Kein bisschen leise

Maritta Neuß ist 91 Jahre alt. Seit 80 Jahren singt sie im Kirchenchor von St. Laurentius Aachen.

Ein Leben ohne Chor?  Für Maritta Neuß ist  das nicht vorstellbar. (c) Dagmar Meyer-Roeger
Ein Leben ohne Chor? Für Maritta Neuß ist das nicht vorstellbar.
Datum:
24. Apr. 2025
Von:
Aus der Kirchenzeitung, Ausgabe 16/2025 | Sabine Rother

Aachen. Ein schöner Tag? Maritta Neuß weiß, dass ihre Antwort verblüfft: „Wenn der FC Bayern München sein Spiel gewinnt“, sagt sie lächelnd und beschreibt, wie schwierig es ist, während einer Probe heimlich den Spielstand herauszufinden.Seit 80 Jahren singt die heute 91-Jährige als Sopran im Kirchenchor von St. Laurentius, ein besonderes Jubiläum für die Gemeinschaft mit über 150-jähriger Tradition. „Bereits zum letzten Jubiläum, da feierten wir 75 Jahre, musste die Urkunde vom Cäcilien-Verband angefertigt werden. Nun ist es wieder soweit“, lächelt der Vereinsvorsitzende Petrus Rick. Chorleiter Gregor Jeup erlebt in Maritta Neuß nicht nur die gute Sängerin. „Sie trägt dazu bei, dass sich neue Mitglieder schnell zu Hause fühlen“, betont er.

Als Maritta Hensgens wird die Chorsängerin in Vetschau geboren. Die Familie geht nach Aachen, der Zweite Weltkrieg bricht aus – eine schwere Zeit. „Seit 44 Jahren wohne ich nun in meinem Elternhaus in Laurensberg“, sagt sie nachdenklich. Dort ist Tochter Gaby (61) aufgewachsen. An Ostern 1945 kann sich ihre Mutter gut erinnern. „Wir haben das ,Gloria‘ aus den Gregorianischen Chorälen gesungen, wir waren wenige, da eignet sich Gregorianik“, erzählt sie, die später mit dem Chor St. Laurentius die großen Werke singen soll, darunter von Felix Mendelssohn Bartholdy „Elias“ und „Paulus“, Händels „Messias“, das Brahms-Requiem, Haydns „Die Schöpfung“ und mehr.

90-köpfige Gemeinschaft

Zurzeit laufen  die Proben für  Pfingsten. (c) Dagmar Meyer-Roeger
Zurzeit laufen die Proben für Pfingsten.

Dann geht der Krieg zu Ende. „Der Chor war ursprünglich ein Männerchor“, erzählt sie. „Die zurückkehrenden Männer forderten, dass wir Frauen den Chor verlassen sollten.“ Nicht mit der jungen Maritta, aufgewachsen mit zwei Brüdern! Sie protestiert spontan – und mit ihr die anderen Frauen und Mädchen. Erfolgreich. Seitdem ist der Wohlklang allen Stimmen der über 90-köpfigen Gemeinschaft zu verdanken – Sopran, Alt, Tenor und Bass. Stimmbildung gehört zu jeder Probe, in der Jeup alle mit Atem- und Körperübungen auf den Gesang vorbereitet. Maritta Neuß macht mit. Erst in letzter Zeit ist sie bei Aufführungen lieber Gast – längere Zeit zu stehen wird zu anstrengend. 

Das Notenlesen hat sie in der Schule gelernt, aber erst im Chor wird es zur Selbstverständlichkeit. Maritta Neuß ist Disziplin gewohnt, schließlich hat sie auch die Sekretariatsarbeit in verschiedenen Unternehmen sachlich geordnet. Der Gesang und das Miteinander gehören zu ihrem Leben. Selten versäumt sie den Stammtisch. Gemeinsam erlebt man die Kirchenfeste, Stiftungsfeste bis hin zum Grillen. Highlights sind die Chorreisen mit Orchester und Solisten. Die Liste ist lang – Toledo, La Mancha, Prag, Reims, Naumburg, Dresden und ganz besonders Rom. „Wir haben in Santa Maria Maggiore und in der Lateranbasilika gesungen“, schwärmt die 91-Jährige. „Unvergesslich.“ 

Wenn sich heute der helle Saal im Laurentiushaus mit dem Blick auf den Himmel über Aachen mit fröhlichem Stimmengewirr füllt, ist Maritta Neuß mittendrin, spürt man die Gemeinschaft, die den vierstimmigen Kanon „Viel Glück und viel Segen“ anstimmt, sobald Jeup in die Tasten des schwarz-glänzenden Flügels greift. „Maritta Neuß ist die Seele unseres Chors“, sagt Jeup still. 

Lieblingswerk: „Halleluja“

Dann wird geprobt: Für Pfingsten steht die Deutsche Messe in Es-Dur von Franz Schubert auf dem Programm. Im Archiv hat Rick Noten von 1949 gefunden – vielleicht hatte sie Maritta Neuß bereits als junge Chorsängerin in Händen. Ihr Lieblingswerk bleibt bis heute Händels „Halleluja“.

Konzert

Am Samstag, 3. Mai, 19.30 Uhr, lädt der Förderverein St. Laurentius zu einem Frühlingskonzert in das Laurentiushaus (Laurentiusstr. 77, 52072 Aachen) ein. Der Pianist Florian Koltun, Kulturmanager und Preisträger zahlreicher internationaler Klavierwettbewerbe, spielt unter anderem Werke von Ludwig van Beethoven und Johannes Brahms. Der Eintritt ist frei. Nach dem Konzert bittet der Förderverein wir um eine Spende zur Finanzierung des Flügels.