Jesus war Jude, kein Christ

In vielen sakralen Darstellungen der Ecclesia und Synagoga ist der Antisemitismus in der Kirche zu erkennen

Der Mönchengladbacher Tragaltar war der  Ausgangspunkt zu den Betrachtungen über die Darstellung des Judentums in (c) Garnet Manecke
Der Mönchengladbacher Tragaltar war der Ausgangspunkt zu den Betrachtungen über die Darstellung des Judentums in
Datum:
19. Jan. 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 03/2022 | Garnet Manecke

Am 27. Januar jährt sich die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz zum 77. Mal. Sechs Millionen Juden sind dem Holocaust zum Opfer gefallen. Woher kam der Hass, der auch heute wieder aufflackert? Der Mönchengladbacher Pfarrer Wolfgang Bußler hat sich im Buch „Ecclesia und Synagoga und der Mönchengladbacher Tragaltar. Judentum und Christentum in Kunst und Kirche“ auf Spurensuche begeben. 

Wolfgang Bußler sammelte zehn Jahre lang das Material für sein Buch. Mit dem Mönchengladbacher Tragaltar und der Geschichte des Holocaust beschäftigt er sich schon wesentlich länger. (c) Garnet Manecke
Wolfgang Bußler sammelte zehn Jahre lang das Material für sein Buch. Mit dem Mönchengladbacher Tragaltar und der Geschichte des Holocaust beschäftigt er sich schon wesentlich länger.

Die Kirche, man kann es nicht anders sagen, hat sich versündigt. Gegen die Juden. Gegen ihre eigenen Werte von Nächstenliebe und Barmherzigkeit. Um das zu sehen, muss man genau hinschauen. Zum Beispiel auf die Darstellungen der Ecclesia, die für das Christentum steht, und der Synagoga, die das Judentum symbolisiert. Während erstere oft stark und stolz, mit erhobenem Haupt, klarem Blick und den Insignien ihrer Stärke dargestellt wird, wird die andere gerne gebeugt, dem Kreuze abgewandt, mit verbundenen Augen gezeigt. Die Tafel mit den Zehn Geboten in ihren Händen ist oft zerbrochen oder entgleitet ihr gerade, gleiches gilt für ihren Herrschaftsstab. Ein eindrucksvolles Beispiel sind die Skulpturen am Straßburger Münster.

„Viele Christen haben vergessen, dass Jesus Jude war und kein Christ“, sagt Pfarrer Wolfgang Bußler. Ohne Judentum gäbe es kein Christentum. In zahlreichen Darstellungen in der sakralen Kunst wird genau dieser Umstand verleugnet. Synagoga wird abgewertet und sogar diskriminiert. Die Darstellung von Benedetto Antemani im Dom zu Parma zeigt das: Hier wird Synagoga durch einen Engel niedergedrückt.

Als Mitglied der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, der er seit Anfang der 1980er Jahre angehört, stellt sich Bußler schon lange die Frage, woher der Hass auf Juden kommt. Was ist die Ursache für Antisemitismus? Eine Frage, die auch 77 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz von erscheckender Aktualität ist. 
Der 1946 geborene Priester hat sich viel mit dem Holocaust beschäftigt. „Diese Verbrechen sind unfassbar“, sagt er. Aber begreifen, was damals geschehen war, konnte er erstmals, als er sich mit dem Arbeitgeber seines Vaters beschäftigte: ein jüdischer Malermeister, der nach seiner Flucht in die Niederlande in das KZ Sobibor deportiert und ermordet wurde.
Als Pfarrer in Mönchengladbach kannte Bußler den Tragaltar, allerdings dauerte es einige Zeit, bis er entdeckte, dass auf ihm Ecclesia und Synagoga dargestellt sind. Beide stolz, allerdings die eine sehend, die andere blind. Das Motiv weckte sein Interesse.

„Der Tragaltar ist von 1160. In dieser Zeit hat man die beiden noch ausgeglichener dargestellt“, sagt Bußler. „Ecclesia zeigt den Kelch, Synagoga die Tafel mit den Zehn Geboten.“

Ursprünglich sollte das Buch eine Beschreibung des Tragaltars und des Gladbacher Münsters werden, mit dem sich Bußler schon viele Jahre beschäftigt. Aber dann erweiterte er das Thema über die Jahre immer mehr. Schließlich hat er das Material, das er über zehn Jahre gesammelt hat, zu einem Buch verdichtet. Es erklärt Antisemitismus nicht, zeigt aber seine Ursprünge.

Wolfgang Bußler: Ecclesia und Synagoga und der Mönchengladbacher Tragaltar. Judentum und Christentum in Kunst und Kirche, 204 S., 106 meist farb. Abb., Verlag Mainz, Aachen 2021,Preis: 19,80 Euro