Ja, und was habe ich davon?

Freiwillig und längerfristig etwas Gutes für die Gesellschaft zu tun, ist nicht mehr so selbstverständlich

Als Bundesfreiwillige einen sinnvollen Dienst leisten: ein Abenteuer, auf das sich so manche nach der Schule einlassen. Aber es könnten mehr sein. (c) FSD im Bistum Aachen
Als Bundesfreiwillige einen sinnvollen Dienst leisten: ein Abenteuer, auf das sich so manche nach der Schule einlassen. Aber es könnten mehr sein.
Datum:
11. Juni 2019
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 24/2019

Zurzeit rüttelt eine wachsende Zahl von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Welt auf. Das Klima ist bald nicht mehr zu retten. Die Jugend fordert Umkehr und Tatkraft. Sie tut es machtvoll, Wahlen werden beeinflusst durch die junge Bewegung. Eine Entwicklung, die andere Trends aktuell überlagert. Expertinnen wie Gesa Zollinger und Uta Hillermann, die Freiwilligendienste im Bistum Aachen vermitteln und begleiten, kennen Gegenläufiges. Es fällt immer schwerer, junge Menschen für ein Freiwilliges Soziales Jahr oder einen Bundesfreiwilligendienst zu gewinnen. Oft versteht man sich nicht mehr so richtig.


Gemeinsinn ist gerade wieder groß im Kommen bei der jungen Generation. Spüren Sie das bereits in Ihrer Arbeit?

Uta Hillermann  Ich hoffe sehr, dass die politische Mobilisierung das Gefühl für Gemeinschaft stärkt. Im Moment haben wir jedoch weiterhin mit der Einstellung zu kämpfen, die sich in den letzten Jahren in vielen Familien durchgesetzt hat. Die jungen Menschen haben gelernt, Individuen zu sein und sich als solche durchzusetzen. Natürlich finden auch wir eine starke Individualität wichtig. Aber wenn sie stärker im Blick ist als der Sinn für Gemeinschaft, wird es schwierig.

 

Wie erleben Sie das konkret?

Uta Hillermann  Früher war es ein Wert an sich, etwas Gutes für die Gemeinschaft zu tun. Heute ist dieser Grundwert nicht mehr so selbstverständlich. Sowohl die jungen Menschen als ihre Eltern fragen gleich zu Beginn, was sie davon haben. Sie meinen damit, was die junge Frau oder der junge Mann von seinem Einsatz finanziell und beruflich hat. Da können wir mit unserem Taschengeld und der sozialen Absicherung gegenüber den Lockrufen der Wirtschaft, die um den knapper werdenden Nachwuchs buhlt, so direkt nicht punkten. Zumal man häufig schon in der Schule auf das straffe Durchmarschieren in den Beruf gepolt wird.

 

Was haben Sie dem entgegenzusetzen?

Gesa Zollinger  Wir können berichten, was diese Einsätze im In- und Ausland mit den Freiwilligen machen. Sie lassen sich auf ein Abenteuer ein, gehen in ein fremdes Land oder engagieren sich für eine Gruppe von Menschen, die ihnen fremd ist. Das stärkt sie für ihr weiteres Leben. Sie gewinnen an Lebenserfahrung, an Arbeitserfahrung, an Selbstbewusstsein. Auch ihr Gemeinsinn und ihre Fähigkeiten, in Gruppen sich zu verhalten, werden gestärkt. Das letztere ist etwas, das für viele junge Menschen neu ist.

 

Wie meinen Sie das?

Gesa Zollinger  Wir müssen in den Gesprächen zur Kenntnis nehmen, dass viele Jugendliche außerhalb der Schule keine Gruppenerfahrungen haben. Es gibt lose Kontakte und spontane Verabredungen, aber keine wiederkehrenden Treffen mit einem festen Kreis von Freunden und Bekannten. Diese Idee von Gruppe ist vielen fremd, weil sie es im durchgetakteten Schulalltag nicht kennengelernt haben. Wir müssen häufig auch den Eltern erklären, warum die Vorbereitung auf den Dienst in Gruppen geschieht und welchen Vorteil diese Vernetzung auch in der Zeit des Dienstes hat.

 

Wenn Sie das alles so schildern, könnte man sagen, davon hat man doch wirklich auch beruflich etwas. Vielleicht würden Sie dann besser verstanden?

Gesa Zollinger  In der Sache trifft das sicher zu. Allerdings wollen wir uns dieser allgemeinen Verzweckung nicht anschließen, denen junge Menschen heute unterliegen. Deshalb führen wir dieses Argument nicht an. Uns geht es um das gesellschaftliche Engagement und die persönliche Bildung der Freiwilligen.

Uta Hillermann  Diese Fülle von Möglichkeiten, die junge Menschen heute haben, ist Fluch und Segen zugleich. Der Druck, sich so früh entscheiden zu müssen, wie es weitergeht, ist enorm. Ich meine, oft führt er in die Überforderung. Unsere Dienste bieten die Möglichkeit, in Ruhe im Laufe eines Jahres Erfahrungen zu sammeln und sich zu orientieren.

 

Wenn sich Kurzentschlossene bei Ihnen melden möchten, hat das noch Sinn?

Gesa Zollinger  Ganz klar hat das sogar großen Sinn. Wir haben noch viele spannende Plätze im Inland frei, sowohl beim Bundesfreiwilligendienst als auch beim Freiwilligen Sozialen Jahr. Jeder, der sich in den nächsten Tagen und Wochen über www.fsd-aachen.de bei uns meldet, wird von uns passgenau beraten und vermittelt und wir können zügig ein Bewerbungsgespräch und einen Vertrag anbahnen. Das neue Kursjahr beginnt am 1. August. Wir freuen uns über jeden, der jetzt nach der Schule dieses Abenteuer wagen möchte.

Das Gespräch führte Thomas Hohenschue.

Die Interviewpartnerinnen

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