Jeder spielt eine Hauptrolle

Im „Theater Kunterbunt“ stehen Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam auf der Bühne

Auf der Bühne unterstützt einer den anderen, so wie hier Angela, Elena und Tobias im aktuellen Stück, (c) Andrea Thomas
Auf der Bühne unterstützt einer den anderen, so wie hier Angela, Elena und Tobias im aktuellen Stück,
Datum:
13. März 2018
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 12/2018 | Andrea Thomas
„Inklusion“ klingt gut, sollte eigentlich selbstverständlich sein, holpert in der praktischen Umsetzung, trotz guten Willens, aber häufig noch. Ein Beispiel, wo es funktioniert, ist die inklusive Theatergruppe „Theater Kunterbunt“ in Monschau-Mützenich.
Manchmal überraschen sie sich gegenseitig auf der Bühne, wie Martin (links im Bild) verrät. (c) Andrea Thomas
Manchmal überraschen sie sich gegenseitig auf der Bühne, wie Martin (links im Bild) verrät.

Hier trägt einer den anderen, darf jeder sein, wie er ist, und zeigen, was alles an Talenten in ihm steckt. Andrea Hein, Leiterin der Kokobe (Koordinierungs-, Kontakt- und Beratungsangebote) Nordeifel, erläutert an einem Beispiel, was für sie Inklusion ist: „Hier in der Eifel hat jedes Dorf einen Sportverein, der sein Sommerfest feiert. Der Mensch mit Behinderung, den jeder kennt, darf ganz selbstverständlich mit dabei sein. Das ist toll, aber Inklusion wäre für mich, wenn man ihm eine Aufgabe gibt, zum Beispiel mit ihm gemeinsam die Flyer fürs Fest im Ort verteilt.“ Bis das selbstverständlich sei, werde es noch eine ganze Zeit brauchen, seien noch einige Unsicherheiten abzubauen, wie Menschen mit und ohne Behinderung einander im Alltag begegneten.

Neben einem gut besuchten wöchentlichen Stammtisch in einer Eifler Kneipe, der dem Austausch ebenso wie der Beratung dient, hat vor allem das 2013 gegründete „Theater Kunterbunt“ eine Art Eisbrecherfunktion, wenn es um die Stärkung von Inklusion geht. Immer im Frühjahr bringt eine Gruppe von Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam mit der Aachener Regisseurin und Theaterpädagogin Ingrid Wiederhold ein selbst entwickeltes Stück auf die Bühne, zuletzt Anfang März „Die lustigen Weiber von Witzerath“ – frei nach Shakespeare. Vorgegebene Texte gibt es nicht, jeder bringt sich gleichberechtigt mit seinen Ideen und seiner eigenen Sprache ein, schlüpft in die Rolle, die er immer schon einmal spielen wollte. Unterstützt wird das Projekt vom Theaterverein Konzen, der die Bühne im Musik- und Kulturzentrum Konzen zur Verfügung stellt, sowie vom Theaterverein „Wortspiel“ aus Mützenich, aus dem vier der derzeit elf Mitwirkenden kommen. „Außerdem haben wir einige Privatleute, die uns tatkräftig unterstützen“, sagt Andrea Hein.

 

Jeder wirkt mit seiner Persönlichkeit

Brigitte Palm vom Theaterverein „Wortspiel“ mag das Zusammenspiel innerhalb der „bunten Gruppe“, bei dem einer vom anderen profitiere. Ob jemand eine Behinderung habe, spiele dabei keine große Rolle. Das empfindet auch Angela Bätz, seit vier Jahren Teil der Gruppe, als sehr schön. Für die junge Frau mit Handicap liegt der Reiz im Improvisieren und dem Spaß, den sie alle gemeinsam dabei hätten, vor Publikum zu spielen. „Es gibt immer wieder spontane Wendungen, mit denen man gar nicht rechnet. Da überraschen wir uns auch schon mal gegenseitig“, erzählt Martin Wagemann, der zum zweiten Mal mitspielt.

Tobias Tambornino ist in diesem Jahr zum ersten Mal dabei. Er spiele gerne Theater, erzählt er, habe auch schon Schauspielunterricht genommen und freue sich, das Ensemble unterstützen zu können. Eine besonders schöne Dynamik habe sich dabei mit Elena entwickelt, einer seiner Mitspielerinnen mit Trisomie 21. Auf der Bühne – im aktuellen Stück spielt sie den Schulmeister und er Nubbel, den Dorftrottel – unterstützt er sie, dass sie ihre Stärken ausspielen kann, ohne von den Dingen, die sie nicht so gut kann, ausgebremst zu werden. „Es geht bei uns darum, den anderen groß zu machen und glänzen zu lassen, nicht darum, selbst seine 15 Minuten Ruhm zu bekommen.“

Der Star ist die Gruppe. Das schätzt auch Ingrid Wiederhold an der Arbeit. „Jeder fühlt sich von der Gruppe getragen, und alle spielen eine Hauptrolle.“ Für sie und das Publikum sei „Theater Kunterbunt“ eine besondere Erfahrung: „Wir und die Zuschauer haben Zeit. Wenn der Auftritt der Polizistin langsamer vonstatten geht, wenn der zitternde Ehemann Zeit braucht, um seiner aufgebrachten Ehefrau zu antworten, so hat das eine neue Eindringlichkeit und besonderen Charme. Jeder Mensch wirkt mit seiner Persönlichkeit und seiner Ausstrahlung.“ Je öfter sie miteinander spielten, umso mutiger würden sie, die „zulässigen Grenzen“ zu überschreiten: „Ich kann den kürzeren Arm anfassen, ich kann dir beim Aufstehen helfen, wenn du es nicht alleine schaffst, und es wie selbstverständlich in die Handlung einbauen.“ Diese Natürlichkeit im Umgang überträgt sich auch aufs Publikum. Inklusion erscheint mit einem Mal ganz einfach.