Armin Laschet über die Bedeutung der Katholischen Soziallehre, Wirksamkeit gegen rechte Ideologie, über persönliche Auf und Abs und das Grundprinzip Hoffnung.
Herr Laschet, Sie waren Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, CDU-Kanzlerkandidat und sind nun Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Sie haben in ihrer Karriere viele Höhen erlebt, aber auch in Abgründe geblickt. Woher nehmen Sie die Kraft, in scheinbar aussichtslosen Situationen immer wieder neu anzutreten?
Armin Laschet: In meinem politischen Leben habe ich schon viele Ämter ausgeführt, so war ich nicht nur Integrationsminister- und Familienminister im Kabinett von Jürgen Rüttgers, war Ministerpräsident einer schwarz-gelben Landesregierung und Mitglied
des Europäischen Parlaments. Ich habe Wahlen gewonnen, als es niemand erwartete und Wahlniederlagen erlebt. Es ist wie immer im Leben: Es gibt Aufs und Abs.
Welche Bedeutung spielt für Sie der katholische Glaube?
Laschet: Anders als Johannes Rau bin ich nicht derjenige, der zu allem den passenden Bibelspruch auf den Lippen hat. Doch war meine Kindheit und Jugend stark durch das kirchliche Engagement in St. Michael und St. Aposteln in Burtscheid geprägt. Ganz klassisch wie eine katholische Sozialisation verläuft: Als Messdiener, Lektor, als Leiter in Jugendgruppen und in einer Dritte-Welt-Gruppe engagiert.
Ihre Parteifreundin und Bundestagspräsidentin Julia Klöckner hat die Kirche aufgefordert, sich aus der Politik herauszuhalten. Wie politisch kann und muss Kirche sein?
Laschet: Kirche ist immer politisch und muss politisch sein. Dies gilt nicht nur für die Weltkirche und das Wirken des Papstes, sondern auch in unserer christlich geprägten Kultur. Nicht zuletzt liegt darin auch die Katholische Soziallehre begründet. Prinzipien wie Solidarität, Subsidiarität und Gemeinwohl sind starke Säulen, die das gesellschaftliche Miteinander prägen. Es geht sicherlich weniger darum, politische Forderungen nach einem Tempolimit oder Tempo-30-Zonen abzuleiten. Kirche steht für etwas Größeres.
Die CDU befindet sich auf einem Abkehrkurs der von Angela Merkels 2015 ausgegebener Strategie in der Migrationspolitik. Merkel hat dies immer in Ihrer Verantwortung als Protestantin vertreten. Worin liegt die Ursache des Scheiterns? Ist die christliche Leitidee nicht mehr genügend im Bewusstsein verankert oder passt sie nicht zur Leistungsfähigkeit des Staates und einer Bevölkerung, die mit der Integration überfordert ist?
Laschet: Es wird fälschlicherweise immer behauptet, dass Angela Merkel die Grenzen geöffnet habe. Dies ist natürlich Unsinn. Die Grenzen waren seit Schengen offen, sie hat sie nicht geschlossen. Im September 2015 ging es darum, im eskalierenden syrischen Bürgerkrieg aus einer humanitären Haltung heraus Menschen aufzunehmen. Ich habe dies damals ausdrücklich auch aus meiner christlichen Grundhaltung heraus unterstützt. Wir müssen aber auch die Realität zur Kenntnis nehmen. Länder und Kommunen schaffen es finanziell und organisatorisch nicht mehr, die notwendige Integration zu stemmen. Kitas und Schulen sind trotz eines starken Willens häufig mit einer bildungsorientierten Integration überfordert. Ohne kirchliche Träger im Kita- und Schulbereich wäre die Lage noch weitaus schlechter.
Vorwürfe gegen den Staat, der in wichtigen Bereichen der öffentlichen Hand versagt, werden insbesondere von der AfD populistisch geschürt. Der Staat wird für alles, was nicht funktioniert, verantwortlich gemacht. Ist das Prinzip Eigenverantwortung unmodern geworden?
Laschet: In der Tat haben wir in den vergangenen Jahren aus den Augen verloren, dass jeder, der in dieser Gesellschaft lebt, auch seiner Verantwortung gerecht werden muss. Das ist übrigens zutiefst christlich. Der Sozialstaat muss diejenigen auffangen, die aus eigener Kraft nicht in der Lage sind, für sich zu sorgen.
Extreme Parteien wie die AfD, die ihre rassistische Ideologie hinter Staatskritik verbrämt, haben bei der Bundestagswahl Rekordergebnisse eingefahren. War es klug, die Migrationspolitik in den Mittelpunkt des Wahlkampfes zu stellen?
Laschet: Nein. Ein Wahlkampf mit Migrationsthemen befördert immer das Erstarken extremer Kräfte. Dahinter sind die großen wirtschaftspolitischen und außenpolitischen Themen zurückgeblieben. Die Analyse in Nordrhein-Westfalen zeigt aber beispielsweise, dass die Wähler in katholischen Regionen wie dem Münsterland, Sauerland und Rheinland weitaus resistenter gegen AfD-Gedankengut sind. Das ist eine positive Nachricht. Und ich bleibe weiterhin dabei, dass nicht alle AfD-Wähler rassistischen Ideologien nachhängen. Ein AfD-Parteiverbot wird jedenfalls nichts bringen. Wir müssen argumentativ jeglichen Populismus entlarven.
