Kinderdorf-Mutter seit 1974

Vor 50 Jahren begann Ida Dunkel, im Bethanien Kinderdorf zu arbeiten. Bis heute gibt sie Kindern ein Zuhause.

Ida Dunkel, umringt von einem Teil ihrer  großen Kinderdorffamilie. (c) Team Uwe Nölkes
Ida Dunkel, umringt von einem Teil ihrer großen Kinderdorffamilie.
Datum:
8. Okt. 2024
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 41/2024 | Kathrin Albrecht

Wenn Ida Dunkel Weihnachten feiert, muss sie die Aula des Kinderdorfes Bethanien in Schwalmtal mieten, so groß ist ihre „Familie“. Seit 50 Jahren begleitet sie Kinder und Jugendliche als Kinderdorfmutter auf ihrem Weg ins Erwachsenenleben. 

Im Jahr 1974 führte es die aus Jucken in der Eifel stammende Ida Dunkel ins Bethanien Kinderdorf Schwalmtal. Nach ihrer Ausbildung am Maria-Lenssen-Berufskolleg in Mönchengladbach wollte die damals 19-Jährige ihr Anerkennungsjahr als Erzieherin absolvieren und sich ein eigenes Leben aufbauen. Das Bethanien-Kinderdorf begleitet Kinder und Jugendliche, die nicht in ihren Familien bleiben können. Sie arbeitete zuerst an der Seite der Dominikanerin von Bethanien, Schwester Ludgera, die als junge Kinderdorfmutter zwölf Kindern ein Zuhause bot.

Ida Dunkel staunt selbst ein bisschen, wenn sie sich an ihre Anfänge im Kinderdorf erinnert: „Ich kann gar nicht glauben, dass das schon so lange her ist. Ich habe meinen ersten Tag im Kinderdorf noch glasklar vor Augen“.  Auf dem Gelände gab es fast alles, sogar eine eigene Währung, mit der man im Dorfladen bezahlen konnte. Für die Kinder gab es viele Angebote: Von Ponyreiten  bis zum „Beatclub“ zweimal pro Woche. „Es war so familiär, dass wir nicht das Gefühl hatten, dass wir dort arbeiteten“, erinnert sie sich.

Eigentlich hatte sie nicht vor, selbst Kinderdorfmutter zu werden. Doch das Schicksal hatte andere Pläne: 1977 erhielt sie einen unerwarteten Anruf von Pater Manuel, dem damaligen Pädagogischen Leiter des Bethanien Kinderdorfes. Er berichtete von einer neunköpfigen Geschwistergruppe, die nicht länger bei ihrer Herkunftsfamilie leben konnte und dringend ein neues Zuhause benötigte. Pater Manuel bat die damals 24-Jährige, sich dieser Herausforderung als Kinderdorfmutter zu stellen – mit nur 30 Minuten Bedenkzeit.

Ida Dunkel (vorne im Bild) an Weihnachten mit ihren ersten Kinderdorfkindern und ihren ersten zwei Mitarbeiterinnen (letzte Reihe rechts und links). (c) Bethanien Kinderdorf
Ida Dunkel (vorne im Bild) an Weihnachten mit ihren ersten Kinderdorfkindern und ihren ersten zwei Mitarbeiterinnen (letzte Reihe rechts und links).

Ida Dunkel nahm an. Nach einer ersten Kennenlernphase zog sie mit den Kindern in das Kastanienhaus auf dem Gelände des Kinderdorfes. „Einige Kinder brauchen Zeit bei der Eingewöhnung und bis sie verstehen, dass der Aufenthalt im Kinderdorf nicht so etwas ist wie ein Kuraufenthalt, sondern ein Aufenthalt für länger.“ Ida Dunkel wollte ihren Schützlingen nicht nur ein Dach über dem Kopf geben, sondern auch eine Zukunft bieten. Was ihr dabei immer wichtig war: „Man muss Kinder annehmen mit dem, was sie mitbringen.“

Dass das Leben auch eingebunden war in das Leben mit den Schwestern im Konvent, hat Ida Dunkel immer als Bereicherung empfunden: „Ich bin auf einem Bauernhof in der Eifel groß geworden und der Glaube und das  Vertrauen auf Gott hat mich immer getragen. Das hat auch die ganze Idee getragen, ins Kinderdorf zu gehen.“ 

In ihren 50 Jahren Dienstzeit hat Ida Dunkel alles erlebt, fröhliche Momente, auch traurige Momente. Zum Beispiel, wenn in Obhut gegebene Kinder wieder in ihre Familien gehen. „Manchmal müssen Kinder wieder zu den Eltern gehen und die Beziehung überprüfen”, sagt sie.

Schwer war auch der Auszug aus dem Kastanienhaus nach 38 Jahren. Seit 2015 lebt sie in einer Außenwohngruppe des Kinderdorfes in Waldniel. „Das alte Haus wurde abgerissen und neu aufgebaut. Es heißt auch wieder Kastanienhaus“, erzählt Ida Dunkel. In Waldniel betreut sie vor allem „Notfälle“, also Kinder, die zur Ruhe kommen müssen. 
Eine eigene Familie zu gründen, wie es einige ihrer ehemaligen Kolleginnen getan haben, kam für sie nicht infrage. „Zu dem Zeitpunkt, als ich die Verantwortung für die Kinder bekam, war das kein Thema mehr.“

63 Kindern hat sie in ihren 50 Dienstjahren ein Zuhause und Geborgenheit gegeben. Zu vielen hat sie noch engen Kontakt. Für Ida Dunkel endet die Bindung nicht mit einem bestimmten Alter. Einige ihrer Schützlinge sind inzwischen verstorben, andere haben eigene Familien gegründet. „Alle haben irgendwie die Kurve gekriegt, auch, wenn es schwierig war”, sagt sie, und ein bisschen Stolz schwingt dabei mit. „Ich habe mir für die Kinder immer gewünscht, dass sie über ihre Partner und über ihre Schwiegereltern ein neues Bild von Familie bekommen.“

Längst ist aus „Mama Ida“ auch „Oma Ida“ geworden. Für die ehemaligen Kinder, die noch vor Ort leben, übernimmt sie regelmäßig Hundesitter- oder Babysitterdienste. „Ich bin so froh, dass der liebe Gott nichts anders mit dir vorhatte“, hat eines ihrer Kinder einmal zu ihr gesagt. „Für mich war das richtig so, vielleicht bin ich ja dazu bestimmt worden“, meint Ida Dunkel selbst.

Auch, wenn sie es selbst nicht so recht glauben kann, dass sie es bereits seit 50 Jahren macht – ihr Jubiläum  feierte Ida Dunkel Anfang September mit Weggefährten von damals, ihren Kindern und deren Familien und einem Fest für alle im Kinderdorf. 
Von ihren Kindern wurde sie schon mal ab und zu gefragt, was sie mache, wenn sie in Rente gehe, erzählt Ida Dunkel. Sie wird gut versorgt sein – „Ich habe Pflegegutscheine bis an mein Lebensende geschenkt bekommen“, erzählt sie lachend.