier habe ich mich auch menschlich gut aufgehoben gefühlt.