Wie lässt sich der Rechtsruck aufhalten?
Laschet: Wir müssen eine sachgerechte, gute und ergebnisorientierte Regierungspolitik machen, die Probleme löst. Dazu gehören auch klare Worte.
Sie sind im Ausland gut vernetzt, sind ein erfahrener und wichtiger Gesprächspartner in und außerhalb Europas. Wie kritisch ist die Lage im Nahen Osten?
Laschet: Es ist ein bisschen in Vergessenheit geraten, dass der amerikanische Präsident Donald Trump 2020 mit dem Abraham-Abkommen, das von Israel, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrein unterzeichnet wurde, einen wichtigen Schritt für eine mögliche Normalisierung der Beziehungen im Mittleren und Nahen Osten gemacht hat. Es bleibt zu wünschen, dass Trump weiterhin Druck auf den israelischen Premierminister Netanjahu ausübt, mit den Palästinensern eine Lösung ohne die Hamas zu finden. Der Angriff der USA auf den Iran war ein folgerichtiger Schritt, Israel zu schützen. Die Staatsdoktrin des Iran ist seit 1979 die Vernichtung Israels.
Wie beurteilen Sie die Lage in der Ukraine? Wie muss sich Deutschland in den kommenden Jahren aufstellen?
Laschet: Es ist richtig, die Ukraine weiterhin mit Waffen zu unterstützen und diese auch im Land selbst zu produzieren. Abseits dessen bin ich immer wieder überrascht, wie schwer wir uns inzwischen mit Debatten tun, die auch pazifistische Positionen anerkennt. Ich war noch nie Pazifist, aber ich habe Respekt vor dieser Haltung. Jeden, der dies vertritt, als von Putin bezahlt zu diffamieren, schadet der Debattenkultur. Es hat immer in der Geschichte der Bundesrepublik Bewegungen des Pazifismus gegeben. Ausgerechnet die Grünen, die aus einer pazifistischen Tradition kommen, sprechen sich am stärksten für Aufrüstung aus. Die Art und Weise wie sie über Panzer, Raketen und Munition diskutieren, wundert mich zuweilen. Natürlich hat sich durch den russischen Angriffskrieg viel verändert, aber wir sollten dennoch mit Maß und Mitte argumentieren. Wir brauchen in einer freien Gesellschaft den offenen Austausch von Argumenten.
Die geplante Ernennung von Frauke Brosius-Gersdorf zur Bundesverfassungsrichterin hat zu einer öffentlichen Eskalation geführt, die einem neuen Kulturkampf gleicht. Hatte die CDU ihre inhaltliche Position zur abgestuften Würde des Menschen nicht auf dem Schirm
Laschet: Ihre Position ist differenzierter als am Anfang öffentlich dargestellt. Es war ein Fehler von Rotgrün, den gesellschaftlichen Konsens aufzukündigen und die alten Debatten der siebziger Jahre für Fristenlösungen wieder zu eröffnen.
Inmitten all dieser gesellschafts- und geopolitischen Spannungen – was gibt Ihnen Hoffnung?
Laschet: Es gab doch wirklich nie eine spannungsfreie Zeit. Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder tiefgreifende Krisen erlebt. Als ich mich jüngst mit Kennedys Rede von 1963 beschäftigt habe, ist mir noch einmal klar geworden, dass auch damals die Angst vor einem Weltkrieg groß war. Bei mir wirkt die Zuversicht, dass wir die Probleme mit einer hohen Verantwortlichkeit als Politiker und einer klaren demokratischen Haltung und Streitbarkeit lösen werden. Oder anders gesagt: Wir schaffen das.
1. Printe oder Streuselbrötchen?
Streuselbrötchen.
2. Sie sind seit vielen Jahren politisch aktiv, was reizt Sie?
Das Engagement für eine bessere Welt.
3. Wenn Sie eine Superkraft im Alltag hätten, welche wäre das und warum?
Aggressive Gegensätze zu versöhnen.
4. Haben Sie ein geheimes Talent oder eine ungewöhnliche Fähigkeit, die kaum jemand kennt?
Die möchte ich nicht verraten.
5. Wenn Sie eine berühmte Persönlichkeit zum Abendessen einladen könnten, wer wäre das und was würden Sie gerne fragen?
Mit Papst Leo XIV. über Gott und die Welt sprechen.
6. Wenn Sie ein Buch über Ihr Leben schreiben könnten, welchen Titel hätte es?
Versöhnen statt spalten.
7. Was ist Ihr Lieblingsort?
Der Aachener Dom.
8. Was war das Verrückteste, das Ihnen in der Politik oder im Alltag passiert ist?
Aktuell viele Anekdoten zu den Verwechslungen mit Boris Pistorius.
9. Wo machen Sie gerne Urlaub?
Am Bodensee und in Italien.
10. Welchen Tag würden Sie gerne aus Ihrem Gedächtnis streichen?
Keinen.