Am 4. Oktober wird der Schlusspunkt der Schöpfungszeit 2021 gesetzt, zu der Papst Franziskus seit 1. September aufgerufen hat. Es gilt, das Bewusstsein für Umwelt und Klimaschutz zu wecken und diese Belange ins Gebet besonders einzuschließen. Einer, der sich im Bistum Aachen besonders mit Nachhaltigkeit und Gesellschaft beschäftigt, ist Lars Schäfers von der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle. Er wird als Theologe Referent eines Herbstsymposium für Jugendliche sein, das unter dem Oberthema Bioökologie steht.
Warum können Wissenschaft und Theologie ein gutes Paar sein?
Theologie ist selbst auch eine Wissenschaft und galt lange Zeit im Mittelalter als die höchste Wissenschaft. Es sind vielfach Missverständnisse, die die Erkenntnis verhindern, dass Naturwissenschaft und Theologie auf verschiedenen Ebenen agieren und beide wunderbar gerade auch in der Bewahrung der Schöpfung und im Umweltschutz zusammenwirken
können. Naturwissenschaft kann das technisch-empirische Know-how mitgeben, wie die Probleme zu lösen sind, und die Theologie ihr Orientierungswissen dazu beitragen, die Bedeutung und den Sinnhorizont aufzeigen.
Ein Begriff, den Sie verwenden, ist Schöpfungsverantwortung. Wie kann der Einzelne dieser Verantwortung gerecht werden?
Zunächst sage ich als christlicher Sozialethiker immer: Bei dem Thema Umwelt und Klimaschutz gilt ein Vorrang der Sozialethik vor der Individualethik. Wenn wir die Probleme auf der strukturellen, globalen, systemischen Ebene nicht gelöst bekommen, hilft es wenig, wenn die Einzelnen in ihrer Lebenswelt darauf achten, im Biosupermarkt einzukaufen oder Plastik zu vermeiden. Das darf aber nicht dazu führen, dass wir den Einzelnen von der eigenen Verantwortung gänzlich lossprechen. Das ist der Eindruck, der in der Bundespolitik vermittelt wird: Wenn wir nur die richtige Technik und Reformen haben, braucht es keinen Verzicht im Lebensstil.
Der Begriff „Verzicht“ lässt viele Menschen zurückschrecken. Ist es nicht eher Veränderung, die notwendig und viel positiver begrifflich besetzt ist?
Beim Begriff „Verzicht“ bin ich auch eher skeptisch, auch wieder vom christlichen Menschenbild her gedacht. Das Christentum versteht den Menschen ja nicht nur als Ebenbild Gottes, sondern auch zur Sünde neigend. Der Mensch ist auf seine eigenen Interessen fokussiert, er kann Fehler machen, er ist träge – auch evolutionär gesehen haben wir noch manche Dynamiken in uns, die uns eher nach dem Höher, Schneller und Weiter streben lassen als danach, zu verzichten. Das ist, würde ich sagen, auch erstmal legitim. Dass Menschen, die sich ein gutes Leben aufgebaut haben, allergisch reagieren, wenn man ihnen Flugreisen, das große Familienauto und das Eigenheim verbieten würde. Ich glaube, wenn das auf der Verzichts- und Verbotsebene bleibt, wird es nicht viel Wirkung haben. Es braucht
eine positive Zielperspektive, die aufzeigt, dass gerade ein Wandel des Lebensstils auch positive Effekte auf die eigene Lebensqualität haben kann.
Wie, glauben Sie, können Sie diese Haltung den Jugendlichen vermitteln?
Ich oute mich: Ich bin leidenschaftlicher Gamer von Kindestagen an. Es gibt ein Videospiel von Super-Nintendo aus den 1990er Jahren, „Terranigma“, das wunderbar die Dramatik veranschaulicht, den der Umgang der Menschen mit ihrer Umwelt haben kann. Bei diesem Spiel geht es darum, die fünf Kontinente sowie allesLeben auf der Welt neu zu erschaffen. Der aus der Unterwelt stammende Protagonist schlüpft unfreiwillig in die Rolle des
Schöpfers. Ich will es als Herausforderung für mich als Wissenschaftler sehen, das komplexe Ganze anschaulich zu vermitteln, mit konkreten Beispielen aus der Lebenswelt der jungen Menschen. Und Computerspiele sind inzwischen ein Kulturgut und beliebt – nicht nur bei Jugendlichen übrigens. Mir ist ja wichtig, dass die jungen Leute etwas mitnehmen von dem Thema, aber vor allem auch, dass Ethik eine Rolle spielen kann bei den Umweltthemen und gerade auch eine christliche Ethik. Das ist die Botschaft, die ich vor allem setzen möchte.
Verpasst die Kirche eine Chance, sich bei steigendem Umweltbewusstsein an die Seite
der Jugendlichen zu stellen und zu signalisieren, dass sie ein ernstzunehmender Partner für ihre Zukunft ist?
Es gibt in der Bewegung Fridays for Future ja auch die Christians for Future und die Churches for Future. Es sind also schon engagierte Christen dabei. Aber in der Tat könnte Kirche gerade bei jungen Menschen, die mit Kirche oft nicht mehr viel anfangen können, noch viel stärker
das Thema Umweltschutz nutzen, um zu zeigen, dass daraus eine gewisse Wertschätzung und Bewahrung der Natur ausfließt. Dieses Ethos der Nächstenliebe in soziale und ökologische Fragen auszubuchstabieren, dazu hat Kirche ein As im Ärmel, das dringend ausgespielt werden müsste.
Ist das für Sie der Reiz, als Theologe auf einem naturwissenschaftlichen Symposium
zu Jugendlichen zu sprechen?
Man merkt bei den jungen Menschen einen großen Ehrgeiz und Idealismus, Klimawandel und die Umweltzerstörung anzugehen. Sie wissen genau, dass sie zu den Generationen gehören, die die späteren Folgen ausbaden müssen. Darum ist viel Offenheit für ethische Fragen gegeben. Gerade ich, der ich mit 33 Jahren nicht ganz so weit von der jungen Generation entfernt bin, halte es für sinnvoll, im Science College Overbach dabei zu sein, um in den Reigen der Naturwissenschaft eine dezidiert ethische Perspektive einzubringen. Damit will ich den jungen Menschen zeigen – vielleicht auch mit Blick auf die spätere Berufswahl, dass
auch Geisteswissenschaftler dazu beitragen, dass große Probleme in der Welt gelöst werden. Das finde ich tatsächlich einen spannenden Anreiz und bin ebenso gespannt darauf, wie die jungen Menschen den christlichen Hintergrund meiner sozialethischen Gedanken auffassen werden. Ich freue mich auf sehr anregende Situationen.
Sie werden bei der Veranstaltung auf dem sogenannten „Grünen Stuhl“ Platz nehmen.
Die Jugendlichen dürfen dann auch unangenehme Fragen stellen. Auf welche bereiten Sie sich vor?
Ich habe ja auch ein paar Punkte, die provokativ sind. Ich könnte mir vorstellen, dass kritische Rückfragen kommen, ob eben Ökologie und Ökonomie miteinander verschränkt werden sollten plus der sozialen Komponente, die mir halt auch von Papst Franziskus her wichtig ist.
Wenn ich sehe, was Fridays for Future für steile, fast utopische Forderungen formuliert: Ich vermute, es kommen völlig zu Recht kritische Anfragen, wie es bei der Kirche selbst aussieht: Ist da das Prinzip der Bewahrung der Schöpfung verwirklicht? Wie steht es mit der Glaubwürdigkeit? Vielleicht kommen ein paar Fragen, die dahingehen, wie man das, was die
jungen Leute auch technisch über die Bioökonomie erfahren, noch ethisch vertiefen könnte.
Das Gespräch führte Dorothée Schenk.