Kein „Och-herm“-Betrieb

Bei Via Integration gehen Inklusion und soziale Verantwortung Hand in Hand mit Wirtschaftlichkeit

Im Naturkostladen auf der Viktoriaallee wird noch viel Wert auf das Gespräch mit den Kunden gelegt. (c) Via Integration
Im Naturkostladen auf der Viktoriaallee wird noch viel Wert auf das Gespräch mit den Kunden gelegt.
Datum:
8. Jan. 2019
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 02/2019 | Andrea Thomas
Inklusion: Jeder Mensch gehört ganz natürlich dazu. Klingt nach einer Welt, in der jeder von uns gerne leben würde. Das ist aber oft leichter gesagt als im Alltag umgesetzt, besonders auf dem Arbeitsmarkt. Ein Beispiel, wo es funktioniert, ist Via Integration in Aachen.
Gut Hebscheid in Aachen-Lichtenbusch. (c) Via Integration
Gut Hebscheid in Aachen-Lichtenbusch.

Seinen Hauptsitz hat das Inklusionsunternehmen, das zur „Wabe – Diakonisches Netzwerk Aachen“ gehört, auf Gut Hebscheid am Stadtrand von Aachen-Lichtenbusch, nahe der belgischen Grenze. Dazu kommen weitere Standorte im Stadtgebiet. Der denkmalgeschützte Gutshof und sein Gelände wirken freundlich und einladend. Hektik scheint hier keinen Platz zu haben. Der passende Rahmen also für ein Unternehmen, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt, in dem Leistungsdruck Mitarbeiter fördern und herausfordern und nicht überfordern soll. „Wir versuchen, jeden Menschen erst einmal anzuschauen und ihm zuzuhören. Wo sind seine Stärken, was traut er sich zu? Danach suchen wir eine Beschäftigung für ihn“, skizziert Nadia Lalee, Leiterin des Sozialdienstes, was das Konzept von Via Integration ausmacht. Was nicht heißt, dass hier nicht wirtschaftlich gearbeitet wird, ganz im Gegenteil, wie Maria Poquett betont. „Wir sind kein ,Och-herm‘-Unternehmen, sondern gehören zum ersten Arbeitsmarkt und müssen gucken, das wir das gestemmt bekommen.“ Ihre Kollegin Barbara Plessmann ergänzt: „Wir arbeiten ohne Zwang, aber wir sind keine Arbeitstherapie. Auch bei uns muss Geld verdient und Leistung erbracht werden.“


Inklusiv und nachhaltig

Via Integration hat derzeit etwa 80 Mitarbeiter, die in vier Abteilungen tätig sind und sehr unterschiedliche gesundheitlichen und soziale Handicaps haben: Auf Gut Hebscheid selbst sind das der Bereich Bio-Gärtnerei, den Barbara Plessmann leitet, sowie der Bereich Gastronomie und Veranstaltungen, für den Maria Poquett verantwortlich ist. Dazu kommen der Bio-Verkauf mit eigenem Bio-Laden auf der Viktoriaallee sowie die Alemannia-Fan-Shops und der „Klömpchensklub“ auf dem Aachener Tivoli.

Gestartet ist Via 1993 mit der Bio-Gärtnerei, damals noch in Kornelimünster, um Menschen mit psychischen Problemen Arbeit zu geben. Dazu kam dann die Vermarktung der eigenen Produkte. 2002 wurde nach dem Umzug auf Gut Hebscheid das große Gewächshaus gebaut. „Wir bauen rund 30 Kulturen im Gewächshaus, im Freiland und unter Folie an und sind mit zehn Auszubildenden einer der größten Ausbildungsbetriebe in dem Bereich in NRW“, zählt Barbara Plessmann auf. Zwischen zehn und 60 Kunden nutzen täglich den Direktverkaufs-Stand vor dem Gewächshaus. Seit zehn Jahren begleiten sie außerdem die „Öcher Ökogärten“, gut 100 Hobbygärtner, die hier nach einem Modell aus der Schweiz ihre Mietgärten bewirtschaften. Verkauft werden die Bio-Waren des Hofes auch im Naturkostladen und über den angeschlossenen Lieferservice. Hier arbeiten zurzeit neun Mitarbeiter und fünf Auszubildende. „Bei uns kann man noch eine Zwiebel einzeln kaufen, und wir legen Wert auf die Kommunikation mit unseren Kunden“, erläutert Diana Müthe, die für den Bereich verantwortlich ist.


Möglichkeiten eröffnen

Zum Bereich Gastronomie und Veranstaltungen gehören die Räumlichkeiten auf Gut Hebscheid, die für private Feiern, Tagungen und andere Veranstaltungen gemietet werden können, und die Küche vor Ort. Außerdem seit zwei Jahren der „Klömpchensklub“, wo sie unter anderem mit Erfolg einen Mittagstisch „nicht nur für Fans“ anbieten sowie das Bistro im Ludwig-Forum und die Möglichkeit, sie als Catering für Veranstaltungen zu buchen. Ausgebildet wird hier in den Bereichen Küche, Veranstaltungsmanagement und Restaurantfachkraft. Neben der Fachausbildung gibt es hier und im Gartenbau auch die Möglichkeit zur theoriereduzierten Fachkraftausbildung, beispielsweise für Menschen mit einer Lernbehinderung. Viertes Standbein sind die Fan-Shops der Alemannia an drei Standorten in Aachen.

Was sie und ihre Arbeit so besonders mache, sagt Nadia Lalee, sei, dass sie nicht aufhörten, mit den Menschen zu reden. Darüber entstünden immer wieder Möglichkeiten. „Es ist nicht schlimm, wenn jemand langsamer ist oder ein Handicap hat. Dafür finden wir Lösungen. Jeder kann das leisten, was er kann, wenn man ihm zuhört.“
Druck herausnehmen, Menschen Zeit geben, damit sie wachsen und sich stabilisieren können, ist das Erfolgsrezept des Unternehmens. Möglich wird das unter anderem durch Fachleute wie Geschäftsführer Alois Poquett, der auch Vorsitzender der Wabe ist, sowie einer guten Vernetzung: mit psychosozialen Einrichtungen, regionalen Förder- und Berufsschulen, den Kammern, Bildungsträgern, der Agentur für Arbeit, dem Jobcenter, der Deutschen Rentenversicherung und dem Landschaftsverband Rheinland. Dazu kommen die fachliche Begleitung und Schulung der Anleiter von Via, ein berufliches Eingliederungsmanagement, um Mitarbeiter bei längeren Ausfällen wieder zu stabilisieren, und eine Schwerbehinderten- und Mitarbeitervertretung, um sie aktiv einzubinden. – Erfolgreich gelebte Inklusion eben.