Jeder braucht ein Zuhause

Zwei kirchliche Aktionen haben in Aachen kreativ auf das Problem der Wohnungsnot aufmerksam gemacht

Das „Kirchen-Wohnzimmer“ in St. Fronleichnam brachte Menschen zum Thema ins Gespräch. (c) Andrea Thomas
Das „Kirchen-Wohnzimmer“ in St. Fronleichnam brachte Menschen zum Thema ins Gespräch.
Datum:
17. Juli 2018
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 29/2018 | Andrea Thomas
Maria und Josef sind nicht anspruchsvoll. Sie suchen ein Dach über dem Kopf, nichts Luxuriöses. Trocken und warm sollte es sein, wo sie ein wenig Ruhe und Geborgenheit finden, denn schon bald soll ihr Baby zur Welt kommen.
· Witzige Aktion, ernstes Thema: Der Caritasverband Aachen hat ein Badezimmer in die Fußgängerzone gestellt. (c) Andrea Thomas
· Witzige Aktion, ernstes Thema: Der Caritasverband Aachen hat ein Badezimmer in die Fußgängerzone gestellt.

Doch sie finden nichts, überall heißt es nur: Die Herberge ist voll! Wir haben keinen Platz. So wie dem heiligen Paar im Bethlehem vor gut 2000 Jahren, geht es auch vielen Menschen heute. Es herrscht Wohnungsnot. In Deutschland fehlt eine Million Wohnungen. Gründe dafür sind: Ein Wachstum der Bevölkerung von 80 auf 82,5 Millionen Menschen zwischen 2011 und 2016; immer mehr Einpersonenhaushalte; ein höherer Quadratmeterbedarf pro Person. Aber vor allem ist Wohnen für viele Menschen fast unbezahlbar geworden. Das Angebot an günstigen Wohnungen nimmt ab. In diesem Bereich wird zu wenig neu gebaut, bezahlbarer Wohnraum durch kontinuierliche Mieterhöhungen knapp. 1,6 Millionen Menschen zahlen mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Miete. Übrig bleibt oft weniger als das Existenzminimum. Wohnen ist zu einem zentralen Faktor in der Armutsdiskussion geworden. Und es sind nicht nur Kinderreiche, Alleinerziehende, Migranten und Menschen mit geringem Einkommen betroffen. Das Problem reicht bis in die Mitte der Gesellschaft, betrifft auch Menschen, die aus beruflichen, familiären oder gesundheitlichen Gründen die Wohnung wechseln müssen, Auszubildende und Studierende, Ältere und Alleinstehende.

 

Kirchlicher Blick auf Wohnraummangel

Für den Bundesverband der Caritas Grund genug, dies zu seinem Jahresthema zu machen: „Jeder Mensch braucht ein Zuhause“. Das tut er unter anderem mit plakativen Kampagnenmotiven, wie einem Badezimmer unter freiem Himmel. Das hat der Regionalcaritasverband Aachen nun aufgegriffen und sich an einem Samstag mit Info-Stand und Open-Air-Badezimmer in die Aachener Fußgängerzone gestellt. Das Bad sei am auffälligsten gewesen, sagt Caritas-Vorstand Bernhard Verholen: „Besser kann man Obdachlosigkeit nicht darstellen.“ Um aufmerksam zu machen, mit Menschen ins Gespräch zu kommen und auch, um zu unterstreichen, das geht auch Kirche etwas an, haben sich zahlreiche Mitarbeiter trotz Hitze in Bademäntel gehüllt und Verholen selbst sich in die Badewanne gesetzt.

„Da ist noch Luft nach oben, was Kirche tun kann“, räumt er ein, richtet aber auch den Blick auf das, was bereits getan wird. In den beiden Aachener Regionen reicht das von Einrichtungen des Caritasverbands für chronisch Kranke oder Wohnungslose über Wohnungen für ehemals Suchtkranke bis zu unterschiedlichen Wohnformen für Menschen mit Behinderung über die Caritas „Lebenswelten“. Aber auch in ihrer Beratungsarbeit wird die Caritas immer wieder mit dem Problem konfrontiert. „Das ist ein Feld, das fast immer mit dabei und immer problematisch ist“, sagt Ralf Bruders, Leiter des Referats „Ehrenamt, Familie, Migration“. Es sei zunehmend schwerer geworden, Menschen, denen man ansieht und anhört, dass sie nicht hier geboren sind, erfolgreich bei der Wohnungssuche zu unterstützen. Ähnlich schwierig ist auch die Situation in der Begleitung von ehemals suchtkranken oder wohnungslosen Menschen. „Unsere Klienten ,wohnfähig’ zu machen ist ein maßgeblicher Bestandteil. Umso desillusionierender ist es, wenn sie dann keine Wohnung finden können“, berichtet Peter Krosch, Leiter des Referates „Eingliederung“. Die Reaktionen auf die Aktion waren sehr positiv, doch es schwingt auch viel Hilflosigkeit mit. An der Situation etwas ändern könne weniger der Einzelne, sondern vor allem die Politik. Doch die mache sich ihre Probleme ja gerade selbst.

Auch die Pfarrei St. Fronleichnam im Aachener Ostviertel – rund um die Kirche leben Menschen der unterschiedlichsten Nationalitäten, viele von ihnen sind auf staatliche Unterstützung angewiesen – hat das Thema kreativ aufgegriffen. Für zwei Wochen hat der Caritasausschuss ein 30 Quadratmeter großes „Kirchen-Wohnzimmer“ mit Kochnische, Schlaf- und Waschecke in der Kirche aufgebaut. Klebeband auf dem Boden markierte die Wände und machte deutlich, wie wenig fünf mal sechs Meter sind, wenn man darin als Familie lebt. Nach den Gottesdiensten und bei verschiedenen Veranstaltungen hat das Ehrenamtler-Team um Gemeindereferentin Ursula Rohrer Menschen nach ihren Geschichten und Erfahrungen zum Thema „Wohnen“ befragt. Außerdem war die Kirche täglich von 9 bis 17 Uhr geöffnet. „Das war für viele schon ein Aha-Erlebnis“, sagt Ursula Rohrer. Sie hätte sich noch etwas mehr Resonanz gewünscht, doch die Gespräche, die sie gehabt hätten, insbesondere beim Multikulti-Fest, das den Start der Aktion bildete, und nach den Gottesdiensten, seien meist intensiv gewesen. Menschen, die wenig Geld haben, haben vom manchmal zermürbenden Kampf mit Vermietern berichtet, wenn es um Reparaturen geht oder davon, wie schwer es ist, etwas Neues zu finden, wenn die Wohnung zu klein oder nicht behindertengerecht ist. Aber auch davon, wie viel ihnen ihre vier Wände bedeuten, dass sie dankbar sind, ein Zuhause zu haben, in dem sie sich wohlfühlen können, auch wenn es klein ist.

 

Auch die Kirche ist Wohnraum

Begleitend hat die Gemeinde immer wieder die Brücke zum Glauben geschlagen. „Wir wollten rüberbringen, ,Wohnraum’ ist zuhause, aber auch in der Kirche. Wir essen hier wie dort, dürfen uns angenommen und willkommen fühlen und hier wie dort Heimat finden“, fasst Ursula Rohrer zusammen. Das haben sie in Bibeltexten, wie Joh. 14,2 („In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen.“) aufgegriffen und darüber die Frage gestellt, wie Glaube ein Zuhause bieten kann, und was wir selbst tun können, um in der Welt Orte zu schaffen, an denen wir und andere uns wohlfühlen. Außerdem wurden die sakralen Gegenstände in dieser Zeit aus dem „Kirchen-Wohnzimmer“ zum Altar gebracht: das Evangeliar aus dem Bücherregal, Kelch und Hostienschale vom Wohnzimmertisch.