„Israel ist der Augapfel Gottes“

Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit kämpfen gegen zunehmenden Antisemitismus und Judenhass

(c) Stephan Johnen
Datum:
19. Juni 2024
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 25/2024 | Gerd Felder

Das Hamas-Massaker am 7. Oktober hat nicht nur in Israel viel verändert, sondern auch in Deutschland: Die Zahl der antisemitischen Straftaten steigt in einem beängstigenden Maß an, Judenhass bricht sich in vielen Bereichen und unterschiedlichen Schichten der Gesellschaft wieder unverhohlen Bahn. Was machen die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit im Gebiet des Bistums Aachen, wie unterstützen sie seither die jüdischen Gemeinden, fördern den Dialog zwischen Juden und Christen und machen sich stark gegen Antisemitismus? Die KirchenZeitung für das Bistum Aachen hat nachgefragt. 

Pfarrer Ruprecht van de Weyer, geschäftsführender Vorsitzender der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Aachen, erinnert sich noch gut an seine Reaktion, als er vom Massaker erfuhr: „Ich war schockiert und entsetzt wie alle anderen auch, dass so ein furchtbarer Anschlag nicht verhindert werden konnte, aber im Grunde leider nicht überrascht“, sagt der Pfarrvikar der Gemeinschaft der Gemeinden (GdG) Aachen-Ost/Eilendorf. „Unsere jüdischen Mitglieder befinden sich seitdem im Schockzustand – sowohl wegen der Vorgänge in Israel selbst wie auch wegen der massiven Zunahme des Antisemitismus bei uns.“

Nach van de Weyers Ansicht ist er auch aus der Mitte der Gesellschaft nie verschwunden, sondern immer da gewesen, „aber wir haben uns nie eingestehen wollen, welch starke Wucht er hat“, sagt er. „Wir haben es uns lange bequem gemacht, indem wir ihn nur bei anderen gesucht haben. Durch den Aufstieg der AFD hat der Antisemitismus aber längst wieder einen Platz in der deutschen Mehrheitsgesellschaft.“

Nach dem 7. Oktober beteiligte sich die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit (GCJZ), die derzeit 130 Mitglieder zählt, an einer großen Demonstration am Elisenbrunnen und auf dem Markt. Ansonsten bemüht sie sich, jüdisches Leben bekanntzumachen, Juden mit Nicht-Juden ins Gespräch zu bringen, die Perspektive des Miteinanders zu fördern und vor allem auch den Kontakt zur jüdischen Gemeinde Aachen durch regelmäßige Besuche und Gespräche zu pflegen.

„Wir haben eine Reihe von Veranstaltungen in der jüdischen Synagoge. Und gerade die musikalischen Angebote werden auch von der jüdischen Gemeinde sehr gut angenommen“, freut sich van de Weyer. In den vergangenen Wochen habe man auf eigene Veranstaltungen weitgehend verzichtet, weil das Rahmenprogramm des Karlspreises sich umfassend mit Antisemitismus und Judenhass auseinandergesetzt habe. „Dadurch erfährt die Thematik eine große Aufmerksamkeit, und man kann nur hoffen, dass die hinterher noch genauso groß sein wird“, wagt der Vorsitzende einen Ausblick.

Auch in Mönchengladbach kam es ganz kurz nach dem entsetzlichen Anschlag der Hamas unter dem Motto „Mönchengladbach steht zu Israel!“ zu einer Solidaritätskundgebung mit Israel. (c) Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit MG
Auch in Mönchengladbach kam es ganz kurz nach dem entsetzlichen Anschlag der Hamas unter dem Motto „Mönchengladbach steht zu Israel!“ zu einer Solidaritätskundgebung mit Israel.

Auch in Mönchengladbach kam es ganz kurz nach dem entsetzlichen Anschlag der Hamas unter dem Motto „Mönchengladbach steht zu Israel!“ zu einer Solidaritätskundgebung mit Israel, zu der neben der Jüdischen Gemeinde Mönchengladbach auch die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Mönchengladbach aufgerufen hatte. Angeführt von Mönchengladbachs Oberbürgermeister Felix Heinrichs versammelten sich zu der kurzfristig einberufenen Demonstration etwa 150 Menschen und verurteilten den Angriff der Hamas scharf.

Schon bald darauf, am 3. November 2023, wurde in Mönchengladbachs Citykirche eine Ausstellung mit dem Titel „1948“ zur Gründung des Staates Israel eröffnet, die angesichts der aktuellen Ereignisse eine besondere Bedeutung gewonnen hatte. Nur wenige Tage später, am 8. November, erinnerte Pfarrer Michael Schicks, katholischer Vorsitzender der GCJZ, in einem Gedenkgottesdienst zur Reichspogromnacht in der Herz-Jesu-Kirche an die Ereignisse vor 85 Jahren und warnte davor, dass jüdische Menschen heute wieder ähnlichen Übergriffen ausgesetzt sein könnten. Zwei Wochen danach, am 22.November, kamen in der evangelischen Hauptkirche in Rheydt 200 Menschen zusammen, um interreligiösen Zusammenhalt zu demonstrieren – Christen, Juden, Muslime, Bahá‘í und Jesiden. Auf Einladung der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit informierte Terrorismus-Experte Rolf Tophoven im benachbarten Christoffel-Haus unmittelbar anschließend über den Anschlag der Hamas, seine Ursachen und seine Folgen und stellte Überlegungen über die weitere Entwicklung des Konflikts an. 

In diesem Jahr ging die Reihe der Veranstaltungen weiter: Nach dem Angriff des Iran auf Israel beteiligte sich die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit darüber hinaus am 17. April unter dem Motto „Wir sind da“ an einer Solidaritätskundgebung mit Israel. Dabei bekräftigte Pfarrer Hans-Ulrich Rosocha als evangelischer Vorsitzender der GCJZ: „Wir sind solidarisch mit dem Staat Israel als jüdischer Heimstätte und setzen uns mit allen Kräften dafür ein, dass der Staat Israel als Heimstätte aller jüdischen Menschen auf der ganzen Welt erhalten bleibt.“ Wenn Israel angegriffen und in seiner Existenz in Frage gestellt werde, müsse die deutsche Gesellschaft nicht nur verbal protestieren, sondern mit allen ihr zu Gebote stehenden Möglichkeiten aktiv werden und Israel mit allen Mitteln in seinem Überlebenskampf unterstützen. „Israel ist der Augapfel Gottes“, sagte Rosocha wörtlich. 

Große Aufmerksamkeit erregte auch die Wanderausstellung „We, the six Million“, bei der auf Betreiben der Gesellschaft als Projektträgerin mit Hilfe von 40 Rollups in etlichen Schulen Geschichten von jüdischen Opfern und Überlebenden des Holocaust gezeigt wurden. Durch diese Ausstellung wurden letztlich zehn Schulen für eine Kooperation mit israelischen Schulen gewonnen. Zu den Kooperationspartnern von israelischer Seite 
gehören unter anderem Schulen aus Jerusalem und Tel Aviv. Der Schüleraustausch wurde allerdings durch den Hamas-Überfall stark beeinträchtigt, weil auch eine der beteiligten Schulen ein Opfer zu beklagen hatte und zeitweise den Schulbetrieb einstellen musste. 

 

Das Denkmal für die Deportierten in Yad Vashem erinnert an die Millionen von Juden, die in Viehwaggons gepfercht und in die Vernichtungslager transportiert wurden. (c) Stephan Johnen
Das Denkmal für die Deportierten in Yad Vashem erinnert an die Millionen von Juden, die in Viehwaggons gepfercht und in die Vernichtungslager transportiert wurden.

Laut Angaben des geschäftsführenden Vorstandsmitglieds Armin Schuster zählt die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Mönchengladbach aktuell 230 meist ältere Mitglieder. „Im Gegensatz zu anderen Gesellschaften ist unser Mitgliederstand stabil“, freut Schuster sich, „aber junge Leute können Sie kaum noch für bestimmte Aktivitäten gewinnen. Das geht uns nicht anders als anderen Vereinen.“

Dass die derzeitige angespannte Situation, in der immer wieder antisemitische Übergriffe und Straftaten zu verzeichnen sind, ihm Sorgen macht, daraus macht der 76-jährige Katholik, der auch Kirchenvorstandsmitglied in der Pfarrei St. Vitus ist, keinen Hehl. Laut Schuster zählt die jüdische Gemeinde Mönchengladbach aktuell etwa 700 Mutterjuden, mit Familienangehörigen etwa 3000. „Die Mitglieder der jüdischen Gemeinde hier trauen sich nicht, sich in der Öffentlichkeit mit Zeichen ihres Glaubens wie Kippa oder Davidstern zu erkennen zu geben“, sagt er sehr nachdenklich. „Sie sind, nach allem, was passiert ist, sehr vorsichtig und ängstlich.“

 

Bei der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Krefeld waren die vergangenen Monate bewegt. Nach dem Tod des evangelischen Vorsitzenden und Schatzmeisters Gerhard Schneider sowie nach dem Entschluss der Geschäftsführerin und weiterer Vorstandsmitglieder, ihre Arbeit aus persönlichen Gründen zu beenden, stand die Frage im Raum, ob die Gesellschaft überhaupt noch weitermachen kann oder aufgelöst werden muss. Nach dem 7. Oktober 2023 aber gab es zunächst noch Veranstaltungen: Mit einem Trauergebet (Kaddish) wurde am 9. November auf dem Platz der alten Synagoge der Pogromnacht im Jahre 1938 gedacht, und am 17. November fand ein von Elisabeth Töpfer-Pattberg, der geschäftsführenden Vorsitzenden der Gesellschaft, mitorganisierter, bewegender Schweigemarsch statt, der vom Mahnmal der ehemaligen Synagoge durch die Innenstadt zum Rathaus führte.

In diesem Jahr kämpfte die überalterte Gesellschaft, die derzeit noch 97 Mitglieder zählt, zeitweise um ihre Existenz. „Leider haben die örtlichen Kirchengemeinden kein richtiges Interesse an unserer Arbeit“, bedauert Irmgard Süß, die katholische Vorsitzende der Gesellschaft. „Es ist traurig, zu sehen, dass von ihnen wenig Unterstützung kommt.“ 
Aktuell aber haben sich neue Möglichkeiten aufgetan: Zwei Mitarbeiterinnen der Villa Merländer, des offiziellen NS-Dokumentationszentrums der Stadt Krefeld, eine Mitarbeiterin der Caritas Krefeld und die jüdische Vertreterin in der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit haben sich bereiterklärt, bei der nächsten Mitgliederversammlung am 24. Juni für den Vorstand zu kandidieren. „Sie können unserer Gesellschaft neuen Schwung geben“, freut sich Irmgard Süß. 

vortrag

Die Gesellschaft lädt für Donnerstag, 27. Juni, 19 Uhr, zu einem Vortrag über das Thema „Arisierung aus Aachener Perspektive“ in die Jüdische Gemeinde Aachen, Synagogenplatz 23, ein